Die Jagd auf Betrüger nimmt Fahrt auf
Die neue Europäische Staatsanwaltschaft auf dem Kirchberg ermittelt bereits in über 500 Fällen
Am 22. November verurteilte ein slowakisches Strafgericht den ehemaligen Bürgermeister einer Gemeinde im Osten des Landes zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren. Der Politiker hatte sich schuldig bekannt, Unterlagen gefälscht haben, um an finanzielle Unterstützung aus dem Europäischen Sozialfonds zu gelangen. Das Gericht schätzt, dass der EU dadurch ein Schaden von etwa 93 000 Euro entstanden wäre. Der Rechtsspruch ist die erste Verurteilung in einem Fall, der auf den Ermittlungen der neugegründeten Europäischen Staatsanwaltschaft mit Sitz auf Kirchberg beruht.
Das European Public Prosecutor’s Office (EPPO) hat am 1. Juni diesen Jahres unter der Leitung der Rumänin Laura Kövesi seine Arbeit aufgenommen. Seither koordiniert es von Luxemburg aus die Ermittlungen von Staatsanwälten in den 22 teilnehmenden EULändern. Eppo wird in Fällen tätig, in denen es um Korruption, Geldwäsche und Organisiertes Verbrechen in Zusammenhang mit EU-Finanzmitteln sowie grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerhinterziehung geht.
Eine lange Eingewöhnungsphase gönnte sich die neue Behörde nicht. Nach Angaben einer Sprecherin hat das EPPO in den ersten sechs Monaten seiner Existenz über 2 500 Anzeigen bearbeitet, in mehr als 500 Fällen wurden Ermittlungen aufgenommen. Dabei geht es um einen geschätzten Schaden für die EU-Steuerzahler von etwa fünf Milliarden Euro.
Ein wichtiger Teil der Arbeit des EPPO besteht darin, Mehrwertsteuerbetrügern auf die Schliche zu kommen. Wie weit verbreitet das Phänomen ist, zeigt eine Studie des deutschen Instits für Wirtschaftsforschung (ifo) aus dem vergangenen Jahr. Demnach hat die EU einen Handelsüberschuss von 307 Milliarden Euro mit sich selbst. Da das eigentlich nicht sein kann, vermuten die Wissenschaftler massiven Umsatzsteuerbetrug als die Hauptursache. Den EU-Ländern entgehen dadurch Steuereinnahmen von 30 bis 60 Milliarden Euro im Jahr.
Viel Arbeit durch die Pandemie
So beschlagnahmte die deutsche Staatsanwaltschaft im Rahmen einer EPPO-Ermittlung im Oktober 13 Luxusautos. Die Hauptverdächtigen in diesem Fall stammen aus Deutschland, Bulgarien und Italien. Sie sollen in einem sogenannten Mehrwertsteuerkarussellbetrug Autos mehrmals in verschiedenen EU-Ländern weiterverkauft und dabei Mehrwertsteuern rückerstattet bekommen haben, die sie nie abgeführt hatten. Dadurch sollen Steuerausfälle von mindestens 13 Millionen Euro entstanden sein.
In der vergangenen Woche ließ der EPPO-Staatsanwalt in Palermo zwölf Personen festnehmen, die gefälschte Zigaretten von Tunesien nach Sizilien importiert haben sollen. Nach Angaben der Behörde hatten die geschmuggelten Glimmstängel einen Marktwert von 3,5 Millionen Euro. Zu Beginn der Operationen des EPPO beklagte Laura Kövesi noch die unzureichende personelle Ausstattung ihrer Behörde. In Nachverhandlungen habe man aber nun zusätzliche Positionen bewilligt bekommen, so eine Sprecherin auf Anfrage: „In Luxemburg werden wir von aktuell 130 auf 250 Mitarbeiter wachsen.“Auch durch die Pandemie erwartet das EPPO zusätzliche Arbeit, da im Rahmen der Covid-Rettungspakete und des Europäischen Aufbauplans viele Milliarden an EU-Geldern verteilt werden. „Es liegt auf der Hand, dass mehr Geld und mehr Flexibilität auch ein höheres Risiko für Betrug bedeuten. Ich erwarte dadurch mehr Fälle, besonders im Gesundheitsbereich, weil im Zuge der Pandemie dort viele Mittel hingeflossen sind“, sagte Kövesi im vergangenen Mai gegenüber dem „Luxemburger Wort“.
So erreichte das EPPO im Oktober, dass die italienischen Behörden Vermögen in Höhe von elf Millionen Euro von zwei Geschäftsführern eines Unternehmens beschlagnahmten. Den beiden Männern wird vorgeworfen, dass sie zwischen April und August 2020, also der Hochphase der Pandemie in Italien mit medizinischer Schutzausrüstung massiv betrogen. Das Unternehmen importierte Masken und Schutzanzüge für einen zweistelligen Millionenbetrag aus China über das Verfahren der „direkten Freigabe“, das die Befreiung von Einfuhrzöllen und der Mehrwertsteuer ermöglicht. Das allerdings nur, wenn die Ausrüstung direkt an öffentliche Gesundheitseinrichtungen geliefert wird. Tatsächlich verkaufte die Firma die Waren jedoch an ein anderes privates Unternehmen, das sich im Laufe der Recherchen als deren Muttergesellschaft entpuppte. Um weiterhin in den Genuss der Steuerbefreiung des direkten Überlassungsverfahrens zu kommen, reichte das Unternehmen dem Zoll falsche Dokumente ein.
Keine Angst vor großen Namen
Die Europäische Staatsanwaltschaft macht auch vor großen Namen nicht Halt. Mitte November wurden Gabrijela Zalac, die ehemalige kroatische Ministerin für regionale Entwicklung und EUMittel, sowie Tomislav Petric, der Direktor der Zentralen Finanz- und Vergabeagentur Kroatiens, zusammen mit zwei Geschäftsmännern verhaftet. Bei dem Fall geht es im Wesentlichen um die Beschaffung einer Planungssoftware in den Jahren 2017 und 2018. Den beiden Politikern wird vorgeworfen, die Ausschreibung zugunsten der beiden Geschäftsleute angepasst und den Wert des Auftrags für die Software künstlich aufgebläht zu haben, so dass die Beschaffungskosten deutlich über dem Marktpreis lagen.
In Luxemburg werden wir von aktuell 130 auf 250 Mitarbeiter wachsen. Sprecherin, Europäische Staatsanwaltschaft