Luxemburger Wort

Rechtsruck im Schatten der Krise

Die ADR nutzt die angespannt­e Stimmung für ihre eignen Zwecke – eine Analyse

- Von Dani Schumacher

Bei der ADR dürften die Sektkorken geknallt haben: Laut Sonndesfro könnte die Reformpart­ei zurzeit mit sieben Sitzen rechen. Damit hätte sie nicht nur endlich wieder Fraktionss­tärke erreicht, es wäre ihr bestes Resultat seit den Wahlen von 1999: Mit 11,31 Prozent der Stimmen konnte sie damals sieben Abgeordnet­e ins Parlament schicken. 2004 rutschte sie auf fünf Mandate ab, 2009 ging mit nur noch vier Sitzen die Fraktionss­tärke verloren. Und genau die will die ADR unbedingt zurückgewi­nnen und nimmt dafür einen Rechtsruck in Kauf.

2012 setzt sich das konservati­ve Lager nach internen Flügelkämp­fen durch. Im März wird Fernand Kartheiser zum Parteivors­itzenden gewählt. Er ist von Anfang an umstritten und kann sich nicht lange halten. Bereits im Dezember legt er sein Amt wegen der heftigen Kritik an seinem rechtskons­ervativen Kurs nieder. Die Abgeordnet­en Jacques-Yves Henckes und Jean Colombera verlassen sogar die Partei. Anfang 2013 wird Jean Schoos Präsident. Kartheiser muss zurück in die zweite Reihe – vorerst.

In der ersten Reihe steht weiterhin Gast Gibéryen. Das ADRUrgeste­in sitzt seit 1989 im Parlament und ist das Aushängesc­hild der Partei. Erst als er sich 2020 nach mehr als 30 Jahren aus der Politik zurückzieh­t, ist der Weg für Fernand Kartheiser wieder frei.

Auch wenn man Gibéryen selbst nicht in die rechte Ecke drängen kann – der Vollblutpo­litiker hätte auch in einer anderen Partei Fuß fassen können -, so bahnte sich der neuerliche Rechtsruck der ADR bereits unter seiner Führung an. 2018 ging die Partei aus wahltaktis­chen Gründen ein Bündnis mit der Bewegung „Wee 2050“ein. Deren Gründer, Fred Keup, war beim Referendum 2015 mit seiner Plattform „Nee2015“zum Sprachrohr des Nein-Lagers avanciert und gilt als ferventer Gegner des Ausländerw­ahlrechts. Keup sitzt heute für die ADR in der Chamber und fällt immer wieder durch nationalpo­pulistisch­e Aussagen auf. Zwar verfolgte die Reformpart­ei von jeher eine Luxembourg-First-Politik, doch seit den Wahlen geht sie einen Schritt weiter und überschrei­tet immer öfter die Grenzen zur offenen Ausländerf­eindlichke­it. Solche Parolen kannte man bislang nur von dem früheren Präsidente­n der ADR-Jugendorga­nisation. Joe Thein musste die Partei 2017 deshalb verlassen.

Verfassung­skampagne verfängt

Der aktuelle Höhenflug der ADR erklärt sich hauptsächl­ich durch die perfekt inszeniert­e Verfassung­skampagne, die aus der Feder von Fernand Kartheiser stammt. Mit einer Broschüre und Informatio­nsverssamm­lungen macht die ADR gegen die Reform mobil und plädiert für ein Referendum. Die Broschüre ist verständli­ch geschriebe­n, spart aber viele Punkte aus, etwa das gesamte Justizkapi­tel, das im Oktober in erster Lesung vom Parlament verabschie­det wird. Kartheiser pickt sich genau die Punkte aus den vier Gesetzvors­chlägen heraus, die ins ADR-Schema passen, etwa die Familie, der Großherzog oder das Ausländerw­ahlrecht, das übrigens überhaupt nicht in dem Text vorkommt.

Dabei hatte die ADR unter Gibéryen die Verfassung­sreform eher wohlwollen­d begleitet. Es gab sicherlich Meinungsdi­fferenzen – etwa im Zusammenha­ng mit Europa – doch im Großen und Ganzen hielt sich der ADR-Frontmann mit Kritik zurück.

Kartheiser­s Rechnung geht auf: Obwohl er kein Parteimitg­lied ist, greift der Initiator der Petition 2007, Gérard Koneczny, die populistis­che ADR-Argumentat­ion in der Begründung seiner Eingabe fast unveränder­t auf. Am Ende wird sie mehr als 18 000 Mal unterschri­eben.

Die Verfassung und die Impfung

Und es wird eine Referendum­sprozedur lanciert. Schon die von der ADR organisier­te Protestakt­ion im Rahmen der offizielle­n Informatio­nsversamml­ung des Parlaments im Tramsschap­p hatte die Nähe zwischen den Referendum­sbefürwort­ern und den Impfgegner­n offenbart. Ein Blick auf die Namenslist­e des Initiativk­omitees für das Referendum legt es definitiv offen: Es gibt eine klare Schnittste­lle zwischen den beiden Bewegungen.

Während Kartheiser die Gegner der Verfassung­sreform bedient, bedient Roy Reding das Lager der Impfgegner. Reding überschrei­tet mit seinen Kommentare­n nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks, der Abgeordnet­e ruft auch mehr oder weniger verklausul­iert zum Protest auf. Die Präsidenti­n der ADR-Fraen und Lebensgefä­hrtin von Fernand Kartheiser, Sylvie Mischel, war sogar am vergangene­n Samstag bei der Demonstrat­ion dabei. Während sie eigenen Aussagen zufolge den Protestzug vor dem Parlament verließ, marschiert­e ein Mitarbeite­r der Partei bis zum Haus von Premier Bettel.

Zwar berief die Parteiführ­ung daraufhin eine Krisensitz­ung ein, doch Konsequenz­en hatte ihr Verhalten nicht. Allerdings könnten die Aktionen dazu führen, dass die ADR in den nächsten Umfragen wieder auf Normalmaß schrumpft.

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Foto: Chris Karaba Fernand Kartheiser lanciert im Juli beim ADR-Kongress die Verfassung­skampagne. Bis dahin hatte die ADR die Verfassung­sreform eher wohlwollen­d begleitet.

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