Die Rufer in der Wüste
Was in den Gutachten zum Etatentwurf für 2022 steht
Bestenfalls werden sie von politischer Seite zur Kenntnis genommen und geraten dann ganz schnell in Vergessenheit: die Gutachten zum Etatentwurf. Ob Berufskammern, Staatsrat oder Verbände aus der Zivilgesellschaft – oftmals enthalten die seitenlangen Dokumente neben kritischen Bemerkungen zur haushaltspolitischen Ausrichtung auch konstruktive Vorschläge, wie dieses oder jenes Politikfeld beackert werden kann.
Eine gewisse Originalität
Beispiel Wohnungsbau. Zur Neuausrichtung der Grundsteuer liefert die Stiftung IDEA Änderungsvorschläge und plädiert für eine Anpassung der Einheitswerte, bei der Kriterien wie Nutzfläche, geografische Lage, Baujahr und Ausstattung eines Hauses berücksichtigt werden. Des Weiteren schlägt die Stiftung, die sich als multidisziplinäres Ideenlabor versteht, die Einführung einer sogenannten „bedroom tax“nach britischem Vorbild vor, um nicht beziehungsweise nur teils bewohnte Häuser zu besteuern.
IDEA regt auch die Schaffung eines Fonds zur grenzüberschreitenden Entwicklung an, um eine ausgewogenere Erschließung dieser Regionen zu erreichen; als Vorbild dient dabei das Modell Grand Genève. Mit einem anderen Fonds (Fonds pour calamités naturelles) will die Stiftung das Land besser wappnen, um im Fall von Naturkatastrophen effizient und rasch finanzielle Hilfe zu leisten.
Um den Wohnungsbau sorgt sich auch die Berufskammer der Staatsbeamten; sie erwartet sich bei der angekündigten Reform der Grundsteuer Gebührensätze, die der Herausforderung gerecht werden. Darüber hinaus verlangt das Gremium eine Vereinfachung der Genehmigungsprozeduren, eine grundlegende Überarbeitung der Beihilfen und die Anwendung des super-reduzierten Mehrwertsteuersatzes bis zu einem Betrag von 150 000 Euro (zurzeit 50 000 Euro).
Nach Dafürhalten der Handelskammer kann die angespannte Lage am Wohnungsmarkt auch dadurch entschärft werden, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern Wohnungen zur Verfügung stellen. An die Politik ergeht der Appell, entsprechende steuerliche Rahmenbedingungen für jene Betriebe zu schaffen. Für die Chambre de commerce schreibt sich diese Idee ein in die Reihe an Maßnahmen, mit denen auch die Attraktivität des Standortes Luxemburg gefestigt wird. Dazu zählt neben einem allgemein günstigen Steuerrecht, bei dem sich die Betriebsbesteuerung am EU-Medianwert (21 Prozent) orientiert, die Stärkung der Forschungs- und Innovationssparte.
Zwei Transitionen
Die Handelskammer beschreibt darüber hinaus zwei Transitionen, denen die Politik ein besonderes Augenmerk widmen sollte. Einerseits der digitale Wandel, wo ein „Observatoire des compétences“sich mit dem Wandel der Berufsbilder befasst – Studien zufolge würden heute 85 Prozent der Profile, die 2030 benötigt werden, noch nicht existieren; andererseits der Klimawandel, wo die Berufskammer bedauert, dass die zur Umsetzung des nationalen Energieund Klimaplanes verfügbaren
Gelder im Etatentwurf nicht detaillierter verplant werden.
Je früher man etwas unternimmt, desto geringer müssen die Anpassungen sein. Marc Wagener, CNFP-Präsident
Ein „entscheidender Akteur“
Mit Blick auf die Klimaherausforderung hebt die Handwerkskammer ihre Rolle als „entscheidender Akteur“hervor. Folglich wird der vom Premierminister in Aussicht gestellte Klimapakt für Kleinund Mittelunternehmen auch begrüßt; gleichsam wird im Gutachten bedauert, dass Einzelheiten zu diesem Pakt bis dato fehlen.
Die Handwerker beschäftigen sich auch mit der Logementfrage und sehen den verstärkten Rückgriff auf privat-öffentliche Initiativen als eine Antwort, um erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Am Beispiel Wohnungsbau macht die Berufskammer auch ein Ungleichgewicht bei der budgetären Behandlung der Prioritäten von Blau-Rot-Grün fest: Während für den öffentlichen Transport 610 Millionen Euro eingeplant werden, stehen für die Herausforderung Logement lediglich 255 Millionen Euro zur Verfügung.
Luxemburgs Achillesferse
Beide Berufskammern sorgen sich ebenso wie der Conseil national des finances publics (CNFP) um die demografische Entwicklung und, damit einhergehend, die nachhaltige Finanzierung der Renten. So bezeichnet die Handelskammer die alternde Gesellschaft als Achillesferse und die Handwerkskammer gibt zu bedenken, dass das zur fortwährenden Finanzierung der Altersvorsorge notwendige Beschäftigungswachstum nicht „mit den von der Gesellschaft geforderten Konzepten der nachhaltigen Entwicklung und des qualitativen Wachstums“vereinbar seien. „Je früher man etwas unternimmt, desto geringer müssen die Anpassungen sein“, lautet denn auch der Ratschlag von CNFP-Präsident Marc Wagener. Drei Hebel stünden der Politik dabei zur Verfügung: Beiträge erhöhen, Leistungen kürzen oder das Rentenalter anheben.
Während in den meisten Gutachten hervorgehoben wird, dass Luxemburg die Pandemie bislang budgetär gut überstanden hat, sorgen sich Handelskammer und nationaler Finanzrat um eine andere Entwicklung: die steigende Inflation infolge steigender Energieund Rohstoffpreise. Die Chambre de commerce beispielsweise gibt zu bedenken, dass sich die Preise für Erdgas seit Ende 2020 vervierfacht haben.
Beim Blick auf die vorgeschlagenen Haushaltszahlen bleibt der Staatsrat bei den laufenden Kosten hängen und kritisiert den „beeindruckenden“Anstieg von 9,1 Prozent, den die hohe Körperschaft in erster Linie auf die Einstellungspolitik beim Staat zurückführt, mit 2 300 zusätzlichen Stellen. Dabei erinnert die Hohe Körperschaft an ihr Gutachten zum Etatentwurf für 2017, in dem sie nach Gründen und Rechtfertigungen für den damaligen Personalzuwachs fragte.
Demgegenüber betont die Staatsbeamtenkammer die Bedeutung eines qualitativ starken öffentlichen Dienstes, der sich in der Corona-Krise bewährt habe. mas
progressiv sinkt, auch weil die Renten zunehmen. Wenn wir nach qualitativem Wachstum streben, kann eine Antwort lauten, dass wir weniger wachsen. Dann müssen wir uns aber auch der budgetären Folgen bewusst sein: ob für die Infrastrukturpolitik oder für die Sozialpolitik mit ihrem heute engmaschigen Netz an Leistungen.
Mit dem Argument der Pandemie verzichtet Blau-Rot-Grün auf die Steuerreform. Hätte sich für Sie, nach eingehender Auseinandersetzung mit den Haushaltszahlen, nicht dennoch Spielraum für steuerliche Anpassungen ergeben?
Für mich ist wichtig, dass wir Anfang 2022, auch auf Betreiben der LSAP, eine Debatte zur Steuergerechtigkeit führen. Diese Diskussion sollten wir nutzen, um zu skizzieren, in welche Richtung die Steuerreform gehen soll. Ein Ansatz sollte sein, Arbeit weniger und Kapital stärker zu besteuern. Die Steuerreform ist nicht vergessen.