Alles anders
Ausschreitungen bei Corona-Demo haben bislang nie genutzte Maßnahmen zur Folge
Luxemburg. Die Ereignisse von vergangener Woche durften nicht ohne Konsequenzen bleiben: Nach den Ausschreitungen bei den Corona-Demos gibt sich die Regierung an diesem Wochenende andere Regeln im Umgang mit Protesten. Kundgebungen, wie etwa jene, die sich am Samstag und Sonntag gegen die Corona-Maßnahmen richten, dürfen nur in einem definierten Korridor zwischen Glacisfest und Place de l'Europe in Kirchberg stattfinden.
Die Ereignisse der vergangenen Woche dürften sich auf keinen Fall wiederholen, betonte Polizeiminister Henri Kox (Déi Gréng) gestern bei der Ankündigung der außergewöhnlichen Maßnahme. Die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht seien wichtige Errungenschaften der Demokratie. Es müsse aber ein Gleichgewicht zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz von Drittpersonen gefunden werden.
Neben dem eingerichteten Demonstrationskorridor werden deutlich mehr Polizisten eingesetzt. Gemeinsam mit Verstärkung aus dem Ausland sollen die Beamten dafür sorgen, dass die Demonstrationen friedlich verlaufen. Der Minister gestand der Polizei zudem für dieses Wochenende ein ausgeweitetes Recht zur Identitätskontrolle zu. Eine Möglichkeit, die erst mit der Polizeireform von 2018 eingeführt wurde und zur akuten Gefahrenabwehr eingesetzt werden kann.
Proteste am Samstag und Sonntag geplant
Der beigeordnete Polizeigeneraldirektor Donat Donven wollte nicht auf operative Einzelheiten eingehen. Die Polizei gebe sich die nötige Flexibilität, um auf verschiedene Szenarien reagieren zu können. Man setze weiter auf Deeskalation. Henri Kox betonte, dass die Polizisten aber Szenen, wie sie sich am Wochenende auf den Christmärkten, vor der Chamber oder vor dem Wohnhaus des Premierministers zugetragen haben, nicht tolerieren werden.
Die Proteste vom Samstag waren im Vorfeld nicht angemeldet worden. Es waren lediglich Aufrufe in den sozialen Medien für ein „Rassemblement national“auf dem Glacisfeld verbreitet worden. Auch für diesen Samstag kursiert ein Aufruf für eine solche Versammlung, die wohl nicht ordnungsgemäß angemeldet ist.
Anders sieht es unterdessen bei dem am Samstag geplanten Corona-Protest aus, der unter dem Namen „Saturday for Liberty“oder „Polonaise solidaire“bekannt ist. Diese Kundgebungen finden seit einem Jahr wöchentlich statt und verliefen bis auf verbale Auseinandersetzungen weitgehend friedlich. Am Wochenende hatten sich die Teilnehmer der „Polonaise solidaire“dem „Rassemblement national“angeschlossen. In dieser Gruppierung lässt sich zudem eine Radikalisierung feststellen.
So schickte einer der Organisatoren, Jean-Marie J., der Bürgermeisterin Lydie Polfer nach den Protesten am Wochenende eine EMail, in der er mit weiteren Ausschreitungen drohte, sollte die Stadtbürgermeisterin das Demonstrationsrecht einschränken. Die Organisatoren der „Polonaise solidaire“zählten auch zu den Demonstranten, die vorletzten Dienstag erstmals die Wohnhäuser von Corinne Cahen und Xavier Bettel aufsuchten.
Am Sonntag ist indes ebenfalls eine Marche blanche silencieuse geplant. Die seit September im Zweiwochenrhythmus stattfindenden Demonstrationen gegen die Covid-Maßnahmen verliefen bislang friedlich. Die Bewegung sieht sich selbst als sozial-pazifistisch. Man wolle verhindern, dass die sanitär-politische Situation die Gesellschaft spalte, heißt es. Die Veranstaltungen wurden stets ordnungsgemäß angemeldet. Die Organisatoren halten sich jedoch gezielt im Hintergrund. LW-Recherchen belegten aber bereits im November, dass ein nicht unbedeutender Teil dieses Personenkreises Verschwörungsmythen im Internet verbreitet.
Ein für heute Abend geplanter Fackelzug von Amnesty international wird nicht unter der geplanten Form stattfinden. Die Vereinigung reagierte, nachdem Teilnehmer der gewaltsamen Proteste vom Wochenende in den sozialen Medien Gleichgesinnte aufgerufen hatten, an der Menschenrechtsdemonstration teilzunehmen.
Wer organisierte den „Rassemblement national“?
Noch am vergangenen Sonntag hatte der Polizeiminister angekündigt, dass die Polizei Ermittlungen zu den Vorfällen einleite. Festgestellte Straftaten würden an die Justiz weitergeleitet. Strafrechtliche Konsequenzen sind somit sowohl für die Teilnehmer als auch die Organisatoren nicht ausgeschlossen. Letztere zu identifizieren, dürfte denn auch Teil der Anstrengungen der Behörden sein.
Da die Proteste nicht angemeldet waren, gibt es nämlich keinen offiziellen Organisator. Auch die Aufrufe in den sozialen Medien waren mit dem Hinweis einhergegangen, dass die Organisatoren unbekannt seien. Videomaterial der Demonstration, das dem „Luxemburger Wort“vorliegt, liefert aber deutliche Hinweise dazu, wer die Schlüsselfiguren hinter dem „Rassemblement national“sind.
Die mutmaßlichen Initiatoren entstammen einer Gruppierung, die sich vorwiegend durch ihr Engagement für ein Verfassungsreferendum hervortat. Zu ihnen gehören auch Mitglieder des Comité d'initiative, das eine Unterschriftenaktion in den Gemeinden für das Referendum erwirkt hat.
Auch wenn sie nicht zur Gewalt aufriefen, dürften die Initiatoren eine Teilverantwortung für die Ereignisse am vergangenen Samstag tragen. Immerhin brachten sie rund 2 000 aufgebrachte Menschen zusammen, ohne durch eine ordnungsgemäße Anmeldung notwendige Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Durch ihre Fahrlässigkeit ebneten sie den Weg für die Eskalationen. Es war zudem Sacha B., ein 27-jähriger Gefängniswärter und Mitglied des Comité d'initiative, der auf der Kinnekswiss die Menge dazu aufrief, sich über die Straßen in Richtung des Weihnachtsmarktes zu bewegen.
Eine entscheidende Rolle spielte an jenem Tag auch Chantal R., die mit Familienmitgliedern Teil des Comité d'initiative ist. Laut Augenzeugenberichten war sie es, die die Menschen auf dem Glacisfeld aufrief, in Richtung Kinnekswiss zu gehen. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie die Frau an dem vom Glacis in den Park ziehenden Menschenzug vorbeiläuft. Im Hintergrund ist ihre Stimme zu hören:
„Sou, elo brauche mer de Mikro“. Im Park schloss sich die Menschenmenge dann mit Teilnehmern der bereits anwesenden „Saturday for Liberty“-Kundgebung zusammen. Es folgten Reden von mehreren Personen – auch von Chantal R. und Sacha B., bis die Menschenmenge sich schließlich in Richtung Boulevard Royal in Bewegung setzte.
Eine Abschlussrede auf dem Glacisfeld
Videoaufnahmen zeigen ebenfalls, wie Chantal R. sich auch am Abend gegen Ende der Demonstration nochmals deutlich als Führungsperson hervortut. So forderte sie Demonstranten vor dem Wohnhaus des Premierministers auf, sich zurückzuziehen.
Nach der Rückkehr zum Glacis hielt sie gemeinsam mit der 27-jährigen Jessica P. vor den verbleibenden Demonstranten eine Abschlussrede. Die Studentin, die sich in den sozialen Medien gemeinsam mit Mitgliedern des Comité d'initiative für ein Verfassungsreferendum einsetzt, betonte, dass man „gutt geschafft“habe. Die Demonstranten sollten sich umarmen und nach Hause gehen.