Julian Assange muss zittern
Ein Gericht in London hat entschieden, dass der Wikileaks-Gründer an die USA ausgeliefert werden darf
Wikileaks-Gründer Julian Assange hat im Kampf gegen seine Auslieferung an die USA einen Rückschlag erlitten. Ein Berufungsgericht in London hat gestern entschieden, dass Großbritannien ihn an die US-amerikanische Strafjustiz ausliefern darf. Damit hat das High Court den Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts aufgeboben.
In den USA ist Assange der Spionage angeklagt, ihm drohen 175 Jahre Haft. Das Urteil sei „gefährlich und verfehlt“, sagte Assanges Verlobte Stella Moris. Sie kündigte an, gegen den Entscheid unverzüglich Berufung einzulegen. Auch Menschenrechtsgruppen kritisierten das Urteil der Richter: Reporter ohne Grenzen spricht von einer „zutiefst beschämenden Entwicklung“.
Im Januar hatte ein Gericht in erster Instanz die Auslieferung verboten, weil ein „erhebliches Risiko“
bestünde, dass Assange Selbstmord begehen könnte. Die Richterin verwies auf die labile psychische Verfassung Assanges sowie auf seinen schlechten Gesundheitszustand. Sie sagte, eine menschliche Behandlung in USamerikanischer Haft könne nicht garantiert werden.
Neue Zusagen der Amerikaner
Während des Berufungsverfahrens beschwichtigten die Anwälte der USA: Der Beschuldigte würde nicht im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis ADX Florence in Colorado inhaftiert, und ihm drohe während der Haft in US-amerikanischen Gefängnissen keine unmenschliche Behandlung.
Das Berufungsgericht akzeptierte diese Zusicherungen: Richter Lord Burnett sagte, dass sie das Risiko des Suizids ausschließen. „Wenn die (erstinstanzliche) Richterin diese Zusicherungen bereits gehabt hätte, dann hätte sie die relevanten Fragen anders beantwortet“, sagte Burnett. Damit gab er den Fall zurück an die niedrigere Instanz und wies das Gericht an, den Entscheid über die Auflieferung dem Innenministerium zu übergeben.
Der Gerichtsfall gegen den 50jährigen Assange geht zurück aufs Jahr 2010, als die Plattform Wikileaks eine riesige Sammlung von geheimen Militär-Dokumenten und Videos publizierte. Der Whistleblower Chelsea (damals Bradley Manning) hatte ihm das Material zugespielt.
Am berüchtigsten ist ein Video, in dem zu sehen ist, wie amerikanische Soldaten 18 Iraker von Helikoptern aus erschießen. Kurz nach der Veröffentlichung der Dokumente
im Jahr 2010 begannen die Ermittlungen der amerikanischen Justiz gegen Assange. Sie wirft ihm vor, das Leben von US-Informanten gefährdet zu haben. 2019 gingen die USA weiter und erhoben darüber hinaus Anklage unter dem Spionagegesetz aus dem Ersten Weltkrieg; im Fall eines Schuldspruchs könnte der WikileaksGründer zu einer Gefängnisstrafe von 175 Jahren verurteilt werden.
Menschenrechtler sehr besorgt
2012 floh Assange in die Botschaft von Ecuador in London, wo ihm Asyl gewährt wurde. Fast sieben Jahre lang hielt er sich in diesem Haus auf. Im April 2019, nach einem Regierungswechsel in Ecuador, wurde Assange das Asylrecht entzogen; die britische Polizei betrat die Londoner Botschaft und nahm ihn in Haft.
Seither befindet sich Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Sein Gesundheitszustand habe sich in den vergangenen zwei Jahren markant verschlechtert, sagen Angehörige und Anwälte.
Menschenrechtsgruppen haben vor einer Auslieferung gewarnt. Organisationen wie Human Rights Watch bezeichnen die strafrechtliche Verfolgung von Assange als „eine Bedrohung der Pressefreiheit rund um die Welt.“Der Entscheid wurde denn auch von vielen Gruppen scharf kritisiert. Die Richter hätten „die zutiefst mangelhaften diplomatischen Zusagen der USA akzeptiert“, sagte Nils Muižnieks von Amnesty International; wenn er ausgeliefert werden sollte, drohten ihm Haftbedingungen, „die der Folter gleichkommen“.
Der Chefredakteur von Wikileaks, Kistinn, Hranfsson, sagte nach der Urteilsverkündung: „Julians Leben ist erneut in großer Gefahr, und genauso das Recht von Journalisten, Material zu veröffentlichen, das Regierungen und Konzerne für unangenehm halten.“
Julians Leben ist erneut in großer Gefahr. Kistinn Hranfsson, Wikileaks