Kampf gegen Windmühlen
In Moldawien ist die Corona-Pandemie noch längst nicht besiegt
Für Petru ist es eine ganz klare Sache: Es gibt analytische Menschen, wie er auch sich selbst einen nennt, und es gibt Humanisten. Aber wenn er dann auf Corona und die Pandemie zu sprechen kommt, und wie es da steht zwischen Analytikern und Humanisten, da kommt er ins argumentative Schleudern – es mag vielleicht am Bier liegen, an der späten Stunde, vielleicht aber auch an dem geladenen Thema an sich. weiter die Bemühungen des Gesundheitsministeriums zu unterstützen. Das Ziel der WHO: eine Impfabdeckung von 40 Prozent bis Ende 2021 und von 70 Prozent bis Ende 2022.
Angst, Misstrauen, Ablehnung – das sind die hartnäckigsten Gegner in der Impfkampagne, wie es der Fraktionschef der regierenden moderat-westorientierten Partei PAS, Mihai Popsoi, nennt. Die Vorgängerregierung habe alles getan, um Impfstoffe westlicher Hersteller zu diskreditieren, sagt er. „Und wenn man das tut“, so sagt er auch, „dann diskreditiert man alle Impfstoffe.“
Aber da sei noch ein Faktor, wie Popsoi sagt: Dass in Moldawien viel von jenen Impfstoffen lande, den andere Staaten nicht mehr brauchen könnten – was das Vertrauen nicht gerade durch die Decke treibt. So landeten etwa übriggebliebene Astrazeneca-Dosen aus ganz Europa in großem Umfang als Spenden in Moldawien.
Kritik von der Opposition
Wenn Popsoi die Vorgängerregierung ins Visier nimmt, so meint er die Sozialisten. Und mit dem Thema Impfung gespielt hat da vor allem Ex-Präsident Igor Dodon. Er präferierte Russlands Impfstoff Sputnik, empfing rumänische Hilfslieferungen demonstrativ nicht und spielte gezielt auch mit der allgegenwärtigen Impf-Gerüchteküche.
Aber so stehen lassen will das Vladimir Odnostalko, Abgeordneter der heute oppositionellen Sozialisten, nicht. Er macht die neue Regierung für die Stagnation bei der Impfung verantwortlich. Vor allem deren Zugang, über mehr Druck eine höhere Impfrate erreichen zu wollen. Zudem beschuldigt Odnostalko die neue Führung, sich nicht genug für die Lieferung von Sputnik einzusetzen. Fazit: Die Regierung reagiere, handle aber nicht.
Und so wirkt der Kampf um die Impfabdeckung heute wie einer gegen Windmühlen. Die WHO und die Nichtregierungsorganisation Strategic Center of Health Policies touren durch das Land, um die Menschen dazu zu bewegen, sich impfen zu lassen. Klinkenputzen für die Herdenimmunität also. Nicht selten endet das im Streit auf Straßenmärkten, mit Lehrern oder auch Bürgermeistern und Priestern. Und sehr oft landen die Flugblätter der Kampagne, die die Mitarbeiter in Postämtern, Dorfläden, Polikliniken und Schulen verteilen, im Mist, sobald die Werber den Ort verlassen haben.
Hand in Hand
Nicht oft gehen die Dinge jedenfalls so aus: Gura Galbenei, ein Dorf südlich von Chisinau. Im mit Wandteppichen behangenen Haus der Burduhs krächzt Kim Wilde aus dem Kofferradio, draußen gleißt die Herbstsonne.
Jon Burduh ist 90 Jahre alt, seine Frau Elisaweta 80. Um den Hals trägt Jon einen Anhänger mit einem Kreuz. Er und Elisaweta lassen sich heute impfen. Mitarbeiter der lokalen Poliklinik kommen mit einer Tiefkühl-Tasche vorbei, verabreichen den Stich. Angst hatte er gehabt vor Nebenwirkungen, sagt Jon. Da sei so viel im Fernsehen gewesen zu den Nebenwirkungen und den Reaktionen. Jetzt lachen beide. Und noch mehr lachen sie, als sie von ihrer 52-jährigen Ehe erzählen. Sie grinsen sich an. Ein Küsschen.
Der WHO-Epidemiologe Alexej Ceban schildert die Ausgangslage in Gura Galbenei: Da funktioniert alles, sagt er. Weil: Der Bürgermeister, der Priester, die lokale Ärzteschaft und vor allem auch die Lehrer sowie die Distrikt-Verwaltung sind an Bord. Und wenn das gegeben sei, dann gehe auch bei der Impfung etwas weiter. Andernfalls werde es schwierig. Und das ist oft so.
Klerus ohne Standpunkt
Und auch der Priester von Limbeni Vechii kommt nicht. Von ihm wird erzählt, er lasse Geimpfte nicht in seine Kirche. Zu einem Gespräch war er nicht bereit.
Der Klerus ist ein eigenes Feld. Vater Sergej dazu: Man habe zur Pandemie, zur Impfung keine Position, man halte sich einfach nur an die Regeln. Er dient in der Hauptkathedrale von Chisinau als Priester.
Also direkt in der Zentrale der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden moldauisch-orthodoxen Kirche.
Sergej ist ein junger Mann in den 20ern mit durchdringendem Blick, der nicht mit Weihrauch spart, wenn er segnet. Gerade hat er eine Messe zelebriert. Die Anwesenden haben nacheinander die Ikone der Gottesmutter geküsst. Danach wird das Bildnis von einer Kirchenhilfe mit Desinfektionsmittel poliert. Das sind die Vorschriften. Und das ist Chisinau, nicht die dörfliche Alltagsrealität.
„Misstrauen in die Impfstoffe ist die größte Herausforderung“, so Svetlana Nicolaescu. Sie ist die für die Bekämpfung der Pandemie zuständige Staatssekretärin im Gesundheitsministerium in Chisinau. Als Grund für das allgemeine Misstrauen macht sie die Richtungswechsel auf politischer Ebene aus. Es handle sich um „einige führende Politiker“, wie sie sagt, die „den Impfprozess auf nicht sehr positive Weise beeinflusst haben“. Und auf Spenden angesprochen sagt
Svetlana Nicolaescu, es handle sich hier um rein humanitäre Aktionen. Man lehne es kategorisch ab, die Lieferung von Impfstoffen zu politisieren. Man sei neutral in der Sache – anders als „politische Führer“zuvor, die versucht hätten, aus Lieferungen von Impfstoffen eine politische Dividende zu ziehen.
Wahres Datendickicht
Es sind die vielen Unbekannten, die Moldawien zu jonglieren hat in dieser Krise. Denn schon die Zahl der Geimpften an sich ist ein Mysterium. Da ist die Diaspora. Moldawien hat 3,3 Millionen Einwohner. 1,2 bis zwei Millionen Einwohner leben aber im Ausland. Viele Moldauer haben einen
Misstrauen in die Impfstoffe ist die größte Herausforderung. Svetlana Nicolaescu, Staatssekretärin im Gesundheitsministerium in Chisinau