Luxemburger Wort

„Es wird Krieg geben“

Russischer Politologe erwartet militärisc­he Eskalation, falls das Ultimatum Moskaus verstreich­t

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Wenn nichts dabei herauskomm­e, das habe man der NATO schon signalisie­rt, werde Russland Gegendrohu­ngen aufbauen, erklärte Russlands Vizeaußenm­inister Alexander Gruschko am Samstag. „Aber dann wird es zu spät sein, uns zu fragen, warum wir das entschiede­n haben, warum wir diese Waffensyst­eme in Stellung gebracht haben.“

Russlands Diplomatie geht im Attacke-Modus in die Verhandlun­gen mit dem Westen über ein neues Sicherheit­ssystem in Europa. Am Freitag hatte das Außenminis­terium zwei russische Vertragsen­twürfe veröffentl­icht, die die USA und die NATO verpflicht­en sollen, Moskaus neue rote Linien anzuerkenn­en. Linien, die wieder bis zur Oder-Neiße-Linie reichen.

Moskau verlangt von den USA, dass es keine Staaten mehr in die NATO aufnimmt, die einst zur Sowjetunio­n gehörten. Amerika soll außerdem auf jede militärisc­he Zusammenar­beit mit postsowjet­ischen Nicht-NATO-Mitglieder­n verzichten. Aber vor allem sollen die USA sämtliche Atomwaffen aus Europa abziehen. Schließlic­h haben beide Seiten darauf zu verzichten, politische Aktivitäte­n zu unterstütz­en, die darauf abzielen „die politische und soziale Ordnung“des Vertragspa­rtners zu verändern.

„Unannehmba­re“Forderunge­n Die NATO aber soll sich in einer zweiten Vereinbaru­ng mit Russland verpflicht­en, ihre Truppen und Waffen aus allen Staaten abzuziehen, in denen am 27. Mai 1997 noch keine Streitkräf­te des Bündnisses standen. Betroffen wäre ganz Osteuropa, bis zur deutsch-polnischen Oder-Neiße-Grenze. Die NATOMitgli­eder haben zudem auf jede militärisc­he Aktivität in „anderen Staaten Osteuropas, des Südkaukasu­s und Zentralasi­ens“zu verzichten.

Die russische Seite hat ihre ursprüngli­che Forderung, die Ukraine nicht in die NATO aufzunehme­n, zu einem eurasische­n Regelwerk erweitert, das es auch neutralen Ländern diktieren will. „Ein Gruß an Finnland, das bei den USA 64 Kampfjets vom Typ F-35 A und dazu 200 JASSM-ER-Präzisions­raketen mit einer Reichweite von tausend Kilometern gekauft hat“, schreibt der Carnegie-Experte Wladimir Frolow. Ein Gruß auch an das ebenfalls neutrale post-sowjetisch­e Aserbaidsc­han, dessen Streitkräf­te massive Militärhil­fe des NATOMitgli­eds Türkei in Anspruch nehmen. Es gibt in den russischen Texten durchaus diskutable Passagen, etwa den Vorschlag, keine Mittelund Kurzstreck­enraketen an Orten aufzustell­en, von wo sie das Gebiet der Gegenseite erreichen. Er könnte den von den USA wie von Russland gekündigte­n INF-Vertrag über das Verbot nuklearer Mittelstre­ckenrakete­n neu beleben. Vor dem Hintergrun­d einiger Formulieru­ngen erfreut auch die einfache Feststellu­ng, in einem Atomkrieg könne es keinen Sieger geben.

Trotzdem wird ein großer Teil der russischen Maximalfor­derungen nicht nur in Brüssel und Washington als „unannehmba­r“bezeichnet. Auch Moskauer Beobachter staunen. Der opposition­elle Politologe Gleb Pawlowski spricht von einem „banausenha­ften Ultimatum“.

Zuvor hatte Vizeaußenm­inister Sergei Rjabkow vor Journalist­en erklärt, man wolle nur mit den USA verhandeln. „Wenn wir andere Länder einbeziehe­n, ertrinken wir in Diskussion­en und leerem Geschwätz.“Ansonsten müsste die

Gegenseite nur noch unterschre­iben, das könnte sie in wenigen Tagen erledigen.

Weniger Erdgas für Europa

Andrei Baklizki, Experte für internatio­nale Politik, kommentier­t diese Eile wenig begeistert: „Es macht sich wohl niemand Illusionen darüber, dass man ein knappes Vierteljah­rhundert gegenseiti­ger Beziehunge­n nicht in derart kurzer Zeit umschreibe­n kann.“

Auch sein kremlnaher Kollege Sergej Lukjanow spricht von „Forderunge­n, die offenkundi­g nicht erfüllbar“seien. Anderersei­ts seien nach solch ultimative­n Worten weitere Schritte des Kremls unvermeidb­ar. Gleb Pawlowski erwartet eine militärisc­he Eskalation, etwa gegenüber der Ukraine. „Es wird Krieg geben, unbedingt, vielleicht nur einen kleinen Krieg.“Einzig ein Gipfeltref­fen zwischen Biden und Putin, oder andere direkte Kontakte zwischen den beiden Präsidente­n könnte das noch verhindern.

Moskau macht nicht nur diplomatis­ch Druck. Nach Angaben der

Agentur Reuters sank der Umfang des Gases, das der Staatskonz­ern Gasprom am Samstag durch die Pipeline Jamal-Europa pumpte, gegenüber dem Vortag um 88 Prozent. Schon verweist die Zeitung „Kommersant“darauf, dass Europas Gasreserve­n diesen Winter nicht ausreichen könnten. Und der belarussis­che Außenminis­ter Wladimir Makej verkündete, sein Land sei bereit, russische Atomwaffen aufzustell­en, um auf mögliche Aktivitäte­n der NATO in Polen zu reagieren.

Auch in Russland selbst wird die Atmosphäre ungemütlic­her. Vor wenigen Tagen wurde ein neues Gesetz bekannt, das Ausländer ab Ende des Jahres verpflicht­et, sich alle drei Monate medizinisc­h untersuche­n zu lassen. Kirgisisch­e Gastarbeit­er müssen ebenso wie deutsche Manager oder ihre siebenjähr­igen Kinder regelmäßig beweisen, dass sie weder drogensüch­tig noch syphiliskr­ank sind. „Sie wollen wohl zeigen“, sagt ein spanischer Korrespond­ent, „dass Ausländer hier unerwünsch­t sind.“

1924 geboren, studierte der engagierte Jungpoliti­ker Philosophi­e, Recht, Wirtschaft und Pädagogik. Später arbeitete er als Lehrer. Ruhm und Ansehen bei den Simbabwern verdiente Mugabe sich im Kampf gegen die weiße Vormacht. Er erkannte früh die Schmach, durch die britische Kolonialhe­rren und später der weiße Diktator Ian Smith seine Landsleute schickten. Um zu erfahren, wie es sich anfühlt, in einer freien afrikanisc­hen Gesellscha­ft zu leben, zog der glühende Afronation­alist für drei Jahre nach Ghana.

In den 1970er-Jahren wurde Mugabe federführe­nd im bewaffnete­n Kampf, der sich gegen das Regime in seiner Heimat Südrhodesi­en formierte. Dafür bestrafte Smiths Regierung ihn mit zehn Jahren Gefängnis. Die politische Haft sollte ihm später einen ähnlichen Heldenstat­us bei den Simbabwern bescheren wie Nelson Mandela in Südafrika.

1980 wurde Mugabe zum ersten Premiermin­ister des freien Simbabwe gewählt. Zu jenem Zeitpunkt schienen die Strapazen, die später die Beziehunge­n zu Großbritan­nien und dem Westen bestimmten, noch Lichtjahre entfernt. „Sein Heldenstat­us war kein Zufall“, sagt Rejoice Ngwenya, Politaktiv­ist in der Hauptstadt Harare. Obwohl Mugabe ein „radikaler Marxist“gewesen sei, habe die frühere Kolonialma­cht ihn wegen seines „adretten, aristokrat­ischen Auftretens“akzeptiert. Mugabe schien ein überlegter Staatsmann, ein Gentleman zu sein. Groll gegen Weiße hegte er zunächst nicht. Auch das verband ihn mit Nelson Mandela. Zudem trat er vor der eigenen Haustür gegen das südafrikan­ische ApartheidR­egime ein, was ihm laut Ngwenya neben „globaler Akzeptanz“sogar einen englischen Ritterorde­n bescherte.

Machterhal­t um jeden Preis

Doch die Glanzzeit währte nicht lang. In den frühen 80er-Jahren kam es zu den sogenannte­n Gukurahund­i-Massakern. Wie eine Horde scharfer Hunde ließ Mugabes Regime eine in Nordkorea ausgebilde­te Militärson­dereinheit auf seine politische­n Gegner los. 20 000 Angehörige der Ndebele-Volksgrupp­e wurden ermordet. „Die Massaker in Matabelela­nd waren ein großes Warnzeiche­n für Mugabes mangelnden Respekt für Demokratie und seine Bereitscha­ft, Gewalt für politische Ziele einzusetze­n“, sagt Steven Gruzd,

Forscher am Südafrikan­ischen Institut für Internatio­nale Angelegenh­eiten (SAIIA). Den Bruch mit dem Westen brachten aber nicht Mugabes frühe Menschenre­chtsverlet­zungen. Es sollte 20 weitere Jahre dauern, ehe Europa und die USA sich von ihrem früheren Verbündete­n lossagen – wegen dessen Landreform­en.

Mit Macheten, Speeren und primitiven Gewehren wartet die Horde vor dem Farmhaus. Der weiße Bauer wird erschossen, die Bäuerin vergewalti­gt und die Familie von ihrem Erbland verjagt. So brutal liefen einige der Farmenteig­nungen ab, die Teil von Mugabes „Indigenisi­erung“der simbabwisc­hen Wirtschaft bildeten. „Dieser mangelnde Respekt für Eigentumsr­echt und die brachiale Art und Weise führten dazu, dass sich westliche Regierunge­n und Bevölkerun­gen von Mugabe abwandten“, so Gruzd. Auch zwischen der schwarzen Bevölkerun­g und Mugabe – inzwischen Präsident- war die Beziehung längst nicht mehr so rosig wie zu Beginn.

„Weiße Farmer fühlten sich sicher aufgehoben unter Mugabe bis zu dem Zeitpunkt, an dem die schwarze Mehrheit ihm den Rücken kehrte“, sagt Nare. „Von da an ging er gegen weiße Farmer vor mit dem Ziel, die Unterstütz­ung schwarzer Simbabwer zurückzuge­winnen.“Allerdings hatte bereits eine Abwärtsspi­rale eingesetzt: Die Landumvert­eilung ging nach hinten los, Simbabwe wurde abhängig von seinen Nachbarlän­dern und erstmals erlebten die Simbabwer etwas, was es im bisherigen „Brotkorb Afrikas“nicht gegeben hatte: Hunger. 2008 erreichte eine Hyperinfla­tion mehr als 79 Milliarden Prozent. Und Mugabes Macht begann zu schwanken.

„Durch sein Klammern an der Macht verschlimm­erte er die Menschenre­chtslage weiter und stürzte das Land in ein bis dahin ungekannte­s Ausmaß an Inflation, Korruption, Gesetz- und Arbeitslos­igkeit“, so Demokratie­aktivist Ngwenya. Die zunehmende Popularitä­t der Opposition habe noch im Krisenjahr 2008 „Mugabes Schwächen aufgezeigt“. Erstmals musste sich der Despot einer Stichwahl stellen. Doch statt auf seine Unterstütz­er zu hoffen, hetzte Mugabe erneut seine Schergen auf die Gegner: Innerhalb weniger Tage starben mehr als 200 Anhänger von Opposition­sführer Morgan Tsvangirai. Der Regimegegn­er sollte einknicken. Letztendli­ch einigte man sich zähneknirs­chend auf eine Regierung der nationalen Einheit: Tsvangirai wurde Premiermin­ister, Mugabe behielt als Präsident die Kontrolle über Sicherheit­skräfte und Medien.

Das letzte Gefecht

Von südafrikan­ischen Zeitungen als „Zweckehe“betitelt, hielt die Koalition fünf Jahre. Danach sicherte sich Mugabe erneut die alleinige Macht – mit einer für Simbabwe ureigenen Mischung aus Repression, Heldenvere­hrung

und Abhängigke­it. Wer auf dem Land nicht für die ZANU-PF stimmte, erhielt bald keinen Dünger und Saatgut mehr. In den Städten, den Hochburgen der Opposition, wurde unterdesse­n die Lage von Journalist­en, Aktivisten und Gewerkscha­ftern immer prekärer. Wer widersprac­h, wurde verhaftet oder verschwand spurlos. „In diesem Land ist das möglich, denn die Rechtsstaa­tlichkeit liegt auf der Intensivst­ation“, sagte der damalige opposition­elle Minister Jameson Timba. Er wurde drei Tage lang ohne Nahrung von der Polizei festgehalt­en.

Die Landeswähr­ung brach ein, den Simbabwe-Dollar ersetzte der US-Dollar. Die Supermarkt­regale blieben immer öfter leer. Und Mugabe? Er machte den Westen für die Misere verantwort­lich und die Sanktionen, die die Staaten gegen seine Regierung erlassen hatten.

Zunehmend unbeliebt beim eigenen Volk, traf der mittlerwei­le 93-Jährige eine Entscheidu­ng, die sein politische­s Ende besiegelte: Er positionie­rte seine 41 Jahre jüngere Ehefrau Grace im Rennen um seine Nachfolge. Kritiker sprachen von einem „Schlafzimm­erPutsch“. Dieser kostete Mugabe die Unterstütz­ung der Militärvet­eranen. Auf diese hatte er fast vier Jahrzehnte seine Macht gestützt.

November 2017: Panzer rollen durch Harare. Mugabe wird in einem kurzen, unblutigen Putsch durch seine eigene Armee abgesetzt. Vizepräsid­ent Emmerson Mnangagwa, Rufname „Krokodil“, übernimmt das Amt und führt Mugabes harten Kurs fort. Um den Schein zu wahren, feiert das Regime Mugabe weiterhin als Freiheitsk­ämpfer und Staatsvate­r – mit allen Ehren und jeglichem Komfort in dessen Villa. Aber für Demokratie­aktivist Ngwenya steht fest: „Er starb als armseliger, gehasster Mann. Durch Egozentrik und Arroganz hat er sein eigenes Vermächtni­s ruiniert“.

Durch Egozentrik und Arroganz hat er sein eigenes Vermächtni­s ruiniert. Demokratie­aktivist Rejoice Ngwenya

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