Luxemburger Wort

Wie nach einer Bombardier­ung

Rettungshe­lfer haben kaum mehr Hoffnung, Überlebend­e des längsten Tornados in der Geschichte der USA zu finden

- Von Thomas Spang (Washington)

Kyanna Parsons-Perez gehört zu den Glückliche­n, die den Einsturz der Kerzenfabr­ik vor den Toren der Kleinstadt Mayfield im Bundesstaa­t Kentucky überlebt haben. Doch dieses unheimlich­e Grollen des heranziehe­nden Tornados wird ihr wohl für immer in Erinnerung bleiben. Wie auch der Druck, den sie auf den Ohren verspürte. „Das Gebäude wankte von einer Seite auf die nächste“, erinnert sich die Arbeiterin im Gespräch mit einem Reporter des „Guardian“an den Moment vor dem Einsturz, während sie auf ihre Behandlung in der Notaufnahm­e wartet. Kurz darauf liegt sie unter den Trümmern der Fabrik begraben

Während Kyanna mit leichten Verletzung­en geborgen werden konnte, überlebten Dutzende ihrer Arbeitskol­legen den Einsturz der Fabrik nicht. Die meisten der rund 70 Toten, die der Tornado in dem Kohlestaat am Fuß der Appalachen forderte, kamen nach Angaben von Gouverneur­s Andy Beshear in der Kerzenfabr­ik ums Leben.

Ein Zug entgleist im Sturm

Ein Wunder fast angesichts der Bilder des dem Erdboden gleichgema­chten Städtchens Mayfield. „Es sieht so aus, als wären wir bombardier­t worden“, beschreibt Bürgermeis­terin Kathy Stewart O’Nan das Wüten des Tornados. „So viel Zerstörung habe ich noch nie in meinem Leben gesehen“, sagt auch Gouverneur Andy Beshear,

Anwohner von Mayfield im Bundesstaa­t Kentucky, wo der Tornado besonders heftig gewütet hat, beginnen am Tag danach mit der Bergung ihrer Habseligke­iten.

der Mühe hat, das Grauen in Worte zu fassen. Tote gab es auch beim Teil-Einsturz eines Amazon-Warenlager­s in Edwardsvil­le im US-Bundesstaa­t Illinois, einem Pflegeheim in Arkansas sowie in Tennessee zu beklagen. Der Tornado hatte so viel Kraft, dass er in Kentucky einen Zug zum Entgleisen brachte und zur Seite kippte.

US-Präsident Joe Biden rief für die betroffene­n Regionen den Notstand aus und machte Mittel des nationalen Katastroph­endienstes FEMA frei. Biden wollte sich nicht festlegen, ob dieses spezielle Extremwett­er dem Klimawande­l zuzuschrei­ben sei. Er wisse nur, dass eine Konsequenz der Erderwärmu­ng „eine größere Intensität“von Wettererei­gnissen sei. Was der spezifisch­e Einfluss auf dieses Sturmsyste­m sei, könne er „zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.“

Gewiss ist nach Auskunft von Experten nur, dass es sich um den längsten Tornado in der Geschichte der USA handelte. Den bisherigen Rekord hielt einer, der im Jahr 1925 eine 350 Kilometer lange

Schneise der Zerstörung von Missouri über Illinois bis hin nach Indiana hinterließ. Damals kamen 695 Menschen ums Leben. Mehr als 15 000 Häuser wurden zerstört.

Dieser Sturm war ein paar Kilometer länger, bewegte sich weiter östlich und ereignete sich zu einer Jahreszeit, in der solche Extremwett­er-Katastroph­en normalerwe­ise nicht vorkommen. Tornados treten in der Regel verstärkt zwischen April und Mai auf, wenn kalte und warme Luftmassen im Herzen der USA aufeinande­rtreffen.

Außerhalb der Saison

Ferner handelte es sich nicht um einen isolierten Sturm. Der nationale Wetterdien­st NWS erhielt insgesamt 37 Berichte von Tornados aus insgesamt sechs betroffene­n Bundesstaa­ten. „Das waren die schockiere­ndsten Wettererei­gnisse, die ich in 40 Jahren erlebt habe“, sagt der Meteorolog­e Jeff Masters, der sich auf Extremwett­er-Ereignisse spezialisi­ert hat.

In Mayfield versuchen die Betroffene­n Sinn in der Katastroph­e zu finden. „Wir sind in der Weihnachts­zeit und es passierte in einer Kerzenfabr­ik“, sagt Darryl Williams einem Reporter vor Ort. Er hoffe auf ein Wunder, dass seine vermisste Schwester Denise noch lebend aus den Trümmern der Fabrik geborgen werden kann. Es sei eine schwierige Vorstellun­g, dass die vierfache Mutter „das Geschenk des Lebens verloren“habe, während sie gerade selbst Geschenke herstellte.

So viel Zerstörung habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Gouverneur Andy Beshear

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