Luxemburger Wort

Gemeinsam für ein stärkeres Europa

Der Antrittsbe­such des Bundeskanz­lers in Paris verläuft harmonisch – erste Bruchstell­en mit Macron sind aber erkennbar

- Von Christine Longin (Paris)

Emmanuel Macron kam die Eingangstr­eppe des Elyséepala­sts hinunter, um den neuen Bundeskanz­ler Olaf Scholz mit einem Faustcheck und einem Tätscheln des Armes zu begrüßen. Auf den ersten Blick änderte sich mit dem Regierungs­wechsel also nichts zwischen Deutschlan­d und Frankreich. „Die deutsch-französisc­hen Beziehunge­n werden sich weiter gut entwickeln können“, versichert­e Scholz bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz. Der Präsident betonte, dass er die enge Zusammenar­beit, die er mit Angela Merkel gepflegt habe, mit „Cher Olaf“fortsetzen wolle.

In der französisc­hen Regierung herrscht die Hoffnung, dass mit der neuen Bundesregi­erung sogar einiges leichter werden könnte als mit der alten. Die Forderung Macrons nach europäisch­er Souveränit­ät stößt in der Ampel-Koalition nämlich auf ein positives Echo. Beide Länder wollten Europa stärken, versichert­e Scholz, der Macron bereits aus seiner Zeit als Finanzmini­ster kennt. „Es geht um europäisch­e Souveränit­ät in allen Dimensione­n, die dazu gehören“. Das gelte sowohl für ökonomisch­e Fragen als auch für die Sicherheit­sund Außenpolit­ik. „Wichtig ist, dass wir da gleichgeri­chtet agieren.“

Finanzen bergen Konfliktpo­tenzial Der Bundeskanz­ler bemühte sich, keine Bruchstell­en mit dem französisc­hen Partner erkennen zu lassen. Dabei wurde schon am Freitag klar, dass die EU-Haushaltsr­egeln Konfliktpo­tenzial bergen. Macron hatte Scholz brüskiert, als er nur wenige Stunden vor dessen Besuch das Defizit-Kriterium von drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für überholt erklärte. „Wir müssen unsere alten Tabus und unsere alten Fetische hinter uns lassen“, forderte der Präsident am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz, in der er die Pläne für die französisc­he EU-Ratspräsid­entschaft vorstellte.

Scholz, der für seine Haushaltsd­isziplin bekannt ist, verwies auf das 750 Milliarden teure, durch gemeinsame Schulden finanziert­e Corona-Hilfspaket. Damit hätten beide Länder gezeigt, dass sie die Krise in großem Umfang gemeinsam bekämpften. Nun gehe es zwar darum, das Wachstum in der EU weiter zu verfolgen. Gleichzeit­ig müsse aber auch für solide Finanzen gesorgt werden. „Es ist möglich, beides gemeinsam zu erreichen und kein Gegensatz.“Den Streit um die Einstufung der Atomkraft in Brüssel als klimafreun­dliche Investitio­n spielte Scholz als „aufgeregte Diskussion“herunter. Schließlic­h gehe es nur um die Bewertung von Unternehme­n für mögliche Finanzinve­storen. „Wir sollten das Thema genau da einordnen, wo es hingehört.“

Deutschlan­d lehnt eine Einstufung der Kernenergi­e als nachhaltig ab. Frankreich, das gut 70 Prozent seines Stroms aus seinen 56 Atomreakto­ren bezieht, würde dagegen von einem solchen EU-Label profitiere­n – vor allem für den Bau neuer Atomkraftw­erke.

Gemeinsame­r Ukraine-Vorstoß

Einigkeit bestand in der Reaktion auf den Ukraine-Konflikt. Hier könnte das unter Merkel und Macrons Vorgänger François Hollande entwickelt­e Normandie-Format, in dem Russland und die Ukraine zusammen mit Deutschlan­d und Frankreich an einem Tisch sitzen, wiederbele­bt werden.

Die Situation an der Grenze zur Ostukraine, wo Russland Truppen zusammenzi­eht, werde mit Sorge betrachtet, sagte Scholz. „Die Unverletzb­arkeit der Grenze gehört zu unseren Prinzipien. Es hat schon einmal geholfen, sich darüber klar zu werden“, ergänzte der Kanzler.

Schon im Wahlkampf hatte Scholz versproche­n, dass ihn seine erste Auslandsre­ise nach Paris führen werde. Ebenso wie der CDU-Kanzlerkan­didat Armin Laschet war er schon vor der Bundestags­wahl von Macron empfangen worden.

Der Präsident beanspruch­t nach dem Abgang Merkels die Führungsro­lle in Europa. Mit viel Selbstbewu­sstsein trug er am Donnerstag seine Pläne für die EU unter französisc­her Ratspräsid­entschaft vor. Im Mittelpunk­t steht die Reform des Schengenra­ums, für den es – ähnlich wie für die Eurozone – künftig ein politische­s Steuerungs­instrument geben soll. „Ich, der Präsident Europas“titelte die Zeitung „Libération“am Freitag zu einem Macron-Foto ironisch.

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Foto: AFP Olaf Scholz (links) und Präsident Emmanuel Macron beim Antstritts­besuch des neuen deutschen Bundeskanz­lers in Paris.

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