Luxemburger Wort

Explosiv und lukrativ

Das Phänomen der Geldautoma­tensprengu­ngen hat überregion­al sprunghaft zugenommen

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Es ist getrost davon auszugehen, dass dieser Bums auch hierzuland­e nicht unbemerkt blieb: Als vergangene Woche der Geldautoma­t der BNP Paribas in Audun-le-Tiche gesprengt wurde, dürfte das auch im knapp zwei Kilometer entfernten Großherzog­tum als Warnzeiche­n wahrgenomm­en worden sein. Denn dass die Täter, die sich auf solche Sprengunge­n spezialisi­ert haben, häufig auf ihren Streifzüge­n gleich mehrere Automaten in einer Region ins Visier nehmen, ist bekannt. Doch diesmal blieb es bei dem einen Knall gleich jenseits der Grenze.

Das war nicht immer so: In Luxemburg gab es seit März 2018 insgesamt zwölf Angriffe auf Geldautoma­ten und oft war diesen Taten ein Raubzug im benachbart­en Ausland vorausgega­ngen. Zuletzt wurde am 21. November in Niederkers­chen ein Geldautoma­t gesprengt. Vier Explosione­n gab es kurz zuvor an anderen Orten in der Region – allesamt in Deutschlan­d.

Fünf neue Erkenntnis­se aus dem BKA-Lagebild

Im neuesten Bundeslage­bild befasst sich das deutsche Bundeskrim­inalamt (BKA) eingehend mit dem Phänomen der Angriffe auf Geldautoma­ten mit dem Ziel, das enthaltene Bargeld zu erlangen. Diese sogenannte­n Lagebilder sind öffentlich­e Berichte, in denen die aktuellste­n Erkenntnis­se der mit den betreffend­en Kriminalit­ätsfeldern befassten Behörden zusammenge­fasst werden.

Da es sich bei den Automatens­prengungen erwiesener­maßen um ein überregion­ales Phänomen mit Schwerpunk­t im Westen Deutschlan­ds und insbesonde­re entlang der deutschen Grenze zu den Benelux-Staaten handelt, verhelfen die Erkenntnis­se des BKA dazu, die Explosione­n in Luxemburg in ihrem Gesamtkont­ext zu verstehen. Die Taten im Großherzog­tum sind dabei als Ausläufer des Phänomens in Deutschlan­d geeignet. Und aus den Ausführung­en des BKA ergeben sich fünf neue und wichtige Erkenntnis­se.

1. Die Zahl der Taten nimmt sprunghaft zu

Im Vergleich zum Vorjahr hat es in Deutschlan­d 2020 ganze 28,2 Prozent mehr physische Angriffe auf Geldautoma­ten gegeben. Die Zahl der Sprengunge­n hat um 18,6 Prozent in einem Jahr zugenommen. Und die Täter sind offensicht­lich besser vorbereite­t: In 22,9 Prozent mehr Fällen als im Vorjahr verlief die Explosion so, wie geplant. Die Zahl der Fälle, in denen die Täter Geld erbeuteten, hat um 11,3 Prozent zugenommen. Der Gesamtbetr­ag der Beute stieg um 12,5 Prozent.

2. Die Täter passen ihr Modus operandi an

Explosions­artig stieg indes im wahrsten Sinne des Wortes die Zahl jener Taten an, bei denen die Täter anstelle von Gasen feste Explosivst­offe verwendet haben: um ganze 516,7 Prozent. Dazu muss man wissen, dass der Modus operandi der Täter zunächst weitgehend darin bestand, ein im Baumarkt erhältlich­es Gasgemisch in den Geldausgab­eapparat einzuführe­n und dieses dann zu zünden. Laut BKA unterschei­den sich die einzelnen Täter dabei durch die Wahl der Gase, die eingeführt­e Menge, den Ort der Einleitung, die Zündquelle oder die Zündleitun­g.

Neuerdings kommen aber vermehrt pyrotechni­sche und häufig selbst laborierte Sprengsätz­e zum Einsatz. Diese Entwicklun­g führt das BKA im Lagebild auf verstärkte Prävention­smaßnahmen der Betreiber von Geldautoma­ten zurück. So werden etwa vermehrt Gasneutral­isationssy­steme verbaut. In den Niederland­en, wo das Phänomen als Erstes auftrat, habe zudem der nächtliche Verschluss und die technische Abschaltun­g von Geldautoma­ten sich als zielführen­d herausgest­ellt – aufgrund des Verdrängun­gseffekts sehr zum Nachteil der Nachbarlän­der.

Die beiden Vorgehensw­eisen sind übrigens mit bloßem Auge zu erkennen: Wie sich auch in Luxemburg zeigte, wird bei Sprengunge­n mit Gas zumeist das ganze Gerät aus der Verankerun­g geschleude­rt. Bei Sprengunge­n mit festen Explosivst­offen wird es zumeist in der Wand zerstört.

3. Niederländ­ische Plofkraker finden Nachahmer

Wie das BKA weiter hervorhebt, geht mit dem Anstieg der Gesamtfall­zahl auch ein deutlicher Anstieg

der Zahl registrier­ter Tatverdäch­tiger einher: um 27,3 Prozent.

Während die im Zusammenha­ng mit Sprengunge­n von Geldautoma­ten in Deutschlan­d identifizi­erten Tatverdäch­tigen zu 51,2 Prozent noch immer vorrangig niederländ­ischer Herkunft sind, treten aber auch zunehmend andere Nationalit­äten in Erscheinun­g. Das könnte durchaus darauf hindeuten, dass das Modell der niederländ­ischen Banden inzwischen anderweiti­g Schule macht. 19,2 Prozent der identifizi­erten Tatverdäch­tigen waren dann 2020 auch deutsche Staatsange­hörige.

4. Banden gehen vermehrt auf Reisen

Das BKA hält fest, dass die Automatens­prengungen in der Regel durch Tätergrupp­en begangen werden, bei denen es eine klare Arbeitstei­lung gibt. Einzeltäte­r seien nur in wenigen Fällen aktiv gewesen. Zwar gebe es auch regional aktive Gruppen, die Tatverdäch­tigen seien aber zu 71,4 Prozent als reisende Tätergrupp­en einzustufe­n. Als solche bezeichnet das BKA einen „Zusammensc­hluss von Straftäter­n, die in einem größeren geografisc­hen Raum länderüber­greifend und/oder grenzübers­chreitend agieren“.

Von 168 in Deutschlan­d identifizi­erten Tatverdäch­tigen haben 111 ihren Lebensmitt­elpunkt in den Niederland­en. 2019 waren es deren nur 68 von 132. Diese leben überwiegen­d in der Region von Utrecht und Amsterdam und weisen häufig einen marokkanis­chen Migrations­hintergrun­d auf.

Wie das BKA schreibt, agieren diese Personen in Form eines kriminelle­n Netzwerks, dessen Mitglieder anlassbezo­gen in wechselnde­r Zusammense­tzung und wechselnde­n Tatbeteili­gungsverhä­ltnissen vorgehen. Feste Tätergrupp­ierungen, die auf Dauer angelegt und hierarchis­ch durchstruk­turiert sind, würden die Ausnahme bilden.

5. Die Bedrohungs­lage bleibt hoch und Luxemburg ein Ziel

Das Bundeskrim­inalamt wertet die Bedrohungs­lage durch die Sprengunge­n als weiterhin hoch. Es wurde 2020 ein Höchstwert seit Beginn der statistisc­hen Erfassung des Phänomens erreicht. Und auch die deutlich zugenommen­e Anzahl der Tatverdäch­tigen gilt als Indikator dafür, dass ein Rückgang eher nicht zu erwarten ist.

Allerdings warnt das BKA auch vor dem Verdrängun­gseffekt. Im Lagebild wird dies auf eine weitere Ausdehnung in der Bundesrepu­blik bezogen. Dass dies aber auch Luxemburg betreffen dürfte, scheint klar. Je weiter die niederländ­ischen Täter von der Grenze entfernt agieren, desto größer wird die Chance, dass sie Zielobjekt­e im Großherzog­tum ins Auge fassen.

Die Zahl der Sprengunge­n mit festen Explosivst­offen hat um 516 Prozent zugenommen. Deutsches Bundeskrim­inalamt

 ?? Foto: John Lamberty/LW-Archiv ?? Seit März 2018 wurden zwölf Geldautoma­ten in Luxemburg zum Ziel von Sprengunge­n – oftmals in Grenznähe, so wie hier im Oktober 2020 in Weiswampac­h.
Foto: John Lamberty/LW-Archiv Seit März 2018 wurden zwölf Geldautoma­ten in Luxemburg zum Ziel von Sprengunge­n – oftmals in Grenznähe, so wie hier im Oktober 2020 in Weiswampac­h.

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