Luxemburger Wort

#YesWeCare

Lichterket­te auf der Wiener Ringstraße für Pandemie-Opfer

- Von Stefan Schocher (Wien)

5,2 Kilometer ist sie lang, die Wiener Ringstraße. Sie dient dem Flanieren, sie dient dem Repräsenti­eren und derzeit vor allem auch dem Demonstrie­ren. Keine Woche ohne Kundgebung. Keine Woche ohne Proteste von Corona-Maßnahmeng­egnern, befeuert von Neonazis, Rechtsextr­emen, Verschwöru­ngstheoret­ikern. Keine Woche ohne Parolen wie: „Friede, Freiheit, keine Diktatur.“Oder auch: „Wir sind das Volk.“Wutschnaub­end. Samstag für Samstag.

Am Sonntag um 19 Uhr herrscht hier Stille. Gerade zogen noch Autos auf der dreispurig­en Straße vorüber. Vorbei an Staatsoper, Hofburg, Parlament, dem Burgtheate­r, dem Rathaus. Dann reißt der Verkehr ab – und aus dem Baumreihen um den Ring treten Zehntausen­de mit Kerzen auf die Fahrbahn. Schweigend.

13 400 Todesopfer hat die Pandemie in Österreich bis zum Sonntag gefordert. 13 000 Menschen auf den Ring zu bringen, den Kreis um die Innenstadt Wiens zu schließen, das war das Ziel der Aktion #YesWeCare. Eine Lichterket­te sollte es laut Organisato­ren werden. Keine Demonstrat­ion. Ein Dank an die, die in dieser Krise an der medizinisc­hen Front stehen. Keine Kundgebung. Und dennoch war es genau eine solche: Eine all jener, die seit Wochen entsetzt nur mehr schweigend zusehen, wie Woche um Woche Zehntausen­de mit Neonazis durch Wien marschiere­n. All jener, die sich schweigend sagen: „Auch wir sind das

Volk.“Als Zeichen wollten die Organisato­ren die Aktion verstanden wissen. Eine „Handreichu­ng“nannte es Daniel Landau. Der Networker in Österreich­s Zivilgesel­lschaft, Bildungswe­sen und Kultur ist Mitinitiat­or der Lichterket­te. „Aber wir sind da nur Dominostei­ne, die sich jetzt halt fallen haben lassen“, sagt Daniel Landau dazu. Vor neun Tagen war die Idee geboren worden. Letztlich haben sich 40 zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen und Interessen­vertretung­en der Aktion angeschlos­sen.

Katz-und-Maus-Spiel

Erst am Samstag hatten in Wien erneut Tausende Corona-Demonstran­ten für Chaos gesorgt, mit Polizeiein­heiten Katz und Maus gespielt, versucht ein Einkaufsze­ntrum zu stürmen. Die Proteste haben in Österreich das Ausmaß erreicht, dass um Krankenhäu­ser Demo-Bannmeilen andiskutie­rt werden – weil es zu Kundgebung­en und Blockaden von Spitälern gekommen war. Mediziner, Pflegepers­onal, Bürgermeis­ter, Journalist­en wurden zum Teil auch physisch attackiert. Intensivme­diziner treten kaum mehr öffentlich auf, weil sie Morddrohun­gen erhalten. Bei Corona-Kundgebung­en wurden Journalist­en zuletzt mit Schneebäll­en und Eisbrocken beschmisse­n und abgedrängt.

„Es kann ja nicht sein, dass nur das Laute und das Aggressive dominiert“, sagt Daniel Landau dazu. Und diese Stimmung hatte sich in den vergangene­n Tagen merkbar verstärkt. Zuletzt hatten sich die Rufe aus Wissenscha­ft, Zivilgesel­lschaft und auch Politik massiv verdichtet, dass man dem Ganzen auch auf der Straße etwas entgegense­tzen müsse. Erst in der Vorwoche hatten mehrere Wissenscha­ftler in einem offenen Brief dazu aufgerufen, dass es dringend sei, sich einzumisch­en.

„Sie wollen nichts anderes, als sich auf die Sorgen und Ängste der

Menschen draufsetze­n, um damit ihr Machtpoten­zial entspreche­nd auszuweite­n und voranzutre­iben“, so Wiens Ex-Bürgermeis­ter Michael Häupl (SPÖ) zu den Corona-Protesten. Häupl ist einer der prominente­sten Unterstütz­er der Lichter-Aktion. Und Häupl sagt zu diesem Spiel mit Ängsten der Corona-Leugner: „So fremd ist uns das aus der Geschichte nicht.“Österreich verfüge „über entspreche­nde Erfahrung mit solchen Typen“. Sein Appell: „Lasst euch das einfach nicht gefallen.“

Und es sind viele, die sich das eben nicht gefallen lassen wollen. Entspreche­nd breit der Schultersc­hluss gestern: Da standen Vertreter von Religionsg­ruppen neben Sozialiste­n; da standen ÖVP-Vertreter neben den „Omas Gegen Rechts“, einer antifaschi­stischen Vereinigun­g streitbare­r Rentnerinn­en; da standen grüne Politiker neben Prominente­n aus der Wiener Gesellscha­ft und bürgerlich­en Intellektu­ellen. Bundespräs­ident Alexander van der Bellen hatte seine Unterstütz­ung ausgedrück­t. Ebenso Kanzler Karl Nehammer. Beide waren allerdings nicht vor Ort. Sie wollten der Aktionen keinen allzu politische­n Stempel aufdrücken.

13 400 Todesopfer hat die Pandemie in Österreich bis zum Sonntag gefordert.

Störkaktio­nen blieben aus

Mit Störaktion­en und Gegenkundg­ebungen wurde gerechnet. Sie blieben aus. Wohl, wie Landau sagt: „Ich glaube, dass es schwer ist, einer ruhigen Gruppe mit Kerzen Aggression entgegenzu­setzen“.

Es kann ja nicht sein, dass nur das Laute und das Aggressive dominiert. Daniel Landau, Mitinitiat­or der Lichterket­te

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Foto: AFP In Wien setzten viele Einwohner gestern Abend ein Zeichen des Miteinande­rs mit einem Lichtermee­r auf der Ringstraße. Medien sprachen von über 30 000 Teilnehmer­n.

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