Frankreichs zersplitterte Linke zerlegt sich selbst
Die Kandidaten der Linksparteien spielen im Wahlkampf keine Rolle – Anne Hidalgo spricht sich deshalb für eine Einheitskandidatur aus
Irgendwo im Zug zwischen Paris und La Rochelle an der Atlantikküste muss es im Kopf von Anne Hidalgo vergangene Woche „Klick“gemacht haben. Die Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten brach ihre Reise ab, kehrte nach Paris zurück und forderte das, was sie selbst noch ein paar Stunden zuvor ausgeschlossen hatte: Vorwahlen für das gesamte linke Lager, das so einen gemeinsamen Bewerber bestimmen soll.
„Die Linke muss sich zusammentun, um zu regieren“, sagte die Bürgermeisterin von Paris. „Wenn wir diesen Zusammenschluss nicht erreichen, wird es für die Linke keine Möglichkeit geben, in unserem Land zu existieren.“
Die Erkenntnis, dass die französische Linke in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden droht, kam Hidalgo reichlich spät. Denn schon seit Wochen schafft es keine Kandidatin und auch kein Kandidat des linken Parteienspektrums,
die Zehn-Prozent-Hürde zu überschreiten. Am besten schneidet in Umfragen für die Wahlen im April noch der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon mit neun Prozent ab, gefolgt von dem grünen Kandidaten Yannick Jadot mit sechs Prozent und Hidalgo mit fünf Prozent.
Ihre Kritiker werfen Hidalgo vor, mit der Teilnahme an Vorwahlen nur selbst gesichtswahrend aus dem Rennen ausscheiden zu wollen. „Diese übereilte Entscheidung gleicht dem Notruf einer Schiffbrüchigen, die nach einer Rettungsboje sucht“, sagt der frühere Grünen-Politiker Noël Mamère der Zeitung „Figaro“.
300 000 Unterschriften für Vorwahlen
Dabei ist der Wunsch nach gemeinsamen Vorwahlen durchaus groß: 66 Prozent der Anhängerschaft des linken Parteienspektrums sind für eine solche „Primaire“. Die Bewegung „Primaire populaire“sammelte dafür bereits fast 300 000 Unterschriften. Allerdings lehnen mit Jadot und Mélenchon die beiden am besten Platzierten ein solches Votum ab. Der selbstbewusste Mélenchon hatte bereits 2012 eine Allianz mit den Sozialisten ausgeschlagen und hofft bei seiner definitiv letzten Präsidentschaftswahl, durch ein „Mauseloch“doch noch in die Stichwahl zu kommen.
Jadot, der die Vorwahlen seiner Partei Europe Écologie Les Verts (EELV) gewann, will sich nicht noch einmal zurückziehen, nachdem er 2017 zugunsten des sozialistischen Kandidaten Benoît Hamon verzichtet hatte. „Das große Thema des Jahrhunderts ist die Ökologie. Es wäre völlig anachronistisch, wenn es 2022 keine ökologische Kandidatur gäbe“, bemerkt EELV-Parteichef Julien Bayou.
An der Entscheidung der Grünen, die im vergangenen Jahr immerhin die Rathäuser mehrerer Großstädte gewannen, dürfte auch die Kandidatur der früheren Justizministerin Christiane Taubira nichts ändern. Die 69-Jährige, die in Umfragen bei rund zwei Prozent liegt, gab ihre „geplante Kandidatur“am Freitag über Facebook bekannt, ohne dafür ein Programm zu haben.
Hidalgo hat dagegen ein Programm, kann aber kaum Wählerinnen und Wähler überzeugen. Auch wenn die 62-Jährige sich bemüht, mit Kundgebungen außerhalb der Hauptstadt ihr Interesse für den Rest des Landes zu zeigen, haftet ihr doch das Etikett der Pariserin an.
An der Seine wurde die Sozialistin im vergangenen Jahr mit knapp 50 Prozent wiedergewählt, doch die Bilanz, die sie als Bürgermeisterin vorzuweisen hat, ist durchwachsen.
Zwar hat sie seit 2014 Hunderte Kilometer neuer Radwege geschaffen und das rechte Seine-Ufer für den Autoverkehr still gelegt. Gleichzeitig trieb sie aber die Verschuldung der Metropole auf mehr als sieben Milliarden Euro in die Höhe. Außerdem wird ihr der Dreck auf den Straßen von Paris angelastet: Erst vor wenigen Wochen erklärte der beliebte Fernsehmoderator Stéphane Bern, er werde die Hauptstadt verlassen, weil er Baustellen, Müll und Schlaglöcher nicht mehr ertrage.
Und so hat die Linke dem Rechtsruck, den Frankreich mit dem rechtsextremen Kandidaten Eric Zemmour erlebt, keine Persönlichkeit entgegen zu setzen. Während sich die Konservativen nach der Niederlage 2017 wieder zusammenrauften, ist das linke Lager in mehrere Puzzleteile zerfallen. Bis April dürfte daraus kein gemeinsames Bild mehr werden.
Die Linke muss sich zusammentun, um zu regieren. Anne Hidalgo, Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten