Jubiläum unter schlechten Vorzeichen
Vor 20 Jahren ist China unter großen Hoffnungen des Westens der Welthandelsorganisation beigetreten
Wie sich die Zeiten doch gewandelt haben! Wer ins Zeitungsarchiv von vor 20 Jahren schaut, liest von einer allgemeinen „Aufbruchsstimmung“, von Hoffnungen in den „Zukunftsmarkt“und den bevorstehenden „Reformen“. Ohne Frage: Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation am 11. Dezember 2001 war mit großen Hoffnungen des Westens verknüpft.
Zwei Jahrzehnte später ist jedoch längst Ernüchterung eingekehrt: Während die WTO-Mitgliedschaft der Volksrepublik in den heimischen Medien euphorisch zelebriert wird, blicken Europa und die Vereinigten Staaten mit gemischten Gefühlen auf die Entwicklungen der letzten Jahre. Der große Nutznießer, und das ist der erfreuliche Teil der Geschichte, ist die chinesische Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen. Denn seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation hat sich das Bruttoinlandsprodukt Chinas mehr als verzehnfacht, die Kaufkraftparität liegt mittlerweile bei etwas über 17.000 Dollar. Auch nach konservativen Schätzungen wird das Reich der Mitte in absoluten Zahlen noch vor Ende des Jahrzehnts die Vereinigten Staaten als größte Wirtschaft der Welt abgelöst haben.
Eskalierender Konflikt
Doch die Außensicht ist eine ganz andere. Insbesondere die Haltung der Amerikaner hat sich stark gewandelt. Bereits unter Barack Obama wurden die Mahnungen immer lauter, dass sich China stärker an die internationalen Handelsnormen
halten solle – allen voran beim Schutz geistigen Eigentums. Sein Nachfolger Donald Trump eskalierte den Konflikt schließlich mit flächendeckenden Strafzöllen gegen die Volksrepublik.
Doch auch der jetzige US-Präsident Joe Biden hat diese beibehalten. Seine Handelsbeauftragte Katherine Tai begründete die Maßnahme zuletzt mit deutlichen Worten: „Zu lange hat Chinas mangelnde Einhaltung globaler Handelsnormen den Wohlstand der Amerikaner und anderer Menschen auf der ganzen Welt untergraben“. Dass Washington die massiven Jobverluste der amerikanischen Industrie dem Aufstieg der Chinesen in die Schuhe schiebt, hat jedoch auch mit einer Sündenbock-Mentalität zu tun.
Die europäische Sicht auf die Dinge ist jedenfalls eine andere. Doch der Blick der EU auf die
Volksrepublik ist ebenfalls getrübt: Zwar konnten insbesondere deutsche Unternehmen stark von der chinesischen Öffnung profitieren.
Doch jener Kurs kam spätestens mit dem jetzigen Staatschef Xi Jinping zu einem Stillstand. Zuletzt ließ sich gar ein Rückwärtstrend ausmachen: Während Xi seine erfolgreichsten Privatunternehmen radikal reguliert, stärkt er die Staatskonzerne über allen Maßen.
Die europäische Handelskammer in Peking bringt jährlich ein Geschäftsklima-Bericht heraus, in dem die Firmen seit jeher die immer selben Probleme beklagen: Es geht um Wettbewerbsverzerrungen durch chinesische Staatsunternehmen, mangelnde Investitionssicherheit, Beschränkungen des Marktzugangs und die nach wie vor verbreitete Praxis des erzwungenen Technologietransfers.
Ökonomischer Druck
In Chinas Staatsmedien hingegen besteht man darauf, dass die Regierung seine Verpflichtungen gegenüber der Welthandelsorganisation vollständig erfüllt und seinen Öffnungskurs fortfährt. Doch tatsächlich lässt sich nicht abstreiten, dass die Volksrepublik seine wirtschaftliche Macht zunehmend als politisches Druckmittel missbraucht. Etliche Länder haben bereits die ökonomischen Vergeltungsmaßnahmen Chinas zu spüren bekommen, von Südkorea über die Philippinen bis hin zu Australien.
Doch nirgendwo zeigt sich die hässliche Fratze des Einparteienstaats so offen wie beim derzeitigen Konflikt mit Litauen. Nachdem der baltische Staat eine Vertretung Taiwans unter offizieller Landesbezeichnung eröffnen ließ, stoppte China den gesamten Handel mit Litauen. Mehr noch: Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag berichtete, soll China von internationalen Unternehmen gefordert haben, sämtliche Verbindungen zu Litauen zu kappen. Andernfalls drohe der Ausschluss vom chinesischen Markt.