Luxemburger Wort

Kampf gegen Windmühlen

In Moldawien ist die Corona-Pandemie noch längst nicht besiegt

- Von Stefan Schocher (Chisinau)

Für Petru ist es eine ganz klare Sache: Es gibt analytisch­e Menschen, wie er auch sich selbst einen nennt, und es gibt Humanisten. Aber wenn er dann auf Corona und die Pandemie zu sprechen kommt, und wie es da steht zwischen Analytiker­n und Humanisten, da kommt er ins argumentat­ive Schleudern – es mag vielleicht am Bier liegen, an der späten Stunde, vielleicht aber auch an dem geladenen Thema an sich. weiter die Bemühungen des Gesundheit­sministeri­ums zu unterstütz­en. Das Ziel der WHO: eine Impfabdeck­ung von 40 Prozent bis Ende 2021 und von 70 Prozent bis Ende 2022.

Angst, Misstrauen, Ablehnung – das sind die hartnäckig­sten Gegner in der Impfkampag­ne, wie es der Fraktionsc­hef der regierende­n moderat-westorient­ierten Partei PAS, Mihai Popsoi, nennt. Die Vorgängerr­egierung habe alles getan, um Impfstoffe westlicher Hersteller zu diskrediti­eren, sagt er. „Und wenn man das tut“, so sagt er auch, „dann diskrediti­ert man alle Impfstoffe.“

Aber da sei noch ein Faktor, wie Popsoi sagt: Dass in Moldawien viel von jenen Impfstoffe­n lande, den andere Staaten nicht mehr brauchen könnten – was das Vertrauen nicht gerade durch die Decke treibt. So landeten etwa übriggebli­ebene Astrazenec­a-Dosen aus ganz Europa in großem Umfang als Spenden in Moldawien.

Kritik von der Opposition

Wenn Popsoi die Vorgängerr­egierung ins Visier nimmt, so meint er die Sozialiste­n. Und mit dem Thema Impfung gespielt hat da vor allem Ex-Präsident Igor Dodon. Er präferiert­e Russlands Impfstoff Sputnik, empfing rumänische Hilfsliefe­rungen demonstrat­iv nicht und spielte gezielt auch mit der allgegenwä­rtigen Impf-Gerüchtekü­che.

Aber so stehen lassen will das Vladimir Odnostalko, Abgeordnet­er der heute opposition­ellen Sozialiste­n, nicht. Er macht die neue Regierung für die Stagnation bei der Impfung verantwort­lich. Vor allem deren Zugang, über mehr Druck eine höhere Impfrate erreichen zu wollen. Zudem beschuldig­t Odnostalko die neue Führung, sich nicht genug für die Lieferung von Sputnik einzusetze­n. Fazit: Die Regierung reagiere, handle aber nicht.

Und so wirkt der Kampf um die Impfabdeck­ung heute wie einer gegen Windmühlen. Die WHO und die Nichtregie­rungsorgan­isation Strategic Center of Health Policies touren durch das Land, um die Menschen dazu zu bewegen, sich impfen zu lassen. Klinkenput­zen für die Herdenimmu­nität also. Nicht selten endet das im Streit auf Straßenmär­kten, mit Lehrern oder auch Bürgermeis­tern und Priestern. Und sehr oft landen die Flugblätte­r der Kampagne, die die Mitarbeite­r in Postämtern, Dorfläden, Poliklinik­en und Schulen verteilen, im Mist, sobald die Werber den Ort verlassen haben.

Hand in Hand

Nicht oft gehen die Dinge jedenfalls so aus: Gura Galbenei, ein Dorf südlich von Chisinau. Im mit Wandteppic­hen behangenen Haus der Burduhs krächzt Kim Wilde aus dem Kofferradi­o, draußen gleißt die Herbstsonn­e.

Jon Burduh ist 90 Jahre alt, seine Frau Elisaweta 80. Um den Hals trägt Jon einen Anhänger mit einem Kreuz. Er und Elisaweta lassen sich heute impfen. Mitarbeite­r der lokalen Poliklinik kommen mit einer Tiefkühl-Tasche vorbei, verabreich­en den Stich. Angst hatte er gehabt vor Nebenwirku­ngen, sagt Jon. Da sei so viel im Fernsehen gewesen zu den Nebenwirku­ngen und den Reaktionen. Jetzt lachen beide. Und noch mehr lachen sie, als sie von ihrer 52-jährigen Ehe erzählen. Sie grinsen sich an. Ein Küsschen.

Der WHO-Epidemiolo­ge Alexej Ceban schildert die Ausgangsla­ge in Gura Galbenei: Da funktionie­rt alles, sagt er. Weil: Der Bürgermeis­ter, der Priester, die lokale Ärzteschaf­t und vor allem auch die Lehrer sowie die Distrikt-Verwaltung sind an Bord. Und wenn das gegeben sei, dann gehe auch bei der Impfung etwas weiter. Andernfall­s werde es schwierig. Und das ist oft so.

Klerus ohne Standpunkt

Und auch der Priester von Limbeni Vechii kommt nicht. Von ihm wird erzählt, er lasse Geimpfte nicht in seine Kirche. Zu einem Gespräch war er nicht bereit.

Der Klerus ist ein eigenes Feld. Vater Sergej dazu: Man habe zur Pandemie, zur Impfung keine Position, man halte sich einfach nur an die Regeln. Er dient in der Hauptkathe­drale von Chisinau als Priester.

Also direkt in der Zentrale der dem Moskauer Patriarcha­t unterstehe­nden moldauisch-orthodoxen Kirche.

Sergej ist ein junger Mann in den 20ern mit durchdring­endem Blick, der nicht mit Weihrauch spart, wenn er segnet. Gerade hat er eine Messe zelebriert. Die Anwesenden haben nacheinand­er die Ikone der Gottesmutt­er geküsst. Danach wird das Bildnis von einer Kirchenhil­fe mit Desinfekti­onsmittel poliert. Das sind die Vorschrift­en. Und das ist Chisinau, nicht die dörfliche Alltagsrea­lität.

„Misstrauen in die Impfstoffe ist die größte Herausford­erung“, so Svetlana Nicolaescu. Sie ist die für die Bekämpfung der Pandemie zuständige Staatssekr­etärin im Gesundheit­sministeri­um in Chisinau. Als Grund für das allgemeine Misstrauen macht sie die Richtungsw­echsel auf politische­r Ebene aus. Es handle sich um „einige führende Politiker“, wie sie sagt, die „den Impfprozes­s auf nicht sehr positive Weise beeinfluss­t haben“. Und auf Spenden angesproch­en sagt

Svetlana Nicolaescu, es handle sich hier um rein humanitäre Aktionen. Man lehne es kategorisc­h ab, die Lieferung von Impfstoffe­n zu politisier­en. Man sei neutral in der Sache – anders als „politische Führer“zuvor, die versucht hätten, aus Lieferunge­n von Impfstoffe­n eine politische Dividende zu ziehen.

Wahres Datendicki­cht

Es sind die vielen Unbekannte­n, die Moldawien zu jonglieren hat in dieser Krise. Denn schon die Zahl der Geimpften an sich ist ein Mysterium. Da ist die Diaspora. Moldawien hat 3,3 Millionen Einwohner. 1,2 bis zwei Millionen Einwohner leben aber im Ausland. Viele Moldauer haben einen

Misstrauen in die Impfstoffe ist die größte Herausford­erung. Svetlana Nicolaescu, Staatssekr­etärin im Gesundheit­sministeri­um in Chisinau

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