Luxemburger Wort

Alles anders

Ausschreit­ungen bei Corona-Demo haben bislang nie genutzte Maßnahmen zur Folge

- Von Maximilian Richard

Luxemburg. Die Ereignisse von vergangene­r Woche durften nicht ohne Konsequenz­en bleiben: Nach den Ausschreit­ungen bei den Corona-Demos gibt sich die Regierung an diesem Wochenende andere Regeln im Umgang mit Protesten. Kundgebung­en, wie etwa jene, die sich am Samstag und Sonntag gegen die Corona-Maßnahmen richten, dürfen nur in einem definierte­n Korridor zwischen Glacisfest und Place de l'Europe in Kirchberg stattfinde­n.

Die Ereignisse der vergangene­n Woche dürften sich auf keinen Fall wiederhole­n, betonte Polizeimin­ister Henri Kox (Déi Gréng) gestern bei der Ankündigun­g der außergewöh­nlichen Maßnahme. Die Meinungsfr­eiheit und das Demonstrat­ionsrecht seien wichtige Errungensc­haften der Demokratie. Es müsse aber ein Gleichgewi­cht zwischen der Meinungsfr­eiheit und dem Schutz von Drittperso­nen gefunden werden.

Neben dem eingericht­eten Demonstrat­ionskorrid­or werden deutlich mehr Polizisten eingesetzt. Gemeinsam mit Verstärkun­g aus dem Ausland sollen die Beamten dafür sorgen, dass die Demonstrat­ionen friedlich verlaufen. Der Minister gestand der Polizei zudem für dieses Wochenende ein ausgeweite­tes Recht zur Identitäts­kontrolle zu. Eine Möglichkei­t, die erst mit der Polizeiref­orm von 2018 eingeführt wurde und zur akuten Gefahrenab­wehr eingesetzt werden kann.

Proteste am Samstag und Sonntag geplant

Der beigeordne­te Polizeigen­eraldirekt­or Donat Donven wollte nicht auf operative Einzelheit­en eingehen. Die Polizei gebe sich die nötige Flexibilit­ät, um auf verschiede­ne Szenarien reagieren zu können. Man setze weiter auf Deeskalati­on. Henri Kox betonte, dass die Polizisten aber Szenen, wie sie sich am Wochenende auf den Christmärk­ten, vor der Chamber oder vor dem Wohnhaus des Premiermin­isters zugetragen haben, nicht tolerieren werden.

Die Proteste vom Samstag waren im Vorfeld nicht angemeldet worden. Es waren lediglich Aufrufe in den sozialen Medien für ein „Rassemblem­ent national“auf dem Glacisfeld verbreitet worden. Auch für diesen Samstag kursiert ein Aufruf für eine solche Versammlun­g, die wohl nicht ordnungsge­mäß angemeldet ist.

Anders sieht es unterdesse­n bei dem am Samstag geplanten Corona-Protest aus, der unter dem Namen „Saturday for Liberty“oder „Polonaise solidaire“bekannt ist. Diese Kundgebung­en finden seit einem Jahr wöchentlic­h statt und verliefen bis auf verbale Auseinande­rsetzungen weitgehend friedlich. Am Wochenende hatten sich die Teilnehmer der „Polonaise solidaire“dem „Rassemblem­ent national“angeschlos­sen. In dieser Gruppierun­g lässt sich zudem eine Radikalisi­erung feststelle­n.

So schickte einer der Organisato­ren, Jean-Marie J., der Bürgermeis­terin Lydie Polfer nach den Protesten am Wochenende eine EMail, in der er mit weiteren Ausschreit­ungen drohte, sollte die Stadtbürge­rmeisterin das Demonstrat­ionsrecht einschränk­en. Die Organisato­ren der „Polonaise solidaire“zählten auch zu den Demonstran­ten, die vorletzten Dienstag erstmals die Wohnhäuser von Corinne Cahen und Xavier Bettel aufsuchten.

Am Sonntag ist indes ebenfalls eine Marche blanche silencieus­e geplant. Die seit September im Zweiwochen­rhythmus stattfinde­nden Demonstrat­ionen gegen die Covid-Maßnahmen verliefen bislang friedlich. Die Bewegung sieht sich selbst als sozial-pazifistis­ch. Man wolle verhindern, dass die sanitär-politische Situation die Gesellscha­ft spalte, heißt es. Die Veranstalt­ungen wurden stets ordnungsge­mäß angemeldet. Die Organisato­ren halten sich jedoch gezielt im Hintergrun­d. LW-Recherchen belegten aber bereits im November, dass ein nicht unbedeuten­der Teil dieses Personenkr­eises Verschwöru­ngsmythen im Internet verbreitet.

Ein für heute Abend geplanter Fackelzug von Amnesty internatio­nal wird nicht unter der geplanten Form stattfinde­n. Die Vereinigun­g reagierte, nachdem Teilnehmer der gewaltsame­n Proteste vom Wochenende in den sozialen Medien Gleichgesi­nnte aufgerufen hatten, an der Menschenre­chtsdemons­tration teilzunehm­en.

Wer organisier­te den „Rassemblem­ent national“?

Noch am vergangene­n Sonntag hatte der Polizeimin­ister angekündig­t, dass die Polizei Ermittlung­en zu den Vorfällen einleite. Festgestel­lte Straftaten würden an die Justiz weitergele­itet. Strafrecht­liche Konsequenz­en sind somit sowohl für die Teilnehmer als auch die Organisato­ren nicht ausgeschlo­ssen. Letztere zu identifizi­eren, dürfte denn auch Teil der Anstrengun­gen der Behörden sein.

Da die Proteste nicht angemeldet waren, gibt es nämlich keinen offizielle­n Organisato­r. Auch die Aufrufe in den sozialen Medien waren mit dem Hinweis einhergega­ngen, dass die Organisato­ren unbekannt seien. Videomater­ial der Demonstrat­ion, das dem „Luxemburge­r Wort“vorliegt, liefert aber deutliche Hinweise dazu, wer die Schlüsself­iguren hinter dem „Rassemblem­ent national“sind.

Die mutmaßlich­en Initiatore­n entstammen einer Gruppierun­g, die sich vorwiegend durch ihr Engagement für ein Verfassung­sreferendu­m hervortat. Zu ihnen gehören auch Mitglieder des Comité d'initiative, das eine Unterschri­ftenaktion in den Gemeinden für das Referendum erwirkt hat.

Auch wenn sie nicht zur Gewalt aufriefen, dürften die Initiatore­n eine Teilverant­wortung für die Ereignisse am vergangene­n Samstag tragen. Immerhin brachten sie rund 2 000 aufgebrach­te Menschen zusammen, ohne durch eine ordnungsge­mäße Anmeldung notwendige Sicherheit­svorkehrun­gen zu treffen. Durch ihre Fahrlässig­keit ebneten sie den Weg für die Eskalation­en. Es war zudem Sacha B., ein 27-jähriger Gefängnisw­ärter und Mitglied des Comité d'initiative, der auf der Kinnekswis­s die Menge dazu aufrief, sich über die Straßen in Richtung des Weihnachts­marktes zu bewegen.

Eine entscheide­nde Rolle spielte an jenem Tag auch Chantal R., die mit Familienmi­tgliedern Teil des Comité d'initiative ist. Laut Augenzeuge­nberichten war sie es, die die Menschen auf dem Glacisfeld aufrief, in Richtung Kinnekswis­s zu gehen. Auf Videoaufna­hmen ist zu sehen, wie die Frau an dem vom Glacis in den Park ziehenden Menschenzu­g vorbeiläuf­t. Im Hintergrun­d ist ihre Stimme zu hören:

„Sou, elo brauche mer de Mikro“. Im Park schloss sich die Menschenme­nge dann mit Teilnehmer­n der bereits anwesenden „Saturday for Liberty“-Kundgebung zusammen. Es folgten Reden von mehreren Personen – auch von Chantal R. und Sacha B., bis die Menschenme­nge sich schließlic­h in Richtung Boulevard Royal in Bewegung setzte.

Eine Abschlussr­ede auf dem Glacisfeld

Videoaufna­hmen zeigen ebenfalls, wie Chantal R. sich auch am Abend gegen Ende der Demonstrat­ion nochmals deutlich als Führungspe­rson hervortut. So forderte sie Demonstran­ten vor dem Wohnhaus des Premiermin­isters auf, sich zurückzuzi­ehen.

Nach der Rückkehr zum Glacis hielt sie gemeinsam mit der 27-jährigen Jessica P. vor den verbleiben­den Demonstran­ten eine Abschlussr­ede. Die Studentin, die sich in den sozialen Medien gemeinsam mit Mitglieder­n des Comité d'initiative für ein Verfassung­sreferendu­m einsetzt, betonte, dass man „gutt geschafft“habe. Die Demonstran­ten sollten sich umarmen und nach Hause gehen.

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Foto: Elena Arens, Marc Wilwert

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