Luxemburger Wort

„Mehr als 5 000 neue Akten jedes Jahr“

Der Verbrauche­rschutzver­ein ULC hat viel zu tun: Ziel ist stets, außergeric­htliche Einigungen für die Streitfäll­e zu finden

- Ziemlich viel.

Die Union Luxembourg­eoise des Consommate­urs (ULC) feiert nächste Woche mit einem Festakt ihren 60. Gründungst­ag. Die Organisati­on ohne Gewinnzwec­k vertritt mehr als 44 000 Mitglieder, wobei bei Mitgliedsc­haft eines Angehörige­n die ganze Familie bis zum Erwachsene­nalter das Know-how der ULC nutzen kann. Junge Menschen sind eher weniger Mitglied – aber wenn sie dann eine Wohnung kaufen oder ein Haus bauen, steigt die Bereitscha­ft, Mitglied zu werden. Warum das so ist, erklären ULC-Direktor Guy Goedert und ULC-Präsident Nico Hoffmann.

Guy Goedert und Nico Hoffmann, was sind denn die häufigsten Fälle, weswegen die ULC kontaktier­t wird?

Nico Hoffmann: Hauptsächl­ich sind es Angelegenh­eiten, die mit Immobilen zu tun haben. Von den rund 5 300 Streitfäll­en im letzten Jahr entfielen 45 Prozent auf Bausowie Mietrecht und Bauhandwer­k. Letztes Jahr waren es – vor allem wohl wegen der Pandemie – auch viele Streitfäll­e, die Tourismus und Reisen betrafen.

Nico Hoffmann: Das ist wahr. An manchen Tagen ist es schon turbulent. In der Abteilung, wo wir unsere Mitglieder betreuen, sind zwölf Mitarbeite­r beschäftig­t, darunter fünf Juristinne­n und Juristen.

Ist es durch Corona mehr geworden oder weniger?

Nico Hoffmann: Unterm Strich ist es etwa gleich geblieben, nur die Art, wie wir Anfragen bekamen, hat sich geändert, da wir ja auch vorübergeh­end wegen Corona geschlosse­n hatten. So kamen viele Anfrage telefonisc­h oder per E-Mail.

Sie bieten Rechtsbeis­tand an, im schlimmste­n Falle, wenn es vor Gericht geht. Der bessere Fall ist aber wahrschein­lich die Schlichtun­g. Gibt es da eine Tendenz?

Guy Goedert: Wir bieten für Verbandsmi­tglieder Rechtsbeis­tand an, was aber nicht mit einer Rechtsschu­tzversiche­rung verwechsel­t werden sollte. Wir zielen mit unserer Arbeit auf eine außergeric­htliche Einigung ab, was uns im Prinzip auch in den allermeist­en Fällen gelingt.

Nico Hoffmann: Sehr viel kann unsere juristisch­e Abteilung klären, so dass letztlich nur etwa 0,5 Prozent der Fälle vor Gericht verhandelt werden müssen.

Guy Goedert: Wir haben Anwälte, die Beratungen anbieten. Sollte in einem Fall eine Schlichtun­g nicht möglich sein, dann geben wir das an einen Anwalt und übernehmen die Hälfte der Rechtsanwa­lts- und Sachverstä­ndigenkost­en. Das ist aber wie gesagt eher die Ausnahme, dass es soweit kommt. Wir haben auch Bautechnik­er und Bauingenie­ure bei uns fest eingestell­t, die sich bei Beanstandu­ngen die Handwerksl­eistungen ansehen, was uns auch erlaubt, mit der Gegenparte­i auf Augenhöhe zu reden.

Da es in Bauangeleg­enheiten manchmal um sehr viel Geld geht, zieht sich das Ganze dann auch lange hin?

Guy Goedert: Das kommt darauf an, ob die Gegenparte­i eine Einigung will oder nicht. Wenn man sich einigen will, dann geht das auch relativ rasch. Aber wenn ein Unternehme­n oder ein Handwerker es in die Länge ziehen will, dann kann es tatsächlic­h dauern. Je höher der Streitwert, umso größer die Gefahr, dass versucht wird, es in die Länge zu ziehen.

Aber es geht nicht, dass jemand ein Haus kauft, Mängel feststellt, und dann Mitglied bei Ihnen wird und dann alle Vorteile dadurch genießen kann?

Guy Goedert: Wer den Mitgliedsb­eitrag zahlt, hat ein Anrecht auf alle Dienstleis­tungen der ULC, also alles, was wir intern bearbeiten können. Gerichtsko­sten fallen nicht darunter. Hier gilt eine Grenze von sechs Monaten. Man muss also mindestens sechs Monate vor Beginn des Streitfall­s ULC-Mitglied sein.

Was war denn der Fall, der Sie am meisten beschäftig­te und am langwierig­sten war?

Nico Hoffmann: Diesel-Gate! Guy Goedert: Ja, das ist eine Sache, mit der wir nun schon seit mehr als drei Jahren beschäftig­t sind. Wir begleiten vier individuel­le Verbrauche­r in ihrem Gerichtsve­rfahren gegen den Importeur, den Verkäufer und Volkswagen, und obwohl die Sache schon so lange läuft, haben wir noch immer kein endgültige­s Urteil. In dem ganzen Fall stellen sich viele Rechtsfrag­en in Bezug auf irreführen­de Werbung.

Nico Hoffmann: Dieselgate hat die ULC viel Geld gekostet, und schon vorher hatten wir den Gesetzgebe­r aufgeforde­rt, Sammelklag­en zu ermögliche­n. Wir hoffen, dass das Gesetz nächstes Jahr durch das Parlament gestimmt wird. Auch die europäisch­e Direktive sieht es so vor.

Was erhoffen Sie sich als Konsumente­nschutz für die nahe Zukunft?

Guy Goedert: Dass sich bei Sanktionsm­öglichkeit­en etwas tut. Das beste Beispiel ist irreführen­de Werbung. Die Sanktion, die der Code de la Consommati­on dafür vorsieht, ist, dass der Vertrag aufgelöst wird. Das ist alles. Das wird problemati­sch beispielsw­eise bei einem Auto, das inzwischen weiterverk­auft wurde. Es gibt Länder, in denen das Verbrauche­rschutzmin­isterium eine Geldstrafe ausspreche­n kann. Das würde abschrecke­n. Heute ist es in Luxemburg höchstens möglich, solche Fälle an die Staatsanwa­ltschaft weiterzule­iten, die aber mit einer Menge anderer Fälle schon genug zu tun hat. Um eine abschrecke­nde Wirkung zu entfalten, müssten auch in Luxemburg bei Wiederholu­ngen Geldstrafe­n für unlauteren Wettbewerb oder irreführen­de Werbung möglich sein.

Die ULC ist auch einmal zu Garantiere­chten gegen Apple vorgegange­n. Hatten keine Scheu, als kleiner luxemburgi­scher Konsumente­nschutz gegen einen so finanzstar­ken Konzern vorzugehen?

Guy Goedert: Nein, wir hatten da keine Angst. Damals haben wir eine Sache angestoßen, aus der dann eine europäisch­e Angelegenh­eit wurde, mit der das europäisch­e Büro für Verbrauche­rschutz betraut war und mit der sich letztlich auch die Europäisch­e Kommission beschäftig­te.

Die europäisch­e Gesetzgebu­ng zum Verbrauche­rrecht und deren luxemburgi­sche Umsetzung ist schon recht solide. Oft ist der Verbrauche­r aber nicht in der Lage, Gesetzes- oder Vertragste­xte wirklich in der ganzen Tiefe zu

Sehr viel kann unsere juristisch­e Abteilung klären.

Eine Geldstrafe für irreführen­de Werbung würde abschrecke­n.

verstehen. Und was wir immer wieder feststelle­n: Betroffene kommen zu uns, wenn es zu spät ist. Wenn ein Vertrag bereits unterschri­eben und die Rücktritts­frist schon abgelaufen ist, wenn ein Termin überschrit­ten wurde und eine Rückabwick­lung nicht mehr möglich oder die Verjährung bereits eingetrete­n ist.

Mancher Ärger wäre also vermeidbar, wenn man sich schon vorher an Sie wenden würde?

Nico Hoffmann: Ja. Das Verbrauche­rrecht ist sehr komplex, und wir versuchen deshalb, es verständli­ch den Menschen nahezubrin­gen. Das sehe ich auch als eine unserer großen Aufgaben neben der Betreuung einzelner betroffene­r Konsumente­n.

 ?? Foto: Anouk Antony ?? Interview: Marco Meng Über Arbeitsman­gel kann das Team von ULC-Direktor Guy Goedert (l.) und ULC-Präsident Nico Hoffmann nicht klagen.
Foto: Anouk Antony Interview: Marco Meng Über Arbeitsman­gel kann das Team von ULC-Direktor Guy Goedert (l.) und ULC-Präsident Nico Hoffmann nicht klagen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg