Explosiv und lukrativ
Das Phänomen der Geldautomatensprengungen hat überregional sprunghaft zugenommen
Luxemburg. Es ist getrost davon auszugehen, dass dieser Bums auch hierzulande nicht unbemerkt blieb: Als vergangene Woche der Geldautomat der BNP Paribas in Audun-le-Tiche gesprengt wurde, dürfte das auch im knapp zwei Kilometer entfernten Großherzogtum als Warnzeichen wahrgenommen worden sein. Denn dass die Täter, die sich auf solche Sprengungen spezialisiert haben, häufig auf ihren Streifzügen gleich mehrere Automaten in einer Region ins Visier nehmen, ist bekannt. Doch diesmal blieb es bei dem einen Knall gleich jenseits der Grenze.
Das war nicht immer so: In Luxemburg gab es seit März 2018 insgesamt zwölf Angriffe auf Geldautomaten und oft war diesen Taten ein Raubzug im benachbarten Ausland vorausgegangen. Zuletzt wurde am 21. November in Niederkerschen ein Geldautomat gesprengt. Vier Explosionen gab es kurz zuvor an anderen Orten in der Region – allesamt in Deutschland.
Fünf neue Erkenntnisse aus dem BKA-Lagebild
Im neuesten Bundeslagebild befasst sich das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) eingehend mit dem Phänomen der Angriffe auf Geldautomaten mit dem Ziel, das enthaltene Bargeld zu erlangen. Diese sogenannten Lagebilder sind öffentliche Berichte, in denen die aktuellsten Erkenntnisse der mit den betreffenden Kriminalitätsfeldern befassten Behörden zusammengefasst werden.
Da es sich bei den Automatensprengungen erwiesenermaßen um ein überregionales Phänomen mit Schwerpunkt im Westen Deutschlands und insbesondere entlang der deutschen Grenze zu den Benelux-Staaten handelt, verhelfen die Erkenntnisse des BKA dazu, die Explosionen in Luxemburg in ihrem Gesamtkontext zu verstehen. Die Taten im Großherzogtum sind dabei als Ausläufer des Phänomens in Deutschland geeignet. Und aus den Ausführungen des BKA ergeben sich fünf neue und wichtige Erkenntnisse.
1. Die Zahl der Taten nimmt sprunghaft zu
Im Vergleich zum Vorjahr hat es in Deutschland 2020 ganze 28,2 Prozent mehr physische Angriffe auf Geldautomaten gegeben. Die Zahl der Sprengungen hat um 18,6 Prozent in einem Jahr zugenommen. Und die Täter sind offensichtlich besser vorbereitet: In 22,9 Prozent mehr Fällen als im Vorjahr verlief die Explosion so, wie geplant. Die Zahl der Fälle, in denen die Täter Geld erbeuteten, hat um 11,3 Prozent zugenommen. Der Gesamtbetrag der Beute stieg um 12,5 Prozent.
2. Die Täter passen ihr Modus operandi an
Explosionsartig stieg indes im wahrsten Sinne des Wortes die Zahl jener Taten an, bei denen die Täter anstelle von Gasen feste Explosivstoffe verwendet haben: um ganze 516,7 Prozent. Dazu muss man wissen, dass der Modus operandi der Täter zunächst weitgehend darin bestand, ein im Baumarkt erhältliches Gasgemisch in den Geldausgabeapparat einzuführen und dieses dann zu zünden. Laut BKA unterscheiden sich die einzelnen Täter dabei durch die Wahl der Gase, die eingeführte Menge, den Ort der Einleitung, die Zündquelle oder die Zündleitung.
Neuerdings kommen aber vermehrt pyrotechnische und häufig selbst laborierte Sprengsätze zum Einsatz. Diese Entwicklung führt das BKA im Lagebild auf verstärkte Präventionsmaßnahmen der Betreiber von Geldautomaten zurück. So werden etwa vermehrt Gasneutralisationssysteme verbaut. In den Niederlanden, wo das Phänomen als Erstes auftrat, habe zudem der nächtliche Verschluss und die technische Abschaltung von Geldautomaten sich als zielführend herausgestellt – aufgrund des Verdrängungseffekts sehr zum Nachteil der Nachbarländer.
Die beiden Vorgehensweisen sind übrigens mit bloßem Auge zu erkennen: Wie sich auch in Luxemburg zeigte, wird bei Sprengungen mit Gas zumeist das ganze Gerät aus der Verankerung geschleudert. Bei Sprengungen mit festen Explosivstoffen wird es zumeist in der Wand zerstört.
3. Niederländische Plofkraker finden Nachahmer
Wie das BKA weiter hervorhebt, geht mit dem Anstieg der Gesamtfallzahl auch ein deutlicher Anstieg
der Zahl registrierter Tatverdächtiger einher: um 27,3 Prozent.
Während die im Zusammenhang mit Sprengungen von Geldautomaten in Deutschland identifizierten Tatverdächtigen zu 51,2 Prozent noch immer vorrangig niederländischer Herkunft sind, treten aber auch zunehmend andere Nationalitäten in Erscheinung. Das könnte durchaus darauf hindeuten, dass das Modell der niederländischen Banden inzwischen anderweitig Schule macht. 19,2 Prozent der identifizierten Tatverdächtigen waren dann 2020 auch deutsche Staatsangehörige.
4. Banden gehen vermehrt auf Reisen
Das BKA hält fest, dass die Automatensprengungen in der Regel durch Tätergruppen begangen werden, bei denen es eine klare Arbeitsteilung gibt. Einzeltäter seien nur in wenigen Fällen aktiv gewesen. Zwar gebe es auch regional aktive Gruppen, die Tatverdächtigen seien aber zu 71,4 Prozent als reisende Tätergruppen einzustufen. Als solche bezeichnet das BKA einen „Zusammenschluss von Straftätern, die in einem größeren geografischen Raum länderübergreifend und/oder grenzüberschreitend agieren“.
Von 168 in Deutschland identifizierten Tatverdächtigen haben 111 ihren Lebensmittelpunkt in den Niederlanden. 2019 waren es deren nur 68 von 132. Diese leben überwiegend in der Region von Utrecht und Amsterdam und weisen häufig einen marokkanischen Migrationshintergrund auf.
Wie das BKA schreibt, agieren diese Personen in Form eines kriminellen Netzwerks, dessen Mitglieder anlassbezogen in wechselnder Zusammensetzung und wechselnden Tatbeteiligungsverhältnissen vorgehen. Feste Tätergruppierungen, die auf Dauer angelegt und hierarchisch durchstrukturiert sind, würden die Ausnahme bilden.
5. Die Bedrohungslage bleibt hoch und Luxemburg ein Ziel
Das Bundeskriminalamt wertet die Bedrohungslage durch die Sprengungen als weiterhin hoch. Es wurde 2020 ein Höchstwert seit Beginn der statistischen Erfassung des Phänomens erreicht. Und auch die deutlich zugenommene Anzahl der Tatverdächtigen gilt als Indikator dafür, dass ein Rückgang eher nicht zu erwarten ist.
Allerdings warnt das BKA auch vor dem Verdrängungseffekt. Im Lagebild wird dies auf eine weitere Ausdehnung in der Bundesrepublik bezogen. Dass dies aber auch Luxemburg betreffen dürfte, scheint klar. Je weiter die niederländischen Täter von der Grenze entfernt agieren, desto größer wird die Chance, dass sie Zielobjekte im Großherzogtum ins Auge fassen.
Die Zahl der Sprengungen mit festen Explosivstoffen hat um 516 Prozent zugenommen. Deutsches Bundeskriminalamt