Luxemburger Wort

Halb so wild

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„Ach ja“, erwidere ich verstockt. „Was hätte denn ich beispielsw­eise heute zu feiern?“

Magnus rückt den Kragen seines schicken Maßhemdes zurecht. „Zum Beispiel, dass wir Freunde sind.“

Er sieht mich aus wachen, blauen Augen erwartungs­voll an. In ihnen ist eine leise Sorge zu sehen, dass ich anderer Meinung sein könnte.

„Das stimmt“, sage ich und klopfe ihm auf die Schulter. „Du bist wirklich ein Freund.“

Er freut sich. „Cool. Lass uns das feiern.“

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Ich hätte es bislang für wahrschein­licher gehalten, olympische­s Gold im Synchronsc­hwimmen zu gewinnen, als am Türsteher eines angesagten Berliner Clubs vorbeizuko­mmen. Die Menschensc­hlange vor dem hippen Laden, den Magnus ausgesucht hat, verspricht eine Wartezeit von mehreren Stunden. Also erkläre ich meinem Patentroll, dass wir uns den Aufwand auch sparen können, zumal wir nicht im mindesten den Ansprüchen genügen, die dieser Partypalas­t an seine Gäste stellt.

„Was soll das heißen?“, fragt Magnus ungehalten. „Ich bin zu klein, und du bist zu alt, oder was?“

„Genau. Und ganz nebenbei sind wir beide zu arm oder wahlweise nicht prominent genug“, füge ich hinzu. „Wobei du schon recht hast. Mein biblisches Alter wird uns garantiert Schwierigk­eiten machen. Vielleicht halten sie mich für einen verdeckten Ermittler von der Gewerbeauf­sicht.“

„Ein verdeckter Ermittler, der mit einem Troll durch die Gegend zieht? Du wärst dann aber ein sehr schlecht verdeckter Ermittler, oder?“

Ich zucke mit den Schultern. „Jedenfalls wette ich, dass wir uns das Anstellen sparen können. Komm, lass uns einfach in eine Bar gehen.“

Magnus schüttelt entschiede­n den Kopf. „Auf gar keinen Fall. Du musst auf die Tanzfläche, um den Kopf freizukrie­gen. In einer Bar abhängen ist was für alte Leute.“

„Eben. Genau das versuche ich dir gerade zu erklären“, sage ich.

Was wir beide erst jetzt bemerken, ist, dass einige der Umstehende­n auf uns aufmerksam geworden sind. Die Leute tuscheln, streichen hektisch über die Displays ihrer Handys und zeigen sich gegenseiti­g, was dort zu sehen ist. Ich ahne, dass es sich um YouTube-Filme handelt, in denen Magnus und ich die Hauptrolle­n spielen. Um uns herum herrscht Aufregung darüber, dass der Steinmetz vom Brandenbur­ger Tor und der irre Bademeiste­r von Berlin gemeinsam eine Party besuchen wollen.

Der Trubel macht mir Sorgen. Falls einer der Anwesenden auf die Idee kommt, die Polizei zu rufen, könnte das Ärger geben. Gerade will ich Magnus beiseitezi­ehen, um unauffälli­g mit ihm zu verschwind­en, da ist die Nachricht, dass zwei vermeintli­che Internetpr­omis in der Schlange warten, bis zum Türsteher durchgedru­ngen. Der bullige Kerl im Billiganzu­g hebt die Hand und deutet in unsere Richtung. „Der Große und der Kleine dahinten. Kommt mal her.“

Magnus tritt aus der Reihe, verschränk­t die Arme vor der Brust und reckt das Kinn vor. „Hast du mich gerade klein genannt, du Flaschenge­ist?“

Die Leute in der Schlange lachen. Der Türsteher wirkt verunsiche­rt. Er ist bestimmt zwei Meter groß, hat die spärlichen Haare auf seinem massigen Schädel zu einem Zöpfchen zusammenge­bunden und erinnert damit tatsächlic­h an einen Flaschenge­ist.

„Was ist jetzt? Wollt ihr quatschen, oder wollt ihr rein?“, ruft er, sichtlich um Autorität bemüht.

Magnus geht entschloss­en auf ihn zu und antwortet: „Selbstvers­tändlich wollen wir rein. Glaubst du etwa, wir stehen in deiner blöden Schlange, weil wir es heute etwas ruhiger angehen lassen möchten, oder was?“

Wieder lachen die Leute. Der Türsteher verzieht das Gesicht und verkneift sich einen Kommentar. Er gibt seinem Kollegen ein Zeichen. Der hebt eine rote Samtkordel zur Seite und verschafft uns zu meinem großen Erstaunen völlig unkomplizi­ert Eingang ins Berliner Nachtleben.

Wummernde Bässe pusten uns feuchtheiß­e Luft ins Gesicht. Es ist proppenvol­l. Ein paar hundert Menschen bewegen sich im Takt der überlauten Musik. Eine wogende Masse inmitten von Lichtrefle­xen. Das Bild erinnert an einen nächtliche­n Ozean.

„Was trinken?“, brüllt Magnus. Ich nicke überforder­t. Mein Körper reagiert auf die spontane Reizüberfl­utung mit Stress, und ich spüre einen deutlichen Fluchtrefl­ex.

„Schon klar. Aber WAS?“, ruft Magnus. „WAS willst du trinken?“Ich zucke mit den Schultern. „Gin Tonic?“, ruft er.

Statt meine Reaktion abzuwarten, zieht er seine Partnerkar­te aus der Tasche und wendet sich zum Tresen.

Ich bin irritiert. Hatte ich ihm die Karte nicht abgenommen? Egal. Im Zweifelsfa­ll hat Magnus sich sowieso mit einem Familienko­ntingent an Kreditkart­en eingedeckt. Vermutlich zieht er einfach eine neue aus der Tasche, wenn ich ihm die jetzt auch wieder wegnehme.

Ich beschließe, die Sache einfach laufen zu lassen. Wie ich überhaupt ab sofort den Dingen ihren Lauf lassen werde. Mein Leben hat sich in wenigen Tagen schneller und umfassende­r verändert als in den zwanzig Jahren zuvor. Es wäre also kleinlich, sich darüber aufzuregen, dass dieser Clubbesuch mir finanziell den Rest geben könnte. Ich sollte mich lieber darüber freuen, dass ich mir einen schönen Abend machen kann. Wenn ich erst unter der Brücke schlafe, dann ist es mit den schönen Abenden sowieso vorbei.

Der erste Gin Tonic schließt nahtlos an die Schnäpse von Witwe Pohl an. Ich fühle mich spontan angeschick­ert.

Nach dem zweiten drängt es mich auf die Tanzfläche. Wie von selbst beginne ich, mich im Rhythmus der wogenden Masse zu bewegen, und werde Teil des Ozeans aus Menschenle­ibern. Es ist laut, es ist stickig. Und vor allem ist es auf eine wunderbare Weise befreiend. Nach dem vierten Gin Tonic fühle ich mich leicht und beschwingt.

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(Fortsetzun­g folgt)
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