Luxemburger Wort

Halb so wild

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„Wenn ich verkatert gebratene Schafslung­en essen muss, dann geht es mir danach bestimmt erst richtig schlecht.“

Magnus schüttelt energisch den Kopf. „Probier es aus, Adam. Du wirst sehen, es wirkt Wunder. Und es gibt noch eine Menge anderer Krankheite­n, die man mit Schafsmedi­zin heilen kann. Bei Verbrennun­gen beispielsw­eise musst du dich mit Hammelfett einreiben. Und wenn du Wasser in den Beinen hast, dann helfen Umschläge, die man in Hammelurin und Honig getränkt hat. Schnittwun­den behandelt man mit der Asche von Schafsknoc­hen, und wusstest du eigentlich, dass das verbrannte Horn eines Schafbocks Gespenster vertreiben kann?“

„Was du nicht sagst“, antworte ich. Und weil ich einen Witz machen will, füge ich hinzu: „Und aus den Hoden vom Schafbock macht ihr in Island wahrschein­lich lustigen Fenstersch­muck, richtig?“

Magnus schüttelt den Kopf. „Nein, die Hoden werden auch gegessen. Man legt sie vorher in Molke ein.“

„Wirklich?“, frage ich erschrocke­n.

„Ja. Genau wie die Schafsauge­n und das Hirn. Ist beides nicht mein Fall, aber viele Leute mögen das. Und früher konnten die Isländer es sich gar nicht leisten, irgendwas Essbares zu verschwend­en.“

„Ihr Trolle esst vermutlich auch noch die Knochen“, unke ich.

Er nickt. „Die Menschen haben früher aus den Knochen Kinderspie­lzeug geschnitzt. Selbst diese Reste wurden also noch verwertet.“

Ich merke, dass mir nun doch ein bisschen übel ist, und konzentrie­re mich wieder auf den beruhigend­en Anblick meiner Schafherde. Ich glaube, für heute habe ich genug übers Essen geredet. Wobei mich das Gespräch auch daran erinnert, dass ich seit einer Ewigkeit keine Nahrung mehr zu mir genommen habe. Gegen einen Milchkaffe­e und ein Croissant hätte ich jetzt nichts einzuwende­n.

Mein Handy klingelt. Anonymer Anrufer.

„Adam Schmitt“, sage ich.

„Sie müssen sofort ins HiltonHote­l kommen“, bittet eine zitternde Frauenstim­me. „Rainer hatte einen Herzinfark­t. Zimmer 2407.“

Bevor ich etwas erwidern kann, hat die Anruferin das Gespräch weggedrück­t.

Magnus betrachtet mein erschrocke­nes Gesicht.

„Ärger?“, will er wissen.

„Ich muss sofort zum Gendarmenm­arkt“, sage ich. „Ein Notfall.“

„Soll ich mitkommen?“, fragt Magnus.

„Nein. Nicht nötig“, antworte ich.

„Dann passe ich inzwischen auf, dass niemand deine Schafe klaut, okay?“

Mir wird klar, dass das keine gute Idee ist. „Wenn die Polizei dich mit der Herde erwischt, dann dauert es nicht lange, bis sie den Vorbesitze­r der Tiere und damit auch Teile deines Wikingersc­hatzes findet. Und dann muss sie nur noch eins und eins zusammenzä­hlen.“

Magnus überlegt kurz, dann nickt er. „Ja. Das leuchtet ein.“

„Vielleicht kommst du doch lieber mit“, schlage ich

vor.

Auf dem Weg zur Suite 2407 treffe ich den Notarzt. Er folgt einer Krankenlie­ge, die von zwei Sanitätern eilig in Richtung Fahrstühle geschoben wird und auf der ich den leichenbla­ssen und offenbar bewusstlos­en Rainer erkenne.

„Wie geht es ihm?“, frage ich beunruhigt.

„Sind Sie ein Verwandter?“, will der Arzt wissen.

„Sein Schwiegers­ohn.“„Verstehe“, erwidert er. „Momentan kann ich leider noch nichts sagen. Kommen Sie doch einfach später ins Krankenhau­s. Dann wissen wir mehr.“

Er will der Krankenlie­ge folgen, hält aber noch einmal inne. „Ach, und wäre es möglich, dass Sie die Familie verständig­en? Dann muss ich das nicht machen.“

Ich nicke. „Ja. Ich erledige das.“„Adam, komm mal schnell her! Du wirst es nicht glauben, aber hier sind zwei Elfen!“, ruft Magnus vom anderen Ende des Ganges. Er ist schon mal vorgelaufe­n, um Rainers Zimmer in Augenschei­n zu nehmen.

„Ach ja, stimmt. Vielleicht könnten Sie sich auch noch ein bisschen um die Damen kümmern“, sagt der Arzt. „Die sind mit ihren Nerven total am Ende, aber sie wollten partout nicht mit ins Krankenhau­s.“

Irritiert schaue ich zwischen Magnus und dem Notarzt hin und her. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon die beiden sprechen.

Die Krankenlie­ge verschwind­et im Fahrstuhl.

Kurz darauf betrete ich Zimmer 2407. Es ist sehr geräumig und gediegen eingericht­et. Eine große Fensterfro­nt, viel Stoff, viel Holz, alles in warmen Tönen. So ähnlich stellt man sich in Amerika wahrschein­lich den Geschmack des gehobenen Mittelstan­des vor.

Die Elfen, von denen Magnus gesprochen hat, sitzen blass und bekümmert auf dem Kingsize-Bett. Es sind zwei attraktive Frauen in ihren Zwanzigern. Der Kleidung nach zu urteilen, könnte es sich tatsächlic­h um Elfen handeln. Die eine trägt ein blaues Kostüm, die andere ein grünes. Beide Kleider sind üppig mit Strass bestickt und am Rücken mit kleinen weißen, durchsicht­igen Flügeln besetzt. Die Kürze der Röcke und die Tatsache, dass beide Elfen Strapse und hochhackig­e Schuhe tragen, lassen jedoch erkennen, dass sie nicht aus der isländisch­en Sagenwelt, sondern von einem Berliner Escort-Service kommen.

„Hallo“, sage ich. Aber es klingt nicht so unverkramp­ft, wie ich mir das gewünscht hatte.

Magnus ist offenbar schon einen Schritt weiter.

„Das sind Trixi und Babs“, sagt er und deutet dabei zuerst auf die blaue und dann auf die grüne Elfe. Schließlic­h zeigt er auf mich: „Und das ist mein Freund Adam.“

Trixi und Babs versuchen, freundlich zu lächeln, aber da die beiden noch unter Schock stehen, ist es eher ein Zucken der Mundwinkel.

„Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“, frage ich, und denke dabei an beruhigend­en Tee oder anregenden Kaffee.

Trixi nickt traurig sinnierend vor sich hin, Babs muss nur kurz überlegen.

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