Adieu, Frau Kanzlerin!
21 Jahre mit Angela Merkel – über eine zugleich persönliche und distanzierte Beziehung
Nein, bislang tut nichts weh. Gut, muss nichts heißen. Wer weiß schon, wie lang die Inkubationszeit ist in Sachen Kanzlerin-Vermiss-Schmerz? Ist ja das erste Mal. Und Angela Merkel erst seit exakt drei Tagen im Ruhestand. Außerdem: Von Journalisten – und von Journalistinnen auch – wird ja erwartet, dass sie keinerlei Gefühle haben. Und so doch – dann haben sie die gefälligst rauszuhalten aus dem, was sie zu Zeitungspapier bringen.
Aber geht das überhaupt? Kann man – oder frau – über gut zwei Jahrzehnte hinweg mit einem Menschen zu tun haben, ihn – im konkreten Fall: sie – betrachten, ihr zuhören, mit ihr reden, manchmal auch schweigen, ihr Fragen stellen, bisweilen sogar (fast) ganz ohne journalistische Absichten: Und dabei niemals „Nein!“wenigstens denken? Oder „Ja!“? Oder „Quatsch!“?
Wer sich das vorstellen kann: Nett. Hat nur mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun. Weshalb die Korrespondentin jetzt sehr ausnahmsweise zum „ich“wechseln wird. Weil es hier um meine Jahre mit Angela Merkel gehen soll.
Fangen wir mit dem Ende an. Für „Du hast den Farbfilm vergessen“zum Großen Zapfenstreich würde ich sie für einen Moment geliebt haben – und für Hilde Knefs rote Rosen gleich noch mal. Wenn Liebe zu meinem Gefühlsrepertoire in Sachen Politik allgemein und Merkel konkret gehören würde. Tut sie nicht. Auch nicht Verachtung. Nicht Zorn. Überhaupt keine Extreme. Im Übrigen aber hat die Frau, die öffentlich kaum Emotionen zeigt – Betonung auf öffentlich! – vielleicht gerade deshalb durchaus außer meinem Gehirn auch mein Gemüt gefordert. Und keinesfalls nur im Guten und Schönen.
Und doch: Aus der Erinnerung schnicken zuerst die heiteren Momente hoch. 2002. Kanzler-Wahlkampf. Merkel hat Edmund Stoiber die Kandidatur zum längst historisch genannten Frühstück serviert. Jetzt macht sie Werbung für ihn, fährt zu seinen Gunsten durchs Land, in einem Bus, beklebt mit ihrem Porträt. Schwarz-weiß, lächelnd – irgendwie cool und unmerkelig. Im Bus ein Gespräch. Über das und dies. Auch das Foto. „Sieht gut aus, nicht?“– sagt Merkel, erzählt vom Pikkolo Sekt vor dem Shooting und lächelt noch heiterer als draußen im MegaFormat. Die erste Ahnung davon, dass ihr das ewige Räsonieren über ihr Aussehen – Frisur, Kleidung, überhaupt – eben nicht sonstwo vorbeigeht.
Merkels ganz eigener Stil
Und ist ja auch wahr. Im Berliner Regierungsviertel ballen sich Rudel schlechtest angezogener Männer. Jacketts zerknittert, Hosen zu kurz, zu weit, zu eng, Krawatten schlampig geknotet: Kein Wort darüber jemals irgendwo. Aber wenn Merkel mit großem Dekolleté in der Osloer Oper erscheint – bebt nicht bloß der Boulevard.
Und doch und zugegeben: Mir schoss damals im ersten Moment ein äußerst böser Begriff für das durch den Kopf, was Merkel enthüllte. War nicht fair. Wurde – und wird – aber auch nie aufgeschrieben. Wichtig in
Sachen Äußeres sind, am Ende, nur zwei Momente: Der, in dem Merkel Zähne bekam – als sie 2005 von der Union doch noch zur Kanzlerkandidatin gekürt wurde und all das Beherrschte für zwei, drei Tage abfiel von ihr. Und der andere, zwölf Jahre später, beim Talk mit der Frauenzeitschrift „Brigitte“, als sie zur Frage nach etwaiger Eitelkeit zugab, es sei dann doch ihrem Wohlbefinden förderlich, dass „nicht mehr über meine Haare gelästert wird“.
Da hatte sie ihre Uniform längst gefunden – und ihre Fans fanden sie Kult: unten Raute vor Jacke, oben zu Beton gesprayte Frisur. Ihr Aussehen unterstrich ihre Art, Politik zu machen: Bloß keine Überraschungen. Bloß nix Aufregendes.
Selbst Wohlmeinende im Korrespondentenkorps aber ermüdete Merkels Gleichförmigkeit. Die politische. Kollegin S., die Seriosität in Person, die einst über Gerhard Schröder gezürnt hatte, „Ich will nicht gut unterhalten werden, sondern gut regiert!“– maulte schon bald: „Wenn ich schon nicht gut regiert werde – dann will ich wenigstens gut unterhalten werden!“
War da aber auch für mich schon vorbei. Je länger Merkel regierte, umso mehr schottete sie sich von den Medien ab. Nicht nur privat, wie schon immer. Und mit Recht. Auch im Job. Auf Reisen ließ sie sich nur noch von stets denselben begleiten. Passé die Zeiten, als auch die Korrespondenten kleinerer deutscher oder ausländischer Blätter in der Kanzlerinmaschine zu Gipfeln mitflogen. Merkel traf, wie zuvor Gerhard Schröder, ihre „Bild-BamS-Glotze“Auswahl. Genauer: Nicht sie. Ihr Stab. Gern Girls-Camp genannt – obwohl dazu mindestens auch ihr zweiter und letzter Regierungssprecher gehörte.
Persönliche Erinnerungen
Bleibt für solche wie mich die Erinnerung an Plaudereien auf Flügen wie dem nach St. Petersburg 2006 zum G8-Gipfel, an jede Menge Witz und Ironie, an Parodien von Politikerkollegen zum Niederknien – so lange Merkel jedem der Zuhörerinnen und Zuhörer ins Gesicht sehen konnte. Selbst da die pure Kontrolle. Stand bei den Gesprächen im Gang des Regierungsflugzeugs plötzlich auch nur einer oder eine hinter ihr – Cut. Und ab da nur Petitessen.
Ziemlich bald galt das mit den Belanglosigkeiten für alles. Ein Interview mit Merkel – wieder in einem Bus, während einer Reise durch die einstigen sächsischen Flutgebiete, sie sagte viel Menschliches zu den Schicksalen der Menschen – kam vom Autorisieren zurück: Und nicht ein einziger Satz vom Original war übrig. Alles ersetzt durch die Floskeln aus den Presseverlautbarungen.
Kaum etwas davon passte auch nur entfernt zu meinen Fragen.
Doch. Damals war ich wütend. Empfand Betrug an den Leserinnen und Lesern. Mindestens den Versuch. Hätten sich ihre Hintersassinnen, ganz nebenbei, weder beim „Spiegel“getraut noch bei „Bild“.
Also kein Interview. Auch danach: Niemals und nie mehr.
Im Kanzlerbüro – auf das ich aus meinem im Haus der Bundespressekonferenz direkt schauen kann – sitzt jetzt Olaf Scholz. Den kenne ich fast schon so lange wie Merkel. Und vielleicht einen Hauch besser als sie. Ein My.
Und weil sie mir jetzt noch nicht fehlt: Kann das kommen? Keine Ahnung. Ihre Niedrigsttemperiertheit in der Öffentlichkeit hat mich beruflich genervt – von Frau zu Frau habe ich sie ihr zutiefst gegönnt. Ich schätze ihr Pflichtgefühl. Ihren Intellekt. Ihren Humor. Aber ich bin immer noch sicher, dass ihr Konzept – „Politik ist reagieren“– exakt einen Buchstaben zu viel beinhaltet. Weil es um Regieren geht.
Für den Moment bleibt mir ein kleiner halber Regalmeter Merkel-Bücher. Ziemlich viel. Außerdem jede Menge Vermutung und Verurteilung darin. Meinen liebsten Satz über sie – hat ohnehin Merkel selber gesagt. Sie wolle sich nicht eines Tages halbtot aus der Politik wegschleppen.
Hat sie geschafft.
Dafür Kompliment. Und adieu, Frau Kanzlerin!
Die Autorin ist Deutschland-Korrespondentin des „Luxemburger Wort“