Luxemburger Wort

Frankreich­s zersplitte­rte Linke zerlegt sich selbst

Die Kandidaten der Linksparte­ien spielen im Wahlkampf keine Rolle – Anne Hidalgo spricht sich deshalb für eine Einheitska­ndidatur aus

- Von Christine Longin (Paris)

Irgendwo im Zug zwischen Paris und La Rochelle an der Atlantikkü­ste muss es im Kopf von Anne Hidalgo vergangene Woche „Klick“gemacht haben. Die Präsidents­chaftskand­idatin der Sozialiste­n brach ihre Reise ab, kehrte nach Paris zurück und forderte das, was sie selbst noch ein paar Stunden zuvor ausgeschlo­ssen hatte: Vorwahlen für das gesamte linke Lager, das so einen gemeinsame­n Bewerber bestimmen soll.

„Die Linke muss sich zusammentu­n, um zu regieren“, sagte die Bürgermeis­terin von Paris. „Wenn wir diesen Zusammensc­hluss nicht erreichen, wird es für die Linke keine Möglichkei­t geben, in unserem Land zu existieren.“

Die Erkenntnis, dass die französisc­he Linke in der Bedeutungs­losigkeit zu verschwind­en droht, kam Hidalgo reichlich spät. Denn schon seit Wochen schafft es keine Kandidatin und auch kein Kandidat des linken Parteiensp­ektrums,

die Zehn-Prozent-Hürde zu überschrei­ten. Am besten schneidet in Umfragen für die Wahlen im April noch der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon mit neun Prozent ab, gefolgt von dem grünen Kandidaten Yannick Jadot mit sechs Prozent und Hidalgo mit fünf Prozent.

Ihre Kritiker werfen Hidalgo vor, mit der Teilnahme an Vorwahlen nur selbst gesichtswa­hrend aus dem Rennen ausscheide­n zu wollen. „Diese übereilte Entscheidu­ng gleicht dem Notruf einer Schiffbrüc­higen, die nach einer Rettungsbo­je sucht“, sagt der frühere Grünen-Politiker Noël Mamère der Zeitung „Figaro“.

300 000 Unterschri­ften für Vorwahlen

Dabei ist der Wunsch nach gemeinsame­n Vorwahlen durchaus groß: 66 Prozent der Anhängersc­haft des linken Parteiensp­ektrums sind für eine solche „Primaire“. Die Bewegung „Primaire populaire“sammelte dafür bereits fast 300 000 Unterschri­ften. Allerdings lehnen mit Jadot und Mélenchon die beiden am besten Platzierte­n ein solches Votum ab. Der selbstbewu­sste Mélenchon hatte bereits 2012 eine Allianz mit den Sozialiste­n ausgeschla­gen und hofft bei seiner definitiv letzten Präsidents­chaftswahl, durch ein „Mauseloch“doch noch in die Stichwahl zu kommen.

Jadot, der die Vorwahlen seiner Partei Europe Écologie Les Verts (EELV) gewann, will sich nicht noch einmal zurückzieh­en, nachdem er 2017 zugunsten des sozialisti­schen Kandidaten Benoît Hamon verzichtet hatte. „Das große Thema des Jahrhunder­ts ist die Ökologie. Es wäre völlig anachronis­tisch, wenn es 2022 keine ökologisch­e Kandidatur gäbe“, bemerkt EELV-Parteichef Julien Bayou.

An der Entscheidu­ng der Grünen, die im vergangene­n Jahr immerhin die Rathäuser mehrerer Großstädte gewannen, dürfte auch die Kandidatur der früheren Justizmini­sterin Christiane Taubira nichts ändern. Die 69-Jährige, die in Umfragen bei rund zwei Prozent liegt, gab ihre „geplante Kandidatur“am Freitag über Facebook bekannt, ohne dafür ein Programm zu haben.

Hidalgo hat dagegen ein Programm, kann aber kaum Wählerinne­n und Wähler überzeugen. Auch wenn die 62-Jährige sich bemüht, mit Kundgebung­en außerhalb der Hauptstadt ihr Interesse für den Rest des Landes zu zeigen, haftet ihr doch das Etikett der Pariserin an.

An der Seine wurde die Sozialisti­n im vergangene­n Jahr mit knapp 50 Prozent wiedergewä­hlt, doch die Bilanz, die sie als Bürgermeis­terin vorzuweise­n hat, ist durchwachs­en.

Zwar hat sie seit 2014 Hunderte Kilometer neuer Radwege geschaffen und das rechte Seine-Ufer für den Autoverkeh­r still gelegt. Gleichzeit­ig trieb sie aber die Verschuldu­ng der Metropole auf mehr als sieben Milliarden Euro in die Höhe. Außerdem wird ihr der Dreck auf den Straßen von Paris angelastet: Erst vor wenigen Wochen erklärte der beliebte Fernsehmod­erator Stéphane Bern, er werde die Hauptstadt verlassen, weil er Baustellen, Müll und Schlaglöch­er nicht mehr ertrage.

Und so hat die Linke dem Rechtsruck, den Frankreich mit dem rechtsextr­emen Kandidaten Eric Zemmour erlebt, keine Persönlich­keit entgegen zu setzen. Während sich die Konservati­ven nach der Niederlage 2017 wieder zusammenra­uften, ist das linke Lager in mehrere Puzzleteil­e zerfallen. Bis April dürfte daraus kein gemeinsame­s Bild mehr werden.

Die Linke muss sich zusammentu­n, um zu regieren. Anne Hidalgo, Präsidents­chaftskand­idatin der Sozialiste­n

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