„Mit dieser Musik kann man abheben“
Star-Flötist Emmanuel Pahud zum Gastspiel als Solist beim Orchestre Philharmonique im Gespräch
Eben nicht nur wegen seiner Virtuosität, sondern auch wegen seiner Bühnenpräsenz hat Emmanuel Pahud die Herzen der Klassikfans erobert. Am 17. Dezember bestreitet er zusammen mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg (OPL) unter Gustavo Gimeno einen Abend rund um die französische Moderne. Als Soloflötist der Berliner Philharmoniker gilt er vielen als Maßstab nicht nur im französischen Repertoire.
Emmanuel Pahud, wieso haben Sie der Solistenrolle zugestimmt? Sie hätten doch trotz Corona wahrscheinlich weltweit überall auftreten können. Aber warum gerade Luxemburg mit diesem Orchester und unter Gimeno?
(lacht) Das ist doch eine der feinsten Adressen dieser Welt. Es ist mir eine Ehre; etwas, was ich schon länger machen wollte. Ich war vor ein paar Jahren zuletzt in Luxemburg zu Gast – und ich freue mich immer, wieder zu kommen. Durch die Philharmonie hat Luxemburg ein wunderbares Haus der Musik, das die Verbindung zwischen Orchester, Publikum, Dirigent und Solist fördert und pflegt.
Wenn ich recht informiert bin, haben Sie als Gast des OPL bisher lediglich unter dem ehemaligen Chefdirigenten Emmanuel Krivine gespielt. Was spricht vielleicht besonders für Gimeno und reizt Sie, gemeinsam mit ihm eine besondere künstlerische Interpretation zu erarbeiten?
Wir haben sicher gemeinsam, dass wir einer Generation angehören, die das Musizieren im Orchester und auf der Bühne in dem Format von Claudio Abbado kennengelernt haben. Wir haben schon öfter Konzerte miteinander gespielt. Gustavo Gimeno stand im Oktober zum ersten Mal am Pult der Berliner Philharmoniker und ich war in der Flöte besetzt. Wir haben jetzt schon Pläne für weitere Auftritte. Und ich musiziere wahnsinnig gerne mit ihm, weil ich den musikalischen Anspruch, dieses Ideal und die Vision, die Gimeno vorschwebt, sehr gut lesen kann – weil ich es eben auch so kennengelernt habe, als ich ganz jung zu den Berliner Philharmonikern kam.
Aber was spricht jetzt besonders für das französische Programm – Werke von Olivier Messiaen, Maurice Ravel und Jacques Ibert? Gibt es da auch eine Nuance, die Ihnen besonders wichtig ist?
Iberts Flötenkonzert ist eine Herausforderung für jeden Flötisten. Und es ist immer eine besondere Freude für mich, wenn das Werk auf dem Programm steht. Ich hatte es unter Daniel Barenboim in Berlin gespielt und Gimeno und Stephan Gehmacher (Anm. der Red.: der Luxemburger Philharmonie-Generaldirektor) haben das mitbekommen und waren sehr davon angetan. Es hat so viele Farben und Stimmungen – und ist so auch ein Paradestück für jedes Orchester. Das Werk verlangt vom Flötisten eine große Bandbreite. Im ersten Satz zum Beispiel geht es sehr farbenfroh zu, der Kontrast zwischen rhythmischen und melodischen Elementen kommt sehr gut zur Geltung. Und im letzten Satz ist das schon musikalische Pyrotechnik – was Herausforderungen mit sich bringt. Da entsteht manchmal so etwas wie ein Seiltanz-Gefühl; aber man lebt gerne mit diesem Risiko. im Publikum selbst ist – , ist es heutzutage wichtig, in Linien konsequent zu sein. Ein Mischmasch hilft da nicht. Und ich finde es sehr schön, wenn man Variabilität und Tiefe zeigt – mal einen französischen Abend macht und ein paar Wochen später einen russischen Abend, ein paar Wochen später einen norddeutschen Abend zum Beispiel. Die Orchester sind heute viel internationaler aufgestellt – ob in ihrer Besetzung oder bei ihren Dirigenten. Die Berliner Philharmoniker haben diesen Wandel auch erlebt. Das betrifft auch die Berliner Philharmoniker. Es ist so ein großer Spannungsbogen über gleich mehrere Saisonprogramme möglich, ein Erkunden der Welt der Musik, die ganz unterschiedlich sein kann. Und das stärkt ein Orchester, diese Vertiefung mit den Dirigenten zuzulassen.
Geht aber durch diese internationale Arbeit nicht auch eine gewisse Eigenständigkeit oder auch Wesenszüge eines Orchesters verloren. Das OPL sollte sich doch sicher von den Berliner Philharmonikern unterscheiden ...
Es gibt durch diese Diversität ein Gefühl von Freiheit – viel eher als das noch vor Jahrzehnten der Fall war. Heute sind Orchester in der Lage, fremde Musik viel befreiter und im Austausch kennenzulernen und leichter zu erarbeiten. Letztlich sind so die Standards sehr viel höher geworden – was das Niveau jedes Musikers im Bezug zu den notwendigen Fähigkeiten an seinem Instrument und die Genauigkeit jedes Orchesters angeht. Werke, die einst bei ihrer Uraufführung Wochen an Erarbeitungszeit verbraucht hätten, können heute in wenigen Tagen geprobt werden. Das nenne ich Fortschritt. Aber jedes Orchestermitglied, jeder Konzertsaal prägt natürlich das Spiel, das Verhältnis zum Publikum und die Auswahl der Literatur. Und da hat das OPL ganz sicher ganz andere Ziele und Bedürfnisse als deutsche oder französische Orchester.
Ich musiziere wahnsinnig gerne mit Gustavo Gimeno, weil ich den musikalischen Anspruch, dieses Ideal und die Vision, die ihm vorschwebt, sehr gut lesen kann.
Der letzte Satz von Iberts Werk ist musikalische Pyrotechnik.
Heute sind Orchester in der Lage, fremde Musik viel befreiter und im Austausch kennenzulernen und leichter zu erarbeiten.
Haben Sie durch ihre intensive Arbeit – ob mit Ihren Rezitalen und Aufnahmen durch alle Stilepochen bis zur zeitgenössischen Musik – letztendlich hohe Maßstäbe in der Flöte gesetzt, die Sie heute sogar selbst unter Druck setzen?
Mit 50 natürlich habe ich viel mehr Erfahrung, als mit 20, als ich das alles angefangen habe. Ich spiele seit 15 Jahren jedes Jahr ein Flötenkonzert als Uraufführung – und weitere Uraufführungen für Soloflöte oder Kammermusik. Die neue Musik ist eine faszinierende Welt. Und wenn ich mit Komponisten von heutzutage spreche, dann verstehe ich die Komponisten von gestern besser. Ich verstehe den Sinn dahinter besser, wie es dazu kommt, dass diese Phrasen hier oder da eingeflossen sind. Und wie es zu dieser Niederschrift gekommen ist und was hinter den Noten steckt. Im Kontakt und im Austausch mit den Komponisten lerne ich mehr über die Zusammenhänge. Egal, ob die Musik von Beethoven, David Bowie, Brahms oder Strawinsky geschrieben worden ist – zu ihrer Zeit war das immer komplett neue Musik, das darf man nicht vergessen. Und der Impuls, Neues zuzulassen und damit das Vergangene zu verstehen, ist extrem wichtig.
Am 17.Dezember, 20 Uhr in der Philharmonie. Karten (ab 30 Euro, ab 18 Euro erm.) unter Tel. 26 32 26 32.