Selektives Toleranzvermögen
Ein Impf- und Maßnahmengegner und ein Wissenschaftler müssen sich am 19. April im Zuge von Privatklagen vor Gericht verantworten
Luxemburg. Unter den wachsamen Augen von mehr als einem Dutzend Polizisten versammelten sich gestern über 20 Impf- und Maßnahmengegner auf dem Plateau St. Esprit. Sie waren gekommen, um einen der führenden Aktivisten der Bewegung zu unterstützen. Peter Freitag, einer der Organisatoren der seit einem Jahr wöchentlich stattfindenden „Saturday for Liberty – Polonaise solidaire“-Märsche, war nämlich vor Gericht geladen.
„Coronanazis“, „Schüler vum Dr. Mengele“, „Nazien am Geescht“sind einige der Bezeichnungen, mit denen Peter Freitag in den sozialen Medien auf einen Post des Direktors der psychiatrischen Abteilung der Hôpitaux Robert Schuman Jean-Marc Cloos reagierte. Der Mediziner hatte dort einen LW-Leserbrief einer Gynäkologin geteilt, in dem diese sich in aller Deutlichkeit für die Corona-Impfung einsetzt und sich gegen eine Verharmlosung der Covid19-Pandemie wehrt.
Beide Ärzte entschieden sich daraufhin, eine Privatklage wegen Verleumdung und Diffamierung einzureichen. Bei einer sogenannten Citation directe beruhen die Prozesse lediglich auf Strafanzeigen von Privatpersonen, ohne dass ein mögliches Strafverfahren der Staatsanwaltschaft abgewartet wird.
Für die Strafermittlungsbehörde ist Peter Freitag aber kein Unbekannter. Noch am vergangenen Freitag hat die Kriminalpolizei bei dem Mann eine Hausdurchsuchung durchgeführt und ihn zu einer Anhörung vorgeladen. Peter Freitag hatte die Hausdurchsuchung selbst auf Facebook bestätigt und erklärte, die Polizei habe ein Handy beschlagnahmt und sich für von ihm aufgezeichnete Videos interessiert. Im Vorfeld der Corona-Demo am Wochenende hatte Peter Freitag zudem diverse vage Drohungen in den sozialen Medien geäußert.
Impfgegner gegen Virologe
Zu einer Verhandlung kam es gestern nicht. Der Prozess soll nun am 19. April stattfinden. Am selben Tag muss sich auch der Virologe Prof. Dr. Claude P. Muller im Zuge einer Privatklage verantworten. Unter den Impf- und Maßnahmengegnern scheint es ein selektives Verständnis dafür zu geben, welche Aussagen toleriert werden können und welche nicht.
Der Virologe wurde von zwei Personen aufgrund von Äußerungen in Presseberichten angeklagt.
Der Wissenschaftler hatte sich in Artikeln für strengere Maßnahmen und die Impfung eingesetzt. Unter anderem sehen die Kläger aber in der Nutzung des Wortes „Täter“für ungeimpfte Eltern in einem Interview mit dem „Tageblatt“eine Anstiftung zum Hass. In dem Artikel hatte Muller im September gefordert, dass Eltern sich impfen lassen sollen, um zu verhindern, dass sie dem Virus über ihre ungeimpften Kinder eine Brücke von der Arbeitswelt in die Schule bauen.
Kläger bei Expressis-Verbis aktiv
Hinter der Privatklage stehen Nathalie Meier-Hottua und Claude Pauly, beide Mitglieder des Verwaltungsrats
von Expressis-Verbis. In Beiträgen der Online-Plattform werden unter anderem die Impfung und die Corona-Maßnahmen kritisiert. Zum Teil werden auch fragwürdige Theorien und Unwahrheiten verbreitet.
Erstmals rückte die Plattform im vergangenen Mai ins Licht der Öffentlichkeit, als bekannt wurde, dass Cargolux-VerwaltungsratPräsidentin Christianne Wickler an der Gründung beteiligt war. Wickler hat ihre Beteiligung an Expressis-Verbis inzwischen offiziell eingestellt.
Es ist nicht die erste Klage von Impf- und Maßnahmengegnern gegen Prof. Dr. Claude P. Muller. Nach der Publikation des „Tageblatt“-Artikels wurde in sozialen Medien zu einer organisierten Aktion aufgerufen. Eine größere Anzahl Personen reichte Klage gegen den Wissenschaftler bei der Staatsanwaltschaft ein. Innerhalb der Szene wird von etwa 70 Anzeigen gesprochen.
LW-Informationen zufolge wurden die Klagen aber von der Staatsanwaltschaft abgewiesen. Es habe keine Straftat festgestellt werden können. Um diese Entscheidung anzufechten, stand den Klägern die Möglichkeit der Berufung oder jene der Privatklage zu. m.r.