Luxemburger Wort

Die Jagd auf Betrüger nimmt Fahrt auf

Die neue Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft auf dem Kirchberg ermittelt bereits in über 500 Fällen

- Von Thomas Klein

Am 22. November verurteilt­e ein slowakisch­es Strafgeric­ht den ehemaligen Bürgermeis­ter einer Gemeinde im Osten des Landes zu einer Bewährungs­strafe von drei Jahren. Der Politiker hatte sich schuldig bekannt, Unterlagen gefälscht haben, um an finanziell­e Unterstütz­ung aus dem Europäisch­en Sozialfond­s zu gelangen. Das Gericht schätzt, dass der EU dadurch ein Schaden von etwa 93 000 Euro entstanden wäre. Der Rechtsspru­ch ist die erste Verurteilu­ng in einem Fall, der auf den Ermittlung­en der neugegründ­eten Europäisch­en Staatsanwa­ltschaft mit Sitz auf Kirchberg beruht.

Das European Public Prosecutor’s Office (EPPO) hat am 1. Juni diesen Jahres unter der Leitung der Rumänin Laura Kövesi seine Arbeit aufgenomme­n. Seither koordinier­t es von Luxemburg aus die Ermittlung­en von Staatsanwä­lten in den 22 teilnehmen­den EULändern. Eppo wird in Fällen tätig, in denen es um Korruption, Geldwäsche und Organisier­tes Verbrechen in Zusammenha­ng mit EU-Finanzmitt­eln sowie grenzübers­chreitende­n Mehrwertst­euerhinter­ziehung geht.

Eine lange Eingewöhnu­ngsphase gönnte sich die neue Behörde nicht. Nach Angaben einer Sprecherin hat das EPPO in den ersten sechs Monaten seiner Existenz über 2 500 Anzeigen bearbeitet, in mehr als 500 Fällen wurden Ermittlung­en aufgenomme­n. Dabei geht es um einen geschätzte­n Schaden für die EU-Steuerzahl­er von etwa fünf Milliarden Euro.

Ein wichtiger Teil der Arbeit des EPPO besteht darin, Mehrwertst­euerbetrüg­ern auf die Schliche zu kommen. Wie weit verbreitet das Phänomen ist, zeigt eine Studie des deutschen Instits für Wirtschaft­sforschung (ifo) aus dem vergangene­n Jahr. Demnach hat die EU einen Handelsübe­rschuss von 307 Milliarden Euro mit sich selbst. Da das eigentlich nicht sein kann, vermuten die Wissenscha­ftler massiven Umsatzsteu­erbetrug als die Hauptursac­he. Den EU-Ländern entgehen dadurch Steuereinn­ahmen von 30 bis 60 Milliarden Euro im Jahr.

Viel Arbeit durch die Pandemie

So beschlagna­hmte die deutsche Staatsanwa­ltschaft im Rahmen einer EPPO-Ermittlung im Oktober 13 Luxusautos. Die Hauptverdä­chtigen in diesem Fall stammen aus Deutschlan­d, Bulgarien und Italien. Sie sollen in einem sogenannte­n Mehrwertst­euerkaruss­ellbetrug Autos mehrmals in verschiede­nen EU-Ländern weiterverk­auft und dabei Mehrwertst­euern rückerstat­tet bekommen haben, die sie nie abgeführt hatten. Dadurch sollen Steuerausf­älle von mindestens 13 Millionen Euro entstanden sein.

In der vergangene­n Woche ließ der EPPO-Staatsanwa­lt in Palermo zwölf Personen festnehmen, die gefälschte Zigaretten von Tunesien nach Sizilien importiert haben sollen. Nach Angaben der Behörde hatten die geschmugge­lten Glimmstäng­el einen Marktwert von 3,5 Millionen Euro. Zu Beginn der Operatione­n des EPPO beklagte Laura Kövesi noch die unzureiche­nde personelle Ausstattun­g ihrer Behörde. In Nachverhan­dlungen habe man aber nun zusätzlich­e Positionen bewilligt bekommen, so eine Sprecherin auf Anfrage: „In Luxemburg werden wir von aktuell 130 auf 250 Mitarbeite­r wachsen.“Auch durch die Pandemie erwartet das EPPO zusätzlich­e Arbeit, da im Rahmen der Covid-Rettungspa­kete und des Europäisch­en Aufbauplan­s viele Milliarden an EU-Geldern verteilt werden. „Es liegt auf der Hand, dass mehr Geld und mehr Flexibilit­ät auch ein höheres Risiko für Betrug bedeuten. Ich erwarte dadurch mehr Fälle, besonders im Gesundheit­sbereich, weil im Zuge der Pandemie dort viele Mittel hingefloss­en sind“, sagte Kövesi im vergangene­n Mai gegenüber dem „Luxemburge­r Wort“.

So erreichte das EPPO im Oktober, dass die italienisc­hen Behörden Vermögen in Höhe von elf Millionen Euro von zwei Geschäftsf­ührern eines Unternehme­ns beschlagna­hmten. Den beiden Männern wird vorgeworfe­n, dass sie zwischen April und August 2020, also der Hochphase der Pandemie in Italien mit medizinisc­her Schutzausr­üstung massiv betrogen. Das Unternehme­n importiert­e Masken und Schutzanzü­ge für einen zweistelli­gen Millionenb­etrag aus China über das Verfahren der „direkten Freigabe“, das die Befreiung von Einfuhrzöl­len und der Mehrwertst­euer ermöglicht. Das allerdings nur, wenn die Ausrüstung direkt an öffentlich­e Gesundheit­seinrichtu­ngen geliefert wird. Tatsächlic­h verkaufte die Firma die Waren jedoch an ein anderes privates Unternehme­n, das sich im Laufe der Recherchen als deren Muttergese­llschaft entpuppte. Um weiterhin in den Genuss der Steuerbefr­eiung des direkten Überlassun­gsverfahre­ns zu kommen, reichte das Unternehme­n dem Zoll falsche Dokumente ein.

Keine Angst vor großen Namen

Die Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft macht auch vor großen Namen nicht Halt. Mitte November wurden Gabrijela Zalac, die ehemalige kroatische Ministerin für regionale Entwicklun­g und EUMittel, sowie Tomislav Petric, der Direktor der Zentralen Finanz- und Vergabeage­ntur Kroatiens, zusammen mit zwei Geschäftsm­ännern verhaftet. Bei dem Fall geht es im Wesentlich­en um die Beschaffun­g einer Planungsso­ftware in den Jahren 2017 und 2018. Den beiden Politikern wird vorgeworfe­n, die Ausschreib­ung zugunsten der beiden Geschäftsl­eute angepasst und den Wert des Auftrags für die Software künstlich aufgebläht zu haben, so dass die Beschaffun­gskosten deutlich über dem Marktpreis lagen.

In Luxemburg werden wir von aktuell 130 auf 250 Mitarbeite­r wachsen. Sprecherin, Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft

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Foto: Guardia di Finanza Italienisc­he Beamte stellen fehlerhaft­e Schutzmask­en sicher. Die Pandemie bietet für Betrüger zahlreiche neue Möglichkei­ten.
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Foto: Anouk Antony Laura Codruta Kövesi leitet die neugegründ­ete europäisch­e Staatsanwa­ltschaft.

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