„Die 'Gig-Economy' muss sich Regeln fügen“
Der luxemburgische EU-Kommissar Nicolas Schmit will bessere Arbeitsbedingungen für Plattform-Arbeiter
Uber, Deliveroo, Just Eat Takeaway – all diese Akteure der sogenannten „GigEconomy“sind derzeit EU-weit sehr erfolgreich und beliebt. Nur: Viele sind der Meinung, dass sich einige dieser Online-Plattformen systematisch an Sozialstandards vorbeischummeln. Um damit Schluss zu machen, hat die EU-Kommission gestern einen Richtlinien-Vorschlag gemacht. Nicolas Schmit (LSAP), der EU-Kommissar für Soziales, erläutert, was Brüssel dabei genau vorhat.
Nicolas Schmit, die „Gig-Economy“wird von vielen Konsumenten sehr positiv gesehen: Man kann dadurch einfach und billig auf Fahr- und Lieferdienste zurückgreifen. Warum wollen Sie etwas daran ändern?
Wir wollen nichts am Prinzip der „Gig-Economy“ändern und verstehen absolut, dass sie nunmehr zur zeitgenössischen Wirtschaftslandschaft dazugehört. Unsere Gewohnheiten ändern sich und es gibt einen Markt dafür, der ein großes Wachstumspotenzial hat. Doch die „Gig-Economy“darf sich nicht jenseits des Rahmens der fundamentalen sozialen Rechte bewegen. Es kann doch nicht sein, dass die meisten Wirtschaftszweige soziale Rechte einhalten, wie etwa den Mindestlohn für Arbeitnehmer, und daneben ein Alternativmodell floriert, das auf diese Regeln verzichtet.
Es geht also um faire Wettbewerbsbedingungen?
Es geht einerseits darum, jene Menschen, die in der PlattformWirtschaft arbeiten, besser zu schützen. Andererseits geht es aber auch darum, faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Unternehmen zu haben. Die „GigEconomy“muss sich den Regeln, und dazu gehören auch soziale Standards, die es in unseren Wirtschaftssystemen gibt, fügen.
Sie wollen also die Rechte von Arbeitnehmern in diesem Bereich stärken. Von wie vielen Menschen EU-weit reden wir überhaupt?
Insgesamt beschäftigt die Plattform-Wirtschaft in der EU um die 28 Millionen Menschen und wir sind der Meinung, dass diese Zahl in den nächsten Jahren schnell ansteigen wird. Besonders gefährdet sind dabei aber vor allem jene Arbeiter, die Dienste ausführen, die sich in der physischen Welt abspielen, wie etwa Lieferanten oder Fahrer. Das macht auch die Mehrheit dieser Plattformen aus. Architekten, die durch eine Online-Plattform oder eine App an Kunden kommen, arbeiten dagegen meist in deutlich weniger prekären Bedingungen.
Werden dieses Lieferanten und Fahrer denn alle ausgebeutet?
So weit würde ich nicht gehen. Einige davon haben bereits Rechte. Denn einige Plattformen schließen bereits klassische Arbeitsverträge mit ihrem Personal ab, das dann in den Genuss der damit verbundenen Rechte kommt. Daneben gibt es auch zahlreiche echte Selbstständige, die auf diese
EU-Kommissar Nicolas Schmit glaubt, dass die Plattform-Wirtschaft auch mit höheren sozialen Standards erfolgreich sein wird.
Dienste zurückgreifen, um an Kunden zu kommen. Das Problem sind aber Plattformen, die auf Selbstständige zurückgreifen und diesen danach Auflagen aufdrängen, die sie faktisch zu Angestellten machen. Nur haben sie als Scheinselbstständige die dazugehörigen Rechte nicht. Hier geht es um ungefähr fünf Millionen Menschen, die unserer Meinung nach falsch eingestuft werden. Dagegen wollen wir mit unserem Vorschlag vorgehen. Wir gehen davon aus, dass zwischen 1,7 Millionen und
4,1 Millionen Menschen infolgedessen zu Angestellten werden.
Wie wollen Sie das machen?
Die meisten Plattformen bezeichnen sich als Vermittler. Beschäftigte arbeiten demnach nicht für die Plattform, sondern nutzen diese – als Selbstständige – lediglich, um an Kunden zu kommen. Soweit jedenfalls die Theorie. Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus. In den meisten Fällen stehen diese sogenannten Selbstständigen völlig unter dem Befehl der Plattform – sie werden von einem Algorithmus überwacht, haben keinerlei Freiheit, um Preise festzulegen, und haben nicht immer die Möglichkeit, für andere Plattformen zu arbeiten. Sie werden also wie feste Angestellte behandelt und kontrolliert. Das sind die Fakten und überall in Europa gibt es Gerichtsfälle, die dies bestätigen. Es gibt hier also eine
Form von Unterordnung, die dazu führen müsste, dass diese Arbeitnehmer als Angestellte angesehen werden. Und damit sind eine ganze Reihe von Rechten verbunden. Das ist leider aber nur selten der Fall. Das will unser RichtlinienVorschlag ändern.
Wie genau?
Wir wollen eine Reihe von Kriterien festlegen, die zeigen, inwiefern ein Beschäftigter den Befehlen einer Plattform unterliegt. Wir führen demnach eine Art von rechtlicher Vermutung ein, die davon ausgeht, dass ein Beschäftigter einer Plattform ein Angestellter ist, der Rechte hat. Ist das nicht der Fall, dann muss ein Unternehmen das auch beweisen können.
Während der Pandemie haben Restaurants nur durch die Tätigkeiten von Lieferdiensten überleben können. Haben Sie keine
Angst davor, ein Geschäftsmodell zu zerstören, das – trotz aller berechtigten Kritik – Arbeitsplätze und Wachstum schafft?
Dieses Geschäftsmodell hat sich allerdings nur durch eine gewisse Form von Trickserei aufbauen können: Indem Beschäftigte als Selbstständige eingestuft werden, haben einige Plattformen ihre Kosten extrem reduziert. Die Geschäftsidee einiger Plattformen baut demnach auf eine gewisse Form von Sozialdumping. Man muss sich demnach die Frage stellen, ob ein derartiges Modell wirklich nachhaltig ist. Interessanterweise gibt es bereits Beispiele, die zeigen, dass dieses Wirtschaftsmodell tatsächlich auch mit fairen Regeln und festen Angestellten möglich ist. Die erfolgreiche Lieferplattform Just Eat Takeaway hat das beispielsweise von Anfang an gemacht. Jitse Groen, der Chef dieser Plattform, ist etwa sehr zufrieden mit unserem Vorschlag. Also läutet unsere Idee keineswegs das Ende der „GigEconomy“ein. Ich glaube im Gegenteil, dass dieses Modell sehr wohl mit sozialen Rechten und Angestellten vereinbar ist. Natürlich braucht es dabei auch noch Flexibilität für Kunden und Beschäftigte. Aber das eine schließt das andere nicht aus.
In Spanien wurde neulich ein Gesetz verabschiedet, das in eine ähnliche Richtung wie Ihre Richtlinie geht. Daraufhin haben mehrere Lieferanten-Vereinigungen Sie angeschrieben, um sich darüber zu beschweren. Die Lieferanten befürchten etwa, dass ihnen künftig die Möglichkeit fehlt, flexibel arbeiten zu können. Sind diese Argumente so abwegig?
Wir haben uns sehr viel mit Plattform-Arbeitern ausgetauscht und dabei habe ich derartige Argumente nur sehr selten gehört. Wir wollen die Flexibilität ja nicht ausschließen. Obendrein glaube ich nicht, dass diese Leute gegen bessere Löhne und fairere Arbeitsbedingungen demonstriert haben. Und bis auf den Fall, den Sie ansprechen, habe ich nur wenig Kritik gegenüber unserem Vorhaben gehört. Dagegen hat es Hunderte von Klagen von Arbeitnehmern gegen die Missbräuche einiger Plattformen gegeben.
Welches Resultat erwarten Sie sich von der Richtlinie?
Dadurch, dass Plattformen beweisen müssen, dass die Beschäftigten Selbstständige sind, gehe ich davon aus, dass viele dieser Unternehmen die Struktur ihrer Belegschaft ändern werden. Entweder werden sie Selbstständige wie richtige Selbstständige behandeln, oder sie werden die Leute einstellen müssen.
Einige dieser Plattformen drohen damit, mit ihrem Geschäft ganz aufzuhören ...
Die Geschichte wiederholt sich bei jeder Reform und die Argumente sind immer die gleichen ... Immer wieder wird behauptet, dass mehr soziale Rechte zum Ende einer Industrie führen würden. Das war bei der Einführung des Acht-Stunden-Tages der Fall, das wurde auch bei der Abschaffung der Kinderarbeit im neunzehnten Jahrhundert in Europa behauptet. Der Diskurs der Arbeitgeber ist seit jeher der gleiche: Die Industrie braucht Flexibilität und Regeln streichen Arbeitsstellen. Die Geschichte beweist aber immer wieder, dass dies falsch ist. Industriezweige haben sich nämlich immer wieder an Auflagen anpassen können. Ich gehe demnach davon aus, dass das diesmal auch so sein wird.
Dieses Geschäftsmodell hat sich nur durch eine gewisse Form von Trickserei aufbauen können.