Wellness mit Blitz
Die SPD wählt ihre Führung neu – und das geht für die Linken in der Partei nur mäßig gut aus
Der Blitz schlägt ein wenige Minuten nach drei. Bis dahin hat die SPD sich eine Art Wellnessparteitag gegönnt. Und sie hat zum Wohlfühlen ja auch allen Grund. Am Dienstag hat die Partei mit Grünen und FDP den Koalitionsvertrag unterschrieben für die sogenannte Ampel. Am Mittwoch dann hat der Bundestag Olaf Scholz zum vierten sozialdemokratischen Kanzler gewählt. Und seit Donnerstag legt die neue Bundesregierung los.
Im Grunde genommen ist das ja immer noch eine Sensation. 13 Prozent, trotzdem Kanzlerkandidat, Spott und Hohn – die Geschichte ist oft erzählt. Auch, dass die Sache vielleicht anders ausgegangen wäre, hätte sich die Union nicht so dumm angestellt. Egal: Die SPD jedenfalls hat sich zusammengerissen, einen Wahlkampf wie aus einem Guss hingelegt, kein Streit, keine Sticheleien aus dem Off – Scholz kriegte von der Partei exakt die „Beinfreiheit“, die acht Jahre zuvor Peer Steinbrück vergeblich eingefordert hatte, und von der vor vier Jahren für Martin Schulz schon gar keine Rede mehr war.
Zerstrittene Partei geeint
Dass es 2021 dann so gut funktioniert – das hat viel mit Lars Klingbeil zu tun, mit Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans. Klingbeil hat als Generalsekretär den Wahlkampf organisiert, Esken und ihr nicht nur in der SPD Nowabo genannter Chef-Kollege haben Scholz – der gemeinsam mit der neuen Bauministerin Klara Geywitz gegen die beiden um den Vorsitz angetreten war und verloren hatte – sein Ding machen lassen. Beiden kann das nicht leicht gefallen sein, Esken aber richtig schwer. Denn Scholz steht in der SPD dezidiert rechts – sie aber links. Gemeinsam mit Nowabo und mit Klingbeil hat Esken die nicht nur darniederliegende, sondern dazu extrem zerstrittene SPD – die Flügel hatten sich kaum noch etwas zu sagen, noch weniger aber Parteiführung und Basis – wieder zu einer Einheit gefügt. Zumindest nach außen. Was ja genügt. Am Ende von zwei Jahren wirklicher Kärrnerarbeit ist die SPD zurück im Kanzleramt. Walter-Borjans sieht damit sein Werk getan. Esken aber – die auch mit einem Ministerium liebäugelte – will Parteichefin bleiben. Und Klingbeil – ebenfalls als Minister gehandelt – will Co-Chef sein. Als Generalsekretär soll ihm der Ex-Juso-Chef
Kevin Kühnert folgen, wie Esken dezidiert links.
Seit das heraus ist, nimmt das Regierungsviertel die Personalien durch. Und spekuliert: Wird Kühnert die Partei gegen Scholz aufstellen? Oder Scholz die Partei unterjochen? Oder wird die SPD es zum ersten Mal seit Willy Brandt schaffen zu regieren, ohne dass die Partei leidet und ächzt und am Zerreißen entlangbalanciert?
Die Bilanz- und Bewerbungsreden von Klingbeil und Esken beim Parteitag am Samstag sagen dazu nichts. Klingbeil wiederholt die neue Scholz-Erzählung vom „sozialdemokratischen Jahrzehnt“, das jetzt beginnt. Esken sagt Richtung Scholz: „Dieses Land hofft auf dich.“Und verspricht: „Wir werden alles beitragen, dass du erfolgreich bist.“Bei Kühnert wird das später ein bisschen anders klingen.
Aber erst wählt der Parteitag – allein das Spitzenpersonal aus Bund und Ländern ist in Berlin, der Rest digital zugeschaltet – die Vorsitzenden. 86,3 Prozent für Klingbeil – 76,7 für Esken; für sie ist das nur ein knappes Prozentchen mehr als vor zwei Jahren. Zack. Blitz. Vorbei mit Wellness. Esken nickt – aber trotz Maske ist klar: Da ist keine Freude in ihrem Gesicht. Ihre Loyalität zu Scholz wird nicht belohnt. Ein paar Genossinnen streicheln ihr beim Gratulieren tröstend den Rücken.
Natürlich: Es muss nicht an Eskens innerparteilicher Verortung liegen. Oft wird ihr auch ihre Sprödigkeit vorgehalten. Da ist sie in etwa das Gegenteil von Kühnert. Der ist ein Multitalent: Hat klare programmatische Vorstellungen, ist rhetorisch begabt – und obendrein hoch kommunikativ.
Scholz durchschaut die Botschaft Seine Fünf-Minuten-Bewerbungsrede beweist es. Und wer genau hinhört, kann sie als eine sanfte, aber deutliche Ansage an den neuen Kanzler verstehen. „Fraktion und Regierung“, sagt Kühnert, „sind für uns als Partei unsere Hände.“Die Partei aber „ist Kopf und Herz“.
Scholz durchschaut die Botschaft, was sonst. Er sieht während Kühnerts Rede nicht begeistert aus; aber er applaudiert. Kühnert kriegt 77,78 Prozent – eine Winzigkeit mehr als Esken.
Man kann das als Rückendeckung des Parteitags für den neuen Kanzler verstehen. Aber genauso gut als Erkenntnis aus mehrfach gehabtem Schaden. Als Olaf Scholz sich gegen Ende seiner Rede „für die Aufträge“bedankt – spielt kurz ein Lächeln um seinen Mund; ein zumindest zart spöttisches. Zuvor hat er gesagt: „Ich setze darauf, dass ihr diese Arbeit unterstützt.“Gemeint ist – seine.
Wird die SPD es zum ersten Mal seit Willy Brandt schaffen zu regieren, ohne dass die Partei leidet und ächzt?