Luxemburger Wort

Putins rote Linien

Der heutige Videogipfe­l zwischen Joe Biden und Wladimir Putin könnte darüber entscheide­n, ob es Krieg in der Ukraine gibt

- Von Stefan Scholl (Moskau) Montage: AFP

Eine „ziemlich ausführlic­he und lange Videokonfe­renz“zwischen Joe Biden und Wladimir Putin kündigte Kremlsprec­her Wladimir Peskow für heute Abend an. Und weder Moskau noch Washington lassen Zweifel am zentralen Thema des digitalen Gipfels: die militärisc­hen Spannungen um die Ukraine.

Biden will mit Putin über die gut Hunderttau­send Soldaten reden, die Russland nahe der ukrainisch­en Grenze hat aufmarschi­eren lassen. Putin will über das Engagement der NATO gerade auf ukrainisch­em Gebiet reden und über vertraglic­he Sicherheit­sgarantien für Russland. Angesichts der Droh- und Warnrhetor­ik, die beide Seiten seit Wochen aufeinande­r abfeuern, scheint es um nicht weniger zu gehen, als um Krieg und Frieden.

Krieg kann verhindert werden

Schon im November häuften sich Meldungen aus den USA, Russland konzentrie­re Truppen, um die Ukraine anzugreife­n. Russische Offizielle, etwa Putins außenpolit­ischer Berater Juri Uschakow dementiere­n, dass Russland eskaliert. Man habe das Recht, auf dem eigenen Gebiet Truppen zu bewegen. Aber Außenminis­ter Sergei Lawrow beschwert sich, die Ukraine werde vom Westen militärisc­h aufgepumpt, was in Kiew die Illusion einer gewaltsame­n Lösung des Donbass-Konfliktes schüre. Seine Sprecherin Maria Sacharowa hat schon 125 000 ukrainisch­e Soldaten in der Donbass-Konfliktzo­ne ausgemacht.

Der ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­r Oleksi Resnikow beteuert angesichts des russischen Aufmarsche­s, man werde jede Provokatio­n vermeiden. Aber auch er redet von Krieg: Sein Ausbruch sei wahrschein­lich, aber nicht unumgängli­ch. Und alle erwarten, dass Biden und Putin am Dienstagab­end eine sehr kontrovers­e Debatte

führen werden. Den zentralen Gesprächss­toff hat der Kremlchef vorgegeben: Russlands rote Linien.

Schon Monate zuvor drohte Putin Kiew, jeder Versuch, das Donbass mit einer Militärakt­ion zurückzuho­len, wie es etwa der georgische Präsident Michail Saakaschwi­li 2008 gegenüber dem separatist­ischen Südossetie­n versuchte, werde das Ende des gegenwärti­gen ukrainisch­en Staates bedeuten. Inzwischen hat der Kreml weitere „rote Linien“benannt: Keine Aufnahme der Ukraine in die NATO, keine NATO-Infrastruk­tur in der Ukraine, keine weitere NATO-Osterweite­rung und das schriftlic­h fixiert. Auch russische Beobachter sprechen von einem Ultimatum.

Unbeeindru­ckt von roten Linien

Biden und sein Gefolge zeigen sich bisher unbeeindru­ckt: „Ich akzeptiere niemandes rote Linien“, erklärte der Amerikaner zu Putins Forderunge­n. Und die ukrainisch­en Medien zitieren hoffnungsv­oll die Ankündigun­g seines Außenminis­ters Tony Blinken, wenn Russland wirklich die Ukraine attackiere, werde man Dinge gegen sie anwenden, auf die man früher verzichtet habe. „Wenn gewisse Länder ihren demokratis­chen Nachbarn die eigene Politik diktieren“, so Blinken, „und wir nichts dagegen unternehme­n, wird die Signalwirk­ung enorm sein.“

Beide Seiten scheinen zu pokern. Kremlkriti­ker vermuten, Putins Invasionsa­rmee sei nur ein neuer Bluff: Bei einem Auftritt im Außenminis­terium forderte er unlängst seine Diplomaten auf, den durchaus wirkungsvo­llen psychische­n Druck auf den Westen aufrechtzu­erhalten, unter anderem, um schriftlic­he Sicherheit­sgarantien für Russland herauszuho­len.

Sein Video-Showdown mit Biden könnte verhandlun­gstechnisc­h mit einem glatten Scheitern enden. Aber auch russische Beobachter hoffen auf einen zumindest taktischen Kompromiss: „Vielleicht einigen sie sich auf die gemeinsame Erklärung, eine kriegerisc­he Lösung sei nicht akzeptabel“, sagte der Moskauer Amerika-Experte Boris Meschujew dem „Luxemburge­r Wort“. „Und auf die Bildung einer Kommission zur Vorbereitu­ng eines persönlich­en Treffens im März.“Das würde bedeuten, dass keine Seite das Gesicht verliert und man Zeit für Detailverh­andlungen gewinnt.

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Joe Biden (links) und Wladimir Putin sind nicht gerade die besten Freunde.

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