Von der Kraft der Bäume
Wer sich die Zeit nimmt für einen Spaziergang im Grünewald, wird den Geheimnissen der Natur ein Stück weit näher kommen. Da sind seine vielfältigen Geräusche, Gerüche und Farben. Nirgendwo sonst erlebe ich den Wechsel der Jahreszeiten so intensiv. Und dann ist da noch „Der Baum“, eine mächtige Buche, zu der ich mich schon seit Jahren auf eine besondere Weise hingezogen fühle. Ich berühre ihre Rinde, lehne mich an den Stamm und spüre, wie ich langsam entspanne. Wenn ich auf Reisen bin, denke ich manchmal an diesen Baum und stelle mir vor, wie er alt und weise seinen Platz behauptet. Mit den Wurzeln tief in der Erde und seiner Krone in den Himmel gestreckt, ist er für mich ein Symbol der Beständigkeit. Ich erfahre die Welt, während er still steht.
Gelassen verfolgt er den Lauf der Sonne, sieht den Mond sich runden und wieder vergehen, spürt Wind, Regen und Kälte. Vor ihm verbirgt sich kein Reh, kein Fuchs. Bietet nicht der Baum ein vollkommenes Sinnbild vom Kreislauf der Natur, vom Werden, Wachsen und Vergehen? Ich bin meinem Baum auch deshalb dankbar, weil er mich die Welt mit seinen Sinnen fühlen lässt.
Inzwischen entdecken immer mehr Menschen eine ganz andere Ebene ihrer Existenz. Sie erkennen, dass es neben der alltäglichen Welt eine weitere, umfassendere Welt gibt. Schon als Kind kletterte ich oft auf Bäume, ruhte in ihrem Schatten, umarmte sie und sprach mit ihnen. Bäume sind Zeugen und Bewahrer der Vergangenheit. Besonders alte Bäume üben eine starke Faszination auf uns aus. Sie können weder laufen noch planen, trotzdem reagieren sie auf Einflüsse und Gefahren. Entwicklungsgeschichtlich sind sie die ältesten und größten Lebewesen der Erde. Gemeinsam mit den anderen Pflanzen haben sie die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert und so den Planeten erst bewohnbar gemacht.
„Ich verehre Bäume, besonders wenn sie einzeln stehen“, schrieb der Dichter Hermann Hesse. „Dann sind sie wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche.“Wer mit wachen Sinnen durch einen Wald geht, wird seinen eigenen Rhythmus, seinen eigenen Pulsschlag und seinen eigenen Atem spüren. In diesen turbulenten Zeiten hilft er uns außerdem, wieder zu uns selbst zu kommen.