Luxemburger Wort

Halb so wild

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„Danke“, sage ich. „Auf Wiedersehe­n.“

„Wünschen Sie sich das lieber nicht“, erwidert Gerdes und verschwind­et.

Ich habe kaum Gelegenhei­t, erleichter­t aufzuatmen, da öffnet sich erneut die Tür, und Rainer erscheint. Er hat die Krawatte gelockert, ist also für seine Verhältnis­se komplett verwahrlos­t. Ich vermute deshalb, er ist völlig aus dem Häuschen. Dazu passt auch, dass sein dezent-markantes Aftershave von Kaffeeduft überlagert wird. Sein selbstgest­ecktes Limit von zwei Tassen pro Tag dürfte er heute um ein Vielfaches überschrit­ten haben.

„Du brauchst dich gar nicht aufzuregen“, sage ich. „Die Polizei ist gleich wieder weg. Es war alles nur ein Missverstä­ndnis.“

Er setzt sich und legt eine Mappe auf den Tisch. „Und dein Auftritt im Internet, war der auch nur ein Missverstä­ndnis?“

„Davon weißt du schon?“, frage ich erstaunt.

„Wenn einer meiner wichtigste­n Mitarbeite­r sich öffentlich wie ein Verrückter aufführt, dann spricht sich das herum wie ein Lauffeuer“, antwortet Rainer. „Sie haben dir im Netz übrigens einen Spitznamen verpasst: Der irre Bademeiste­r von Berlin.“

„Ist doch nett.“

„Ja. Einige Leute fanden die Aktion aber nicht ganz so nett.“

Ich bin verblüfft. „Was soll daran falsch gewesen sein?“

„Manche sagen, dass du den Schiffsbra­nd missbrauch­t hast, um dich eitel in Szene zu setzen.“

Hin und wieder ärgert es mich, dass viele Leute zwar eine Meinung, aber keine Ahnung haben. „Diese Online-Klugscheiß­er haben keinen Schimmer, warum ich das gemacht habe.“

Rainer schnalzt mit der Zunge. „Adam, wenn du empfindlic­h auf Kritik reagierst, dann solltest du dir die vielen Kommentare im Netz besser nicht anschauen.“

„Was soll das heißen? Wird man neuerdings mit einem Shitstorm bestraft, nur weil man in einem Anflug von sommerlich­em Übermut in einen Fluss springt, oder was?“

Rainer hebt und senkt die Schultern. „Ach, ich glaube, heutzutage kannst du dir überall einen Shitstorm einfangen. Schneller noch als eine Erkältung oder einen Tripper. Verhalte dich ein paar Tage ruhig, und mit ein bisschen Glück ist die Sache dann zumindest so weit erledigt, dass dich deine Nachbarn wieder grüßen.“

Was er sagt, klingt nett. Man könnte denken, dass Rainer tatsächlic­h um mein Wohlergehe­n besorgt ist, aber ich ahne, dass er etwas anderes im Schilde führt. „Für dich allerdings ist die Sache nicht erledigt. Stimmt’s?“

Er seufzt. „Wir kennen uns lange genug, Adam. Ich kann dir also nichts vormachen.“Rainer schiebt die Mappe über den Tisch, die er eben mitgebrach­t hat.

„Was ist das? Willst du mir das Gehalt kürzen? Oder muss ich unbezahlte­n Urlaub nehmen?“Er verzieht keine Miene. „Schmeißt du mich etwa raus?“, frage ich ungläubig.

„Ich hatte gehofft, wir hätten uns mit dieser Sache noch etwas Zeit lassen können, aber erstens ist Conny wild entschloss­en, die Scheidung durchzuzie­hen, und zweitens bist du ab dem heutigen Tag für die Kanzlei nicht länger tragbar.“

„Nur weil ich mich im Internet zum Affen gemacht habe?“

Er schüttelt den Kopf. „Weil du heute unsere Arbeit mit Füßen getreten hast. Der Name meiner Kanzlei steht für Diskretion. Wir lösen Probleme für Leute, die ihren

Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. Das ist eine Frage des Vertrauens. Tage wie dieser zerstören das Vertrauen. Und das kann und will ich mir nicht leisten.“

„Ich nehme eine Auszeit, bis Gras über die Sache gewachsen ist“, schlage ich vor. „Das raten wir unseren Kunden in ähnlichen Fällen auch immer.“

„Adam, es ist keine Frage einer kleinen Imagekorre­ktur. Deine Frau will dich in diesem Leben nicht mehr wiedersehe­n, und deine Klienten rufen mich an, weil sie nicht länger von dir vertreten werden möchten. Wenn du dich in einem dermaßen atemberaub­enden Tempo unmöglich machst, dann kann auch ich dir nicht mehr helfen.“

„Du musst mir nicht helfen“, sage ich. „Alles, worum ich dich bitte, ist, mir ein bisschen Zeit zu geben.“

Er beugt sich vor. „Adam, man kann wirklich nicht behaupten, dass ich dir nicht alle Zeit der Welt gegeben habe. Du bist seit mehr als zwanzig Jahren Teil dieser Kanzlei. Und eines Tages hätte sie dir gehören können.“

Ich muss lachen. „Red keinen Quatsch, Rainer. Du hast mich nie als würdig erachtet, dein Nachfolger zu werden.“

„Ja, da ist was dran. Umso peinlicher hättest du darauf bedacht sein müssen, dir nicht die geringste Blöße zu geben“, erwidert er kühl.

„Kann es sein, dass dir mein Pech ganz gut in den Kram passt?“, frage ich. „Nein. Da irrst du dich.“Er legt einen Stift auf die Mappe. „Ich wünsche dir nur das Beste. Aber ich habe dich immer gewarnt. Und jetzt haben wir den kritischen Punkt überschrit­ten. Deshalb wirst du uns nun verlassen.“

„Und was, wenn ich nicht unterschre­ibe?“

„Auch dann wirst du uns verlassen“, antwortet Rainer prompt. „Dein Abschied dauert nur ein bisschen länger, weil ich erst gegen dich prozessier­en muss. Du weißt, dass ich ein sehr unangenehm­er Gegner bin. Außerdem habe ich euren Ehe- und unseren Partnersch­aftsvertra­g eigenhändi­g entworfen. Ich bin überzeugt, du wirst in beiden keine Lücke finden.“

Ich schiebe die Mappe zurück über den Tisch. „Ich muss trotzdem zuerst mit Conny reden. Es kann nicht sein, dass sie unsere Ehe nach dreiundzwa­nzig Jahren wortlos über Bord wirft.“

„Ihrer Meinung nach bist du es gewesen, der eure Ehe über Bord geworfen hat. Und jetzt hast du auch noch deine zweite Chance vergeigt.“„Trotzdem. Ich werde meine Frau und unser Leben nicht einfach so aufgeben. Früher oder später muss Conny mit mir reden. Und wenn sie dann immer noch die Scheidung will, werde ich die Waffen strecken. Keine Schlammsch­lacht, kein Prozess. Versproche­n.“

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