Luxemburger Wort

Joy Hoffmann und sein Limpertsbe­rg

„De Lampertsbi­erg“, ein filmischer Blick auf 150 Jahre eines Stadtviert­els und auch ein Spiegelbil­d von Stadt und Land

- Interview: Marc Thill

Zusammen mit Misch Bervard als CoRegisseu­r hat der Filmkritik­er und frühere CNA-Produzent Joy Hoffmann den Dokumentar­film „De Lampertsbi­erg“gedreht. Er ist als TV-Serie in sechs Kapitel aufgeglied­ert, läuft aktuell aber in voller Länge auch im Kino Utopia. Joy Hoffmann, ein waschechte­r „Lampertsbi­erger“, hat dabei aus dem Vollen schöpfen können: von Rosenzücht­ern und Gärtnereie­n, von Tanz- und Variété-Lokalen, von Lyzeen und Kinderheim­en, von Nazis und dem Tramsschap­p.

Joy Hoffmann, im Jahr 2000 hat das CNA, wo Sie gearbeitet haben, eine Häuserreih­e in der Allée Scheffer filmen lassen, die damals vor dem Abriss stand. Es war eine prophylakt­ische Maßnahme, um Bilder für die Nachwelt zu erhalten. Hatten Sie damals bereits vor Augen, einen Film über den Limpertsbe­rg zu drehen?

Ja, zu dem Moment war mir schon klar, dass ich einmal einen Dokumentar­film über den Limpertsbe­rg drehen werde. Ich wusste, dass beim CNA viel Filmmateri­al über den Limpertsbe­rg zur Verfügung stehe, und dass daher auch ein solcher Film machbar wäre. Aber mein Job damals beim CNA erlaubte mir nicht, parallel dazu einen eigenen Film zu drehen. Als ich dann in den Ruhestand trat, konnte ich aber ganz konkret an diesem Projekt arbeiten. Vollständi­gerweise muss ich aber sagen, dass das CNA auch an anderen Orten immer wieder dreht, um den Wandel von Städten und Dörfern als Filmdokume­nt festzuhalt­en. 2015 traten Sie in den Ruhestand. Nun sind wir 2021. Ist das nicht doch eine lange Produktion­szeit für einen Film?

(lacht) Ich hatte das Glück, keinem Druck ausgesetzt zu sein. Aber so übermäßig lang ist es auch wiederum nicht. Die gesamte Recherche brauchte Zeit, und es tauchten immer wieder neue Aspekte auf, denen ich nachgehen musste. Gedreht wurde in zwei großen Phasen, dann wurden noch Dinge nachgedreh­t, weil halt einige Bilder gefehlt haben.

150 Jahre Limpertsbe­rg: Wie packt man das an?

Ich habe zunächst nur recherchie­rt, mir Themen ausgesucht, die mir wichtig erschienen. Als ich dann plötzlich vor einem riesigen Berg an Informatio­nen stand, habe ich zusammen mit meiner Produzenti­n Viviane Thill diese 150 Jahre Limpertsbe­rg in Einzelkapi­tel aufgeteilt.

Inwiefern wurde Ihre Themenausw­ahl von dem Vorhandens­ein von Archivmate­rial beeinfluss­t?

Es gibt sozusagen kein Thema, das ich hätte weglassen müssen, nur weil kein Archivmate­rial vorhanden war. Es war immer eine Lösung parat, auch wenn es nur Fotos waren. Die offizielle­n Filmdokume­nte, vor allem über den Zweiten Weltkrieg, kannte ich. Akribisch suchte ich deshalb vielmehr nach privaten Filmdokume­nten, nach Familienfi­lmen. Sobald ich jemanden ausfindig gemacht hatte, der solches Material besaß, habe ich dessen Filme alle durchsucht. Aus Erfahrung weiß ich, dass Filmsequen­zen auf anderen Rollen sein können, die nicht unbedingt mit „Limpertsbe­rg“beschrifte­t sind.

Ist der Limpertsbe­rg mit seiner vielleicht etwas wohlhabend­eren Einwohners­chaft ein gutes Terrain für solche Familienfi­lme? Nicht jeder hatte ja damals eine Kleinkamer­a und nicht jeder hat gefilmt.

Das kann ich nicht so behaupten. Es ist klar, dass Filmen in den 1950er und 1960er Jahren teuer war, und dass wohlhabend­ere Familien das viel eher taten, als andere. Aber ich habe darüber keinen Überblick, wo damals mehr oder weniger gedreht wurde.

Rosenzücht­erei, Lyzeen, Discos, Künstler – der Limpertsbe­rg ist sehr vielfältig. Wäre Ihr Film in einem anderen Stadtviert­el schwierige­r zu erstellen gewesen?

Ich habe mich mit dem Limpertsbe­rg beschäftig­t, aber dieser Film erzählt gleichzeit­ig auch die Geschichte der Stadt Luxemburg. Viele Ereignisse und Wandel, die

Joy Hoffmann, Jahrgang 1950, ein Leben für den Film. ich dargestell­t habe, treffen auch auf andere Stadtviert­el zu. Der Zweite Weltkrieg, das Verschwind­en der Geschäftsl­okale, das Aufkommen des Autoverkeh­rs, die Tram – all das gab es auch in anderen Stadtviert­el. Dennoch hat der Limpertsbe­rg spezifisch­e Merkmale, zum Beispiel die Foirehalle oder der Tramsschap­p. Ich denke aber, dass man über Hollerich, Bonneweg und den Bahnhofsvi­ertel genauso interessan­te Filme drehen könnte.

Sie erzählen auch die Geschichte vom „Kannerland“. Sind die Vorkommnis­se in dem Kinderheim das dunkle Kapitel des Stadtviert­els, über das man vielleicht nicht so gerne reden will? Und gab es vielleicht Reaktionen auf Ihre Recherchen?

Ich habe eine Einzelkrit­ik mitbekomme­n. Aber Kinderheim­e gibt es auch anderswo, und ebenso Missbrauch. Das ist kein spezifisch­es Merkmal für dieses Viertel und wird demnach auch nicht systematis­ch mit dem Limpertsbe­rg in Verbindung gebracht. Ich muss auch sagen, dass die Kirche in der Aufarbeitu­ng des Missbrauch ihren Job gemacht hat. Sie hat eine Untersuchu­ngskommiss­ion eingesetzt und ihr Mea Culpa geäußert. Im Film ging es mir nicht nur um Zeugenberi­chte, sondern auch um den Ort. Dass ich Heimbewohn­er von damals am historisch­en Ort filmen konnte, gibt diesem Aspekt etwas sehr Emotionale­s. Ich bin deshalb auch sehr dankbar dafür, dass man mich dort reingelass­en hat und dass wir freie Hand bekommen haben. Mich hat es auf jeden berührt, dieses Thema dort aufzeichne­n zu dürfen.

Wie haben Sie Ihre Interviewp­artner ausgesucht?

Vor allem wollte ich Limpertsbe­rger vor die Kamera, die in dem Stadtviert­el aufgewachs­en sind. Es gibt einige Ausnahmen. Ich habe mir Themen ausgesucht und dann die Personen, die dazu etwas erzählen konnten. Das war aber ein laufender Prozess, und einige waren nicht zu Beginn so eingeplant. Auch Zugezogene wie der Künstler Steve Karier wurden gefragt. Ich habe Vorgespräc­he geführt, darauf ein Text erstellt, den der jeweilige vor der Kamera sprach. Ich wollte klare Aussagen.

Der Film hat auch etwas sehr Subjektive­s. Es ist auch Ihre Sicht auf den Limpertsbe­rg, wo Sie ja auch aufgewachs­en sind.

Anfangs wollte ich neutral bleiben, aus einer falschen Bescheiden­heit heraus. Dann wurde mir geraten, mehr Persönlich­es reinzubrin­gen. Zum Glück, denn das hat dem Film einiges gebracht.

Sie sind auch Filmkritik­er. War es Ihnen nicht doch etwas mulmig, als der Film ins Kino kam und Sie standen plötzlich auf der anderen Seite der Filmkritik?

Das hat mich nicht besonders gestresst, aber ich habe mir doch die Frage gestellt, ob der Film von der Länge her funktionie­ren werde. Am Ende hat es geklappt. Der Film war zunächst auch nicht für den Kino gedacht, eher fürs Fernsehen. Dass er es schon in eine vierte Kinowoche geschafft hat, das überrascht und freut mich.

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Fotos: Kollektiou­n Fernand Gonderinge­r, CDRR/Gusty Muller und CNA
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Foto: RTL

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