Der Traum von Europa
Aufsteiger Rayo Vallecano sorgt in der spanischen Meisterschaft derzeit für Furore
Nach 16 Spieltagen im spanischen Oberhaus ist Rekordmeister Real Madrid seinen Verfolgern bereits enteilt. Dies scheint in dieser Saison jedoch weniger an der eigenen Übermacht, als an der schwächelnden Konkurrenz zu liegen.
Erzrivale FC Barcelona befindet sich im Umbruch und macht gerade eine schwierige Phase durch. Titelverteidiger Atletico Madrid offenbarte zuletzt immer wieder ungewohnte Abwehrschwächen und leistete sich vor allem im eigenen Stadion unerwartete Punktverluste. Die Tatsache, dass sich zurzeit der FC Sevilla – zwar im gebührenden Abstand von acht Punkten, jedoch mit einem Nachholspiel in der Hinterhand – in Lauerstellung befindet, überrascht kaum. Lokalrivale Betis Sevilla als aktueller Tabellendritter umso mehr.
Die Sensation schlechthin ist jedoch Aufsteiger Rayo Vallecano, dessen Höhenflug die Fachwelt aus dem Staunen nicht herauskommen lässt. Der Vorortclub aus Madrid hatte im vergangenen Frühjahr als Tabellensechster in der Segunda Division gerade noch so die Aufstiegsrunde erreicht, sich dort am Ende durchgesetzt und, nach zwei Jahren Abstinenz, die Rückkehr ins Oberhaus geschafft. Als wäre dies nicht schon Überraschung genug gewesen, startete Rayo nach schwachem Saisonbeginn richtig durch.
Die beiden Auswärtsniederlagen zum Auftakt schienen alle Experten, die Vallecano als Abstiegskandidat Nummer eins handelten, zu bestätigen. Anschließend strafte der Underdog die Kritiker allerdings Lügen. Mit einer nahezu makellosen Heimbilanz löste sich das Team von Trainer Andoni Iraola nicht nur vom Tabellenende, sondern schaffte inzwischen sogar den Sprung auf einen Europacupplatz.
Von sieben Partien im rund 15 000 Zuschauer fassenden Campo de Futbol de Vallecas gewann Rayo deren sechs, 17 der bisherigen 24 Saisontreffer gelangen vor eigenem Publikum. Lediglich Celta Vigo entführte einen Zähler (0:0) aus dem kleinen Hexenkessel. Dass auch auswärts mit Rayo Vallecano zu rechnen ist, zeigte das Lokalderby bei Real Madrid. Der haushohe Favorit behielt gegen den kleinen Nachbarn nur knapp mit 2:1 die Oberhand.
Erfolg trotz wenig Geld
Vier Punkte Vorsprung auf den großen FC Barcelona kommen nicht von ungefähr. Auch die Katalanen erfuhren die Stärke des Neulings am eigenen Leib. Mit 1:0 gab der Außenseiter am elften Spieltag dem fünfmaligen Champions-League-Sieger das Nachsehen, den Siegtreffer erzielte Routinier Radamel Falcao.
Der 35-jährige Kolumbianer ist mit bislang fünf Toren ebenso maßgeblich am Höhenflug des Teams beteiligt, wie sein Sturmpartner Alvaro Garcia, der ebenso oft traf. Bemerkenswert ist dabei, dass Falcao erst neun Partien bestritt und keine davon über die volle Distanz auf dem Platz stand. Dreh- und Angelpunkt der Mannschaft ist der Argentinier Oscar Trejo, seit vier Jahren in Diensten von Vallecano.
Neben drei selbst erzielten Toren bereitete der 33-Jährige sieben weitere Treffer vor. Mit 53 Millionen Euro verzeichnet das Team aus dem Stadtteil Vallecas den drittkleinsten Gesamtmarktwert, insgesamt etwas weniger als die Real-Stars Thibaut Courtois, David Alaba, Casemiro und Federico Valverde jeweils alleine aufweisen.
Geldknappheit ist im eher armen Arbeiterviertel vor den Toren der Hauptstadt nichts Besonderes. Als sich Rayo vor acht Jahren für die Europa League qualifiziert hatte, wurde dem Verein seitens der UEFA wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten die Teilnahme verweigert. 2016 rutschte man zum wiederholten Male in die Zweitklassigkeit ab, um zwei Jahre später wieder in die Elite zurückzukehren. Die Geschichte wiederholte sich in der Folgesaison erneut.
Letzte Station der Ex-Stars
Seit 2011 erlebte Vallecano sechs Auf- und Abstiege. Der Liebe der Fans zu ihrem Club tat dies indes nie einen Abbruch. Diese sind immer noch besonders stolz auf den bislang größten Erfolg der 97-jährigen Vereinsgeschichte. In der Saison 2000/2001 hatte man es immerhin bis ins UEFA-Cup-Viertelfinale geschafft.
Obwohl es, mit Ausnahme der Zweitligameisterschaft 2018, noch nie für einen Titelgewinn reichte, übte Rayo zudem stets eine gewisse Anziehungskraft auf gestandene Stars aus. Ehemalige RealGrößen wie Hugo Sanchez und Ricardo Gallego schnürten nach dem Höhepunkt ihrer Laufbahn ebenso die Schuhe in Vallecas wie der Österreicher Toni Polster und der zweimalige russische Fußballer des Jahres Viktor Onopko.
Das Image der Fahrstuhlmannschaft will Rayo Vallecano ablegen. In dieser Saison scheint für das Stehaufmännchen des spanischen Fußballs alles möglich. Gekommen, um zu bleiben – lautet offenbar das neue Motto des Überraschungsteams.