Putins rote Linien
Der heutige Videogipfel zwischen Joe Biden und Wladimir Putin könnte darüber entscheiden, ob es Krieg in der Ukraine gibt
Eine „ziemlich ausführliche und lange Videokonferenz“zwischen Joe Biden und Wladimir Putin kündigte Kremlsprecher Wladimir Peskow für heute Abend an. Und weder Moskau noch Washington lassen Zweifel am zentralen Thema des digitalen Gipfels: die militärischen Spannungen um die Ukraine.
Biden will mit Putin über die gut Hunderttausend Soldaten reden, die Russland nahe der ukrainischen Grenze hat aufmarschieren lassen. Putin will über das Engagement der NATO gerade auf ukrainischem Gebiet reden und über vertragliche Sicherheitsgarantien für Russland. Angesichts der Droh- und Warnrhetorik, die beide Seiten seit Wochen aufeinander abfeuern, scheint es um nicht weniger zu gehen, als um Krieg und Frieden.
Krieg kann verhindert werden
Schon im November häuften sich Meldungen aus den USA, Russland konzentriere Truppen, um die Ukraine anzugreifen. Russische Offizielle, etwa Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow dementieren, dass Russland eskaliert. Man habe das Recht, auf dem eigenen Gebiet Truppen zu bewegen. Aber Außenminister Sergei Lawrow beschwert sich, die Ukraine werde vom Westen militärisch aufgepumpt, was in Kiew die Illusion einer gewaltsamen Lösung des Donbass-Konfliktes schüre. Seine Sprecherin Maria Sacharowa hat schon 125 000 ukrainische Soldaten in der Donbass-Konfliktzone ausgemacht.
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksi Resnikow beteuert angesichts des russischen Aufmarsches, man werde jede Provokation vermeiden. Aber auch er redet von Krieg: Sein Ausbruch sei wahrscheinlich, aber nicht unumgänglich. Und alle erwarten, dass Biden und Putin am Dienstagabend eine sehr kontroverse Debatte
führen werden. Den zentralen Gesprächsstoff hat der Kremlchef vorgegeben: Russlands rote Linien.
Schon Monate zuvor drohte Putin Kiew, jeder Versuch, das Donbass mit einer Militäraktion zurückzuholen, wie es etwa der georgische Präsident Michail Saakaschwili 2008 gegenüber dem separatistischen Südossetien versuchte, werde das Ende des gegenwärtigen ukrainischen Staates bedeuten. Inzwischen hat der Kreml weitere „rote Linien“benannt: Keine Aufnahme der Ukraine in die NATO, keine NATO-Infrastruktur in der Ukraine, keine weitere NATO-Osterweiterung und das schriftlich fixiert. Auch russische Beobachter sprechen von einem Ultimatum.
Unbeeindruckt von roten Linien
Biden und sein Gefolge zeigen sich bisher unbeeindruckt: „Ich akzeptiere niemandes rote Linien“, erklärte der Amerikaner zu Putins Forderungen. Und die ukrainischen Medien zitieren hoffnungsvoll die Ankündigung seines Außenministers Tony Blinken, wenn Russland wirklich die Ukraine attackiere, werde man Dinge gegen sie anwenden, auf die man früher verzichtet habe. „Wenn gewisse Länder ihren demokratischen Nachbarn die eigene Politik diktieren“, so Blinken, „und wir nichts dagegen unternehmen, wird die Signalwirkung enorm sein.“
Beide Seiten scheinen zu pokern. Kremlkritiker vermuten, Putins Invasionsarmee sei nur ein neuer Bluff: Bei einem Auftritt im Außenministerium forderte er unlängst seine Diplomaten auf, den durchaus wirkungsvollen psychischen Druck auf den Westen aufrechtzuerhalten, unter anderem, um schriftliche Sicherheitsgarantien für Russland herauszuholen.
Sein Video-Showdown mit Biden könnte verhandlungstechnisch mit einem glatten Scheitern enden. Aber auch russische Beobachter hoffen auf einen zumindest taktischen Kompromiss: „Vielleicht einigen sie sich auf die gemeinsame Erklärung, eine kriegerische Lösung sei nicht akzeptabel“, sagte der Moskauer Amerika-Experte Boris Meschujew dem „Luxemburger Wort“. „Und auf die Bildung einer Kommission zur Vorbereitung eines persönlichen Treffens im März.“Das würde bedeuten, dass keine Seite das Gesicht verliert und man Zeit für Detailverhandlungen gewinnt.