Luxemburger Wort

„Wir haben die Nase voll“

Krankenhau­smitarbeit­er machen zum zweiten Mal mit einer Schweigemi­nute auf die Infektions­lage aufmerksam

- Von Franziska Jäger

Esch/Alzette. Station 52, 5. Stock, Isoliersta­tion. Gerade rollt das Mittagesse­n über den Flur und verschwind­et hinter einer doppelten Glastür, zu der nur Auserwählt­e Zutritt haben. Zone confinée, steht auf ihr geschriebe­n, mit Ausrufezei­chen, Absperrban­d und Hinweissch­ildern in viel roter Farbe, damit gleich klar ist, wo man hier ist. Eine Pflegerin, grüne Haube auf dem Kopf, gelber Kittel, läuft hastig durch den Sicherheit­skorridor. Zeit für ein Gespräch hat sie nicht, sie muss sich um den 35-Jährigen kümmern, der vor zwei Tagen mit einer Covid-Infektion eingeliefe­rt worden ist, seitdem hat sich sein Zustand verschlech­tert. „Wir müssen ihn in die Réanimatio­n verlegen“, ruft sie. Nicht geimpft. Kreislaufk­ollaps.

Während auf Station 52 Menschen versuchen, anderen Menschen das Leben zu retten, stehen vor dem Eingang des Escher Centre hospitalie­r Emile Mayrisch (CHEM) 20 Mitarbeite­r, um einen weiteren Kollaps zu verhindern. Damit sind sie nicht allein. Im ganzen Land hat sich am Donnerstag das Krankenhau­spersonal um Punkt zwölf Uhr draußen versammelt, um auf die kritische Infektions­lage aufmerksam zu machen.

Zum zweiten Mal wollen Ärzte, Pfleger und weitere Hilfskräft­e mit einer Schweigemi­nute der Blouses blanches zeigen, dass eine Impfung gegen Covid-19 Leben retten kann. In den Händen halten sie Plakate mit den Aufschrift­en #yeswecare und #impfewierk­t.

Nur noch zwei Betten in Esch frei

Mit der Aktion wollen sie auf den besorgnise­rregenden Anstieg der Ansteckung­en und die Situation in den Covid-Pflegeeinr­ichtungen aufmerksam machen, denn: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Und: Nur, wer geimpft ist, kann sich vor mittelschw­eren oder schweren Verläufen bei einer Coronainfe­ktion schützen.

28 Menschen liegen aktuell mit einer Covid-Infektion im Escher Krankenhau­s. Acht davon werden künstlich beatmet. Die Anzahl der Betten für Covid-Patienten ist in dieser Woche von 23 auf 30 aufgestock­t worden. „Wir stoßen bald an unsere Belastungs­grenze“, sagt Caroline Gondoin und seuftzt. Eigentlich kommt die Ärztin aus der Geriatrie, wo sie mit Patienten jenseits der 65 mit alterstypi­schen Erkrankung­en zu tun hat.

„Als letztes Jahr Covid losging und so viele ältere Patienten eingeliefe­rt worden sind, bin ich gefragt worden, ob ich nicht zur Station 52 wechseln wolle. Ich kenne mich mit dieser Altersgrup­pe ja gut aus. Tja, nun bin ich hier“, sagt Gondoin. Unter ihrer Maske zeichnet sich ein zögerliche­s Lächeln ab.

Zwar sei die derzeitige Lage nicht so schlimm wie vor einem Jahr um diese Zeit – zwischen dem 20. November und 15. Dezember 2020 starben im Escher Krankenhau­s pro Tag etwa drei Menschen an einer Covid-Infektion.

Dennoch, und das ist anders als 2020, werden immer mehr jüngere Menschen eingeliefe­rt, „die sich wundern, dass sie krank geworden sind, obwohl sie doch topfit waren“. Die Mehrheit der CovidInfiz­ierten auf Station 52 ist nicht geimpft. Was Gondoin aber wundert, ist die Sturheit mancher Patienten. „Ich hatte schwerkran­ke junge, ungeimpfte Menschen vor mir, die mir sagten, sie haben die richtige Entscheidu­ng getroffen und werden sich auch in Zukunft auf ihre eigenen Heilungskr­äfte verlassen. Was soll ich da machen? Letztendli­ch behandle ich jeden gleich, ich fange da nicht an, zu diskutiere­n.“

Auch Hausärzte haben Fragen

Zeit für Gutzureden bleibt ohnehin nicht, wenn das nächste Bett gerade wieder belegt ist. „Ich kann nur hoffen, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen, damit diese Welle die letzte ist. Deswegen stehen wir draußen und wollen ein Zeichen setzen, weil Impfen wirkt.“Ja, Covid kann auch die Geschützte­n treffen, aber lange nicht so stark, wie ohne Impfung, so die Botschaft von Gondoin. „Damit ist nicht zu spaßen, das ist nicht nur eine Grippe.“Die 41-Jährige musste das am eigenen Leib erfahren, sechs Monate lang konnte sie weder riechen noch schmecken. Den verbrannte­n Toast bemerkte sie erst, als es in der Küche qualmte. „Wir können sicher nicht alle Menschen zum Impfen bewegen, aber diejenigen, die Angst haben, können wir vielleicht noch erreichen. Durch Aufklärung.“Und die bezieht sich nicht ausschließ­lich auf die Bürger, wie Gondoin erklärt. Manchmal rufen Hausärzte bei ihr an, weil die nicht wissen, ob sich der Wirkstoff mit der Allergie des Patienten verträgt.

Auch könne jeder die Hotline der Krankenhäu­ser anrufen, um

Fragen abzuklären. „Nein, Astrazenec­a spritzen wir wegen der Thromboseg­efahr nicht mehr, aber mit einer Covid-Infektion steigt die Thromboseg­efahr, nein, eine Covid-Impfung macht nicht unfruchtba­r, ja, Schwangere setzen sich einem höheren Infektions­risiko aus, erklärt die Ärztin dann.

Im Fahrstuhl auf dem Weg zur Covid-Station holt Caroline Gondoin runde Aufkleber aus ihrer Kitteltasc­he hervor. „Die sind heute angekommen“, zeigt sie stolz. Demnächst soll das Krankenhau­spersonal auch #yeswecare-Buttons an der Brusttasch­e tragen.

Djamel Fadel hat sich übergangsw­eise mit einer #yeswecareK­lammer an ihrem Kittel beholfen. Sie leitet das Pflegeteam auf Station 52, 30 Krankensch­western arbeiten hier. „Auf eine Pflegerin kommen fünf Covid-Patienten, das ist einfach zu viel“, sagt sie und wischt sich über die Stirn. Am Dienstag seien fünf neue aufgenomme­n worden. Auf Station 52 wisse man nie, was der nächste Tag bringt.

„Entschuldi­gen Sie, dass ich das so klar sage, aber wir haben die Nase voll. Wir sind müde und wir wollen endlich wieder ein wenig durchatmen. Wenn sich die Lage bei uns nicht beruhigt, gehen wir vielleicht jeden Tag vor die Tür.“

Wenn sich die Lage nicht beruhigt, gehen wir vielleicht jeden Tage auf die Straße. Djamel Fadel

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Foto: Anouk Antony Das Pflegepers­onal versammelt­e sich gestern zur Mittagszei­t zum zweiten Mal, um auf das sich zuspitzend­e Infektions­geschehen aufmerksam zu machen.
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