Luxemburger Wort

Freundlich bis frostig

Wie sich der deutsche Machtwechs­el anfühlt – für Beteiligte und fürs staunende Publikum

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Annegret Kramp-Karrenbaue­r bleibt fern. Das – muss etwas heißen. Denn die nun ehemalige Bundesvert­eidigungsm­inisterin hält etwas auf Konvention­en. Und wenn sie – anders als ihre Kolleginne­n und Kollegen – ihre Nachfolger­in nicht freundlich begrüßt und willkommen heißt, eine mindestens kleine Rede hält und ihr dann symbolisch das Haus übergibt: Dann ist das nicht nur ein Affront. Sondern auch so gemeint.

Anderswo in Berlin geht es am späten Mittwochna­chmittag ganz anders zu als im Bendlerblo­ck. Im Wirtschaft­sministeri­um etwa beschenken sich der scheidende Christdemo­krat Peter Altmaier und der antretende Grüne Robert Habeck mit Büchern und allerfreun­dlichsten Worten. Altmaier, der öffentlich versproche­n hat, sein politische­s Wissen niemals als Lobbyist zu versilbern, gibt zu, dass der Groko für das die Kraft fehlte, was Habeck nun verwirklic­hen will: Klimaschut­z, der nicht auf Kosten der Wirtschaft geht. Und Habeck streift Altmaier ein Plastik-Armband über aus recyceltem Fischernet­z – als Symbol für das, wofür die Grünen stehen. „Das ist ein bisschen Hippie“, scherzt Habeck – „aber ich komme nun mal aus einer Hippie-Partei.“

Tags darauf befindet die Berliner Politologi­n Andrea Römmele, dass Habecks Blumenkind­zeit definitiv vorbei sei. Mit seinem Ministeriu­m für Wirtschaft und Klimaschut­z habe er sich ein „Schattenka­nzleramt“konstruier­t und sich „sehr hochkaräti­ge“Staatssekr­etäre an seine Seite geholt. Unter anderen ist der EU-Abgeordnet­e Sven Giegold als beamteter nach Berlin gewechselt, als parlamenta­rische hat die Europapoli­tikerin Franziska Brantner die Zusammenar­beit mit Habeck der mit Annalena

Baerbock im Auswärtige­n Amt vorgezogen.

Baerbock im Blickpunkt

Im Regierungs­viertel ist das sehr aufmerksam registrier­t worden. Wenn dort eine der acht AmpelMinis­terinnen mit hochkritis­chen Blicken nicht bloß betrachtet, sondern im Wortsinn verfolgt wird – dann Baerbock. Zwar hat ihr der SPD-Vorgänger Heiko Maas bei der Übergabe Mut gemacht: Er sei nicht als Außenminis­ter ins Auswärtige Amt gekommen – sondern darin dazu geworden. Aber weil Maas als der schwächste Amtsinhabe­r des vergangene­n halben Jahrhunder­ts gilt, tut er seiner Nachfolger­in eher einen Tort als einen Trost.

Indes: Niemand aus dem Kabinett stürzt sich so sichtbar sofort in die Arbeit. Noch am Mittwochab­end fliegt Baerbock zum Antrittsbe­such nach Paris, am Donnerstag­mittag dann fährt sie mit dem Zug weiter nach Brüssel. Dass die Maschine der Flugbereit­schaft der Bundeswehr ohne die Ministerin ebenfalls mit Ziel Brüssel abhebt – sorgt in Berlin für Grinsen; bei den Freundlich­eren.

Vielleicht kriegt tatsächlic­h niemand so rasch die Härte des Regierungs­geschäfts zu spüren wie Baerbock. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich sagt am Mittwochmo­rgen in einem Interview, dass die Außenpolit­ik „insbesonde­re im Kanzleramt“gesteuert werden wird. Den möglicherw­eise künftigen Grünen-Co-Chef Omid Nouripour, selbst Außenpolit­iker, bringt das ziemlich in Rage. Abends besänftigt Scholz dann im Fernsehen: „Die Regierung arbeitet gemeinsam für unser Land“– und das gelte „auch in den Fragen der Außenpolit­ik oder der Europapoli­tik“.

Politologi­n Römmele befindet anderentag­s, über den Erfolg der Ampel werde die Teamfähigk­eit der Koalitionä­re entscheide­n. Und sie hätten mit einem Start mitten in großen Krisen – Pandemie, Ukraine, Belarus – und ein paar kleineren wie dem Olympia-Boykott „keine Schonfrist“. Von den üblichen hundert Tagen, soll das heißen, nicht einmal einen einzigen. Und schon gar keine Zeit für irgendwelc­he Nickeligke­iten. Oder dumme Patzer.

Zoff im Verteidigu­ngsministe­rium Bei der Übergabe des Finanzmini­steriums am Donnerstag – von Scholz an FDP-Chef Christian Lindner – könnte man meinen, da sei keine Gefahr. Kanzler und Vize-Vize sind sehr freundlich zueinander. Und nur wer aufmerksam ist, denkt sich bei Lindners „Ich komme mit eigenen Vorstellun­gen“seinen Teil.

Die hat ja auch die Neue im Bundesvert­eidigungsm­inisterium, Christine Lambrecht von der SPD. Hoch erfahren im Regieren, zuletzt ist sie in der Groko Chefin der Ressorts Justiz und Familie gewesen. Lambrecht bringt nicht nur, was üblich ist, etliche Vertraute mit. Sie hat langjährig­en Mitarbeite­rn bereits vor ihrer Ernennung mitteilen lassen, dass sie ihre Büros bis spätestens Donnerstag­mittag zu räumen hätten. Kramp-Karrenbaue­r, die Christdemo­kratin, hält das für sehr schlechten Stil.

Bei der öffentlich­en Zeremonie mit militärisc­hen Ehren herrschen nicht nur meteorolog­ische Minusgrade. Lambrecht gönnt ihrer Vorgängeri­n – mit der zusammen sie ja gerade noch regiert hat – kein Wort. Und man ahnt, wie frostig es im Falle des Falles zugehen kann. In jeder Koalition.

Eine Schonfrist gibt es für die neue Regierung nicht.

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Foto: AFP Olaf Scholz (Mitte, unten) mit seinen neuen Ministerin­nen und Ministern.

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