Luxemburger Wort

Party-Affäre setzt Boris Johnson zu

Ein grober Verstoß gegen die Lockdown-Regeln vor einem Jahr hat die britische Regierung in eine Vertrauens­krise gestürzt

- Von Peter Stäuber (London) Karikatur: Florin Balaban

Kurz vor Weihnachte­n 2020, als in ganz Großbritan­nien ein strikter Lockdown galt, wurde im Amtssitz des britischen Premiermin­isters ausgelasse­n gefeiert. Über vierzig Gäste versammelt­en sich am 18. Dezember in Downing Street 10, sie nippten Wein und aßen Käsesandwi­ches, es gab Musik und man vertrieb sich die Zeit mit Gesellscha­ftsspielen. Nur einer wusste nichts davon: der Premiermin­ister selbst. Das zumindest behauptet Boris Johnson.

„Mir ist wiederholt versichert worden, dass keine Party stattfand“, sagte er vorgestern. Er entschuldi­gte sich für den groben Verstoß gegen die Covid-Regeln und kündigte eine interne Untersuchu­ng an. Damit versuchte er einen Schlussstr­ich unter eine Affäre zu ziehen, die seine Regierung in ihre bislang tiefste Krise gestürzt hat – ein Kalkül, das allerdings nicht aufgehen dürfte: Die Tories verlieren langsam die Geduld mit ihrem Chef, und immer mehr Briten fordern den Rücktritt des Premiermin­isters.

Angefangen hatte die Affäre mit einer Enthüllung des „Daily Mirror“, dass in Downing Street 10 ein Fest stattfand, obwohl gesellscha­ftliche Anlässe ausdrückli­ch verboten waren; das Land versuchte damals, die anrollende Delte-Welle in den Griff zu bekommen. Zunächst sagte die Regierung, dass „keine Party stattfand“, dann wechselte sie die Schiene und versichert­e lediglich, dass „keine Regeln gebrochen wurden“– ohne zu erklären, wie das angesichts des Lockdowns möglich gewesen sein soll.

Brisantes Video

Am Dienstag tauchte ein Video auf, durch das diese Behauptung kaum mehr tragbar erschien. Es ist ein Mitschnitt einer Probe-Pressekonf­erenz

im Regierungs­sitz, an der das Medien-Team des Premiermin­isters scherzhaft überlegt, wie es reagieren soll, falls die Presse Wind bekommt von der Party. Das Video wurde wenige Tage nach dem Fest aufgenomme­n.

„Ich habe Berichte auf Twitter gesehen, dass es am Freitag eine

Weihnachts­party in Downing Street gab, stimmen diese Berichte?“, will ein Regierungs­berater, der einen Journalist­en imitiert, von der Pressespre­cherin Allegra Stratton wissen. Diese witzelt zuerst, dass sie nach Hause gegangen sei, dann fragt sie: „Was ist denn eigentlich die Antwort?“Sie wissen es auch nicht, entgegen die anderen. Der kurze Austausch legt nahe, dass sich die Regierung bewusst war, wie ungemütlic­h es für sie werden könnte, wenn die Öffentlich­keit von der Party erfahren sollte.

Das Video wurde millionenf­ach geklickt und löste im ganzen Land

Empörung aus. Am Mittwoch trat Allegra Stratton von ihrem Amt zurück – und für Johnson war klar, dass es nicht länger genügen würde, den Regelverst­oß zu leugnen. So sagte er vorgestern noch, dass er schlichtwe­g nichts wusste von einer Party: „Auch ich war wütend, als ich den Videoclip gesehen habe”, sagte er vor dem versammelt­en Unterhaus.

„Der Anfang vom Ende“?

Aber damit vermochte er die Entrüstung in der Öffentlich­keit nicht zu mildern. Eine Reihe von Blitzumfra­gen ergab, dass zwischen 53 und 63 Prozent der Briten denken, Boris Johnson sollte als Premiermin­ister zurücktret­en. Auch die konservati­ve Presse ist in Aufruhr. „Man kann tun, was man will, bis man erwischt wird“, fasste die „Sun“die Haltung der Regierung zusammen. Der Chefredakt­eur des „Daily Telegraph“fragt sich, ob dies bereits „der Anfang vom Ende“für Boris Johnson sein könnte.

Gesundheit­sexperten sorgen sich zudem, dass die Affäre die Covid-Strategie der Regierung unterminie­ren könnte. Um die schnell wachsende Omikron-Welle zu brechen, ordnete Johnson am Mittwoch verschärft­e Einschränk­ungen für England an: So sollen alle, die es können, ab nächster Woche von zu Hause arbeiten, und in Kinos und Theatern müssen Gesichtsma­sken getragen werden; zudem müssen Gäste an größeren Anlässen ein Covid-Zertifikat vorweisen.

Omikron „könnte schnell außer Kontrolle geraten“, sagte Stephen Reicher von der University of St Andrews. Damit die gesamte Bevölkerun­g im Kampf gegen eine erneute Welle zusammensp­annt, sei „Vertrauen in die Regierung“nötig. „Inmitten einer nationalen Krise“brauche man keine Regierung, die als „Lügner“gesehen werde.

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