„Wir haben die Nase voll“
Krankenhausmitarbeiter machen zum zweiten Mal mit einer Schweigeminute auf die Infektionslage aufmerksam
Esch/Alzette. Station 52, 5. Stock, Isolierstation. Gerade rollt das Mittagessen über den Flur und verschwindet hinter einer doppelten Glastür, zu der nur Auserwählte Zutritt haben. Zone confinée, steht auf ihr geschrieben, mit Ausrufezeichen, Absperrband und Hinweisschildern in viel roter Farbe, damit gleich klar ist, wo man hier ist. Eine Pflegerin, grüne Haube auf dem Kopf, gelber Kittel, läuft hastig durch den Sicherheitskorridor. Zeit für ein Gespräch hat sie nicht, sie muss sich um den 35-Jährigen kümmern, der vor zwei Tagen mit einer Covid-Infektion eingeliefert worden ist, seitdem hat sich sein Zustand verschlechtert. „Wir müssen ihn in die Réanimation verlegen“, ruft sie. Nicht geimpft. Kreislaufkollaps.
Während auf Station 52 Menschen versuchen, anderen Menschen das Leben zu retten, stehen vor dem Eingang des Escher Centre hospitalier Emile Mayrisch (CHEM) 20 Mitarbeiter, um einen weiteren Kollaps zu verhindern. Damit sind sie nicht allein. Im ganzen Land hat sich am Donnerstag das Krankenhauspersonal um Punkt zwölf Uhr draußen versammelt, um auf die kritische Infektionslage aufmerksam zu machen.
Zum zweiten Mal wollen Ärzte, Pfleger und weitere Hilfskräfte mit einer Schweigeminute der Blouses blanches zeigen, dass eine Impfung gegen Covid-19 Leben retten kann. In den Händen halten sie Plakate mit den Aufschriften #yeswecare und #impfewierkt.
Nur noch zwei Betten in Esch frei
Mit der Aktion wollen sie auf den besorgniserregenden Anstieg der Ansteckungen und die Situation in den Covid-Pflegeeinrichtungen aufmerksam machen, denn: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Und: Nur, wer geimpft ist, kann sich vor mittelschweren oder schweren Verläufen bei einer Coronainfektion schützen.
28 Menschen liegen aktuell mit einer Covid-Infektion im Escher Krankenhaus. Acht davon werden künstlich beatmet. Die Anzahl der Betten für Covid-Patienten ist in dieser Woche von 23 auf 30 aufgestockt worden. „Wir stoßen bald an unsere Belastungsgrenze“, sagt Caroline Gondoin und seuftzt. Eigentlich kommt die Ärztin aus der Geriatrie, wo sie mit Patienten jenseits der 65 mit alterstypischen Erkrankungen zu tun hat.
„Als letztes Jahr Covid losging und so viele ältere Patienten eingeliefert worden sind, bin ich gefragt worden, ob ich nicht zur Station 52 wechseln wolle. Ich kenne mich mit dieser Altersgruppe ja gut aus. Tja, nun bin ich hier“, sagt Gondoin. Unter ihrer Maske zeichnet sich ein zögerliches Lächeln ab.
Zwar sei die derzeitige Lage nicht so schlimm wie vor einem Jahr um diese Zeit – zwischen dem 20. November und 15. Dezember 2020 starben im Escher Krankenhaus pro Tag etwa drei Menschen an einer Covid-Infektion.
Dennoch, und das ist anders als 2020, werden immer mehr jüngere Menschen eingeliefert, „die sich wundern, dass sie krank geworden sind, obwohl sie doch topfit waren“. Die Mehrheit der CovidInfizierten auf Station 52 ist nicht geimpft. Was Gondoin aber wundert, ist die Sturheit mancher Patienten. „Ich hatte schwerkranke junge, ungeimpfte Menschen vor mir, die mir sagten, sie haben die richtige Entscheidung getroffen und werden sich auch in Zukunft auf ihre eigenen Heilungskräfte verlassen. Was soll ich da machen? Letztendlich behandle ich jeden gleich, ich fange da nicht an, zu diskutieren.“
Auch Hausärzte haben Fragen
Zeit für Gutzureden bleibt ohnehin nicht, wenn das nächste Bett gerade wieder belegt ist. „Ich kann nur hoffen, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen, damit diese Welle die letzte ist. Deswegen stehen wir draußen und wollen ein Zeichen setzen, weil Impfen wirkt.“Ja, Covid kann auch die Geschützten treffen, aber lange nicht so stark, wie ohne Impfung, so die Botschaft von Gondoin. „Damit ist nicht zu spaßen, das ist nicht nur eine Grippe.“Die 41-Jährige musste das am eigenen Leib erfahren, sechs Monate lang konnte sie weder riechen noch schmecken. Den verbrannten Toast bemerkte sie erst, als es in der Küche qualmte. „Wir können sicher nicht alle Menschen zum Impfen bewegen, aber diejenigen, die Angst haben, können wir vielleicht noch erreichen. Durch Aufklärung.“Und die bezieht sich nicht ausschließlich auf die Bürger, wie Gondoin erklärt. Manchmal rufen Hausärzte bei ihr an, weil die nicht wissen, ob sich der Wirkstoff mit der Allergie des Patienten verträgt.
Auch könne jeder die Hotline der Krankenhäuser anrufen, um
Fragen abzuklären. „Nein, Astrazeneca spritzen wir wegen der Thrombosegefahr nicht mehr, aber mit einer Covid-Infektion steigt die Thrombosegefahr, nein, eine Covid-Impfung macht nicht unfruchtbar, ja, Schwangere setzen sich einem höheren Infektionsrisiko aus, erklärt die Ärztin dann.
Im Fahrstuhl auf dem Weg zur Covid-Station holt Caroline Gondoin runde Aufkleber aus ihrer Kitteltasche hervor. „Die sind heute angekommen“, zeigt sie stolz. Demnächst soll das Krankenhauspersonal auch #yeswecare-Buttons an der Brusttasche tragen.
Djamel Fadel hat sich übergangsweise mit einer #yeswecareKlammer an ihrem Kittel beholfen. Sie leitet das Pflegeteam auf Station 52, 30 Krankenschwestern arbeiten hier. „Auf eine Pflegerin kommen fünf Covid-Patienten, das ist einfach zu viel“, sagt sie und wischt sich über die Stirn. Am Dienstag seien fünf neue aufgenommen worden. Auf Station 52 wisse man nie, was der nächste Tag bringt.
„Entschuldigen Sie, dass ich das so klar sage, aber wir haben die Nase voll. Wir sind müde und wir wollen endlich wieder ein wenig durchatmen. Wenn sich die Lage bei uns nicht beruhigt, gehen wir vielleicht jeden Tag vor die Tür.“
Wenn sich die Lage nicht beruhigt, gehen wir vielleicht jeden Tage auf die Straße. Djamel Fadel