Aung San Suu Kyi politisch kaltgestellt
In Myanmar hat ein Sondergericht die entmachtete Regierungschefin zu einer Haftstrafe verurteilt
Seit dem Putsch am 1. Februar kommt Myanmar nicht zur Ruhe. Die rechtmäßig gewählte Regierungschefin des Landes, Aung San Suu Kyi, war an jenem frühen Morgen von Uniformierten in Gewahrsam genommen worden. Nach einem immer wieder verschobenen Scheinprozess hinter verschlossenen Türen ist gestern ein erstes Urteil gefallen. Die gestürzte Regierungschefin Myanmars erhielt vier Jahre Haft. Wenige Stunden nach der Verurteilung verkürzte die Militärjunta das Strafmaß für die 76-Jährige zwar auf zwei Jahre und gestattete ihr Hausarrest statt Gefängnis.
Doch es ist erst das erste in einer Reihe von wohl noch anstehenden Urteilen, die die einstige Ikone der Demokratie für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis bringen könnten.
Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren war Suu Kyi noch vor die Richter in Den Haag getreten und hatte die Generäle gegen die Anklage des Rohingya-Völkermords verteidigt. Jetzt haben ebendiese Generäle mit einem ersten von mehreren Geheimprozessen sichergestellt, dass Suu Kyi für immer aus dem öffentlichen Leben von Myanmar verschwindet.
Seit ihrer Verwahrung vor mehr als zehn Monaten gibt es von Suu Kyi kein Lebenszeichen mehr. Niemand weiß, wo und unter welchen Bedingungen die mittlerweile 76-Jährige festgehalten wird.
Hatte sie vor Myanmars vermeintlichem Übergang zur Demokratie noch fast eineinhalb Jahrzehnte unter Hausarrest der Generäle verbracht, ist sie seit dem 1. Februar komplett von der Außenwelt abgeschirmt und abgeschnitten. Selbst ihr Anwalt weiß oft für Wochen nicht, wie es um seine Klientin steht. Dies, während Proteste gegen die Junta im Land andauern. Am Wochenende fuhr ein Militärtruck in Yangon in eine Menschengruppe von Demonstranten. Mindestens drei Menschen starben, mehrere wurden verletzt.
Jetzt wurde auch die legitime Führerin des Landes, die im Volk noch immer über breiten Rückhalt verfügt, wegen Anstiftung zum Widerstand und Verstoßes gegen Corona-Regeln für schuldig befunden. Suu Kyi hat diese und auch die weiteren insgesamt elf Anklagepunkte immer bestritten. Dabei wird sie sich keine Illusionen machen, auch in den restlichen Anklagepunkten schuldig gesprochen zu werden.
Die auch als „Lady“bezeichnete ehemalige Oppositionsführerin hat sich weiter zu mehreren Fällen von Korruption und der Verletzung
von Amtsgeheimnissen zu verantworten. Selbst der Schmuggel mit Funkgeräten wird ihr vorgeworfen. Bilder von Suu Kyi vor Gericht gibt es nicht. Niemand weiß, wie es gesundheitlich um sie steht.
Insidern zufolge bereiten die Generäle eine so lange Strafe vor, damit ihre Widersacherin im Gefängnis sterben muss. Dabei war Suu Kyi ein Zweckbündnis mit ihren damaligen und heutigen Peinigern eingegangen, um Myanmar auf den Weg von Öffnung und Demokratie zu führen.
Letztes Jahr errang ihre Partei der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) einen weiteren Erdrutschsieg. Die gedemütigten Generäle machten Wahlbetrug in großem Stil geltend und rissen Monate später gewaltsam die Macht an sich.
Proteste trotz Verhaftungswelle
Dabei war der Urnengang unabhängigen Wahlbeobachtern zufolge weitgehend frei und fair verlaufen. Sämtliche Vorwürfe gegen Suu Kyi und führende Parteimitglieder sind laut der in den Untergrund verdrängten NLD politisch motiviert. Noch fast ein Jahr nach dem Staatsstreich dauern Demonstrationen gegen die Militärregierung an. Suu Kyi ist eine von mehr als 10 600 Personen, die seit Februar von der Junta verhaftet wurden. Menschenrechtsgruppen sprechen von mindestens 1 300 Menschen, die seither bei Protesten starben. Das Land ist wieder weitgehend von der Außenwelt abgeschottet.