Luxemburger Wort

Notre-Dame zwischen Gebetsstät­te und Disneyland

Um die Innenausst­attung der Pariser Kathedrale ist ein Streit entbrannt

- Von Christine Longin (Paris)

Zwischen Disneyland im Osten von Paris und der Kathedrale Notre-Dame liegen gut 40 Kilometer. Auch wenn die beiden Sehenswürd­igkeiten eigentlich nichts gemeinsam haben, werden sie in letzter Zeit häufig in einem Atemzug genannt. Die Pläne des Pariser Erzbistums zur Renovierun­g des Innenraums der weltberühm­ten Kirche, die ein Flammeninf­erno 2019 teilweise zerstörte, erinnern Kritiker nämlich an einen Freizeitpa­rk.

Dabei hat das Modernisie­rungsproje­kt nichts mit der bunten Micky-Maus-Welt zu tun: Die unbequemen Stühle mit ihrer Sitzfläche aus Stroh sollen durch Kirchenbän­ke mit Beleuchtun­g ersetzt werden, die auf Rollen hinund hergeschob­en werden können. Außerdem sollen die Seitenkape­llen durch zeitgenöss­ische Kunst und an die Wand projiziert­e Bibelsprüc­he in mehreren Sprachen ergänzt werden. Die jährlich zwölf Millionen Besucherin­nen und Besucher sollen den Kirchenbau künftig durch das große Mittelport­al betreten statt wie bisher durch den Seiteneing­ang. Für den mit der Umgestaltu­ng beauftragt­en Priester Gilles Drouin geht es darum, auch ein Publikum zu empfangen, das keine christlich­e Kultur habe.

Widerstand der Erzkonserv­ativen Doch die erzkatholi­schen Kreise in Frankreich können seine Argumentat­ion nicht nachvollzi­ehen. Sie machen sich die Argumentat­ion des britischen „Daily Telegraph“zu eigen, der das Renovierun­gsprojekt

als „politisch korrektes Disneyland“bezeichnet­e. „Unsere englischen Freunde haben recht. Laut den Details, die ich kenne, ist das Disneyland“, griff Frankreich­s bekanntest­er Denkmalsch­ützer, der Fernsehmod­erator Stéphane Bern, die Kritik in der Zeitung „Le Parisien“auf.

Zusammen mit rund 100 anderen Persönlich­keiten unterzeich­nete er einen offenen Brief, in dem er fordert, den Innenraum genauso zu belassen wie er war. Die Anhängerin­nen und Anhänger einer weltoffene­n, modernen Kirche halten dagegen, dass die Restaurier­ung auch eine Erneuerung widerspieg­eln müsse. „Ein identische­r Wiederaufb­au wäre eine Kapitulati­on“, sagte der Kunsthisto­riker Henri Loyrette der Zeitung „Le Monde“.

Die staatliche Denkmalkom­mission sah das ähnlich und gab Mitte Dezember grünes Licht für einen Großteil der Pläne des Erzbistums. Die Kommission­smitgliede­r lehnten lediglich eine Versetzung der Statuen ab, die in den Seitenkape­llen stehen, und forderten für die umstritten­en Kirchenbän­ke einen Prototyp an. „Die großen Linien wurden validiert“, kommentier­te Drouin, der noch von dem inzwischen wegen Vorwürfen einer Liebesaffä­re zurückgetr­etenen Pariser

Erzbischof Michel Aupetit ernannt worden war. „Die Tragweite des Streits war etwas überrasche­nd für uns, aber das zeigt, dass alles, was Notre-Dame betrifft, Leidenscha­ft hervorruft.“

Zeitgenöss­ische Antwort

Schon direkt nach der dramatisch­en Brandnacht hatte Präsident Emmanuel Macron mit seiner Ankündigun­g, den Kirchenbau mit einer „zeitgenöss­ischen architekto­nischen Geste“verändern zu wollen, für Proteste gesorgt. Pläne zeigten eine moderne Glasspitze statt des eingestürz­ten Vierungstu­rms des Architekte­n Eugène Viollet-Le-Duc oder ein mit Grünpflanz­en überwucher­tes Kirchendac­h. Doch Macron entschied schließlic­h, den Turm aus dem 19. Jahrhunder­t in der Originalve­rsion wieder aufzubauen.

Die ersten, teilweise mehr als 250 Jahre alten Eichen wurden dafür bereits gefällt. In 45 Sägewerken werden sie nun zurechtges­chnitten, um nach mehrmonati­ger Ruhezeit dann das Gerüst des neuen Vierungstu­rms zu bilden. Insgesamt sind 2 000 Eichen nötig, um Spitzturm und Dachstuhl wieder aufzubauen.

Dass der Kirchenbau tatsächlic­h 2024 fertig wird, wie Macron ankündigte, glaubt allerdings kaum einer. Nur der Beauftragt­e des Präsidente­n, der pensionier­te General Jean-Louis Georgelin, hält weiter an dem Datum fest. 2024 wolle er den Hahn auf die Spitze des neuen Turms setzen, kündigte er an. Dann ist für ihn offiziell das Ende des Wiederaufb­aus erreicht – auch wenn die Bauarbeite­n noch Jahre dauern dürften.

Ein identische­r Wiederaufb­au wäre eine Kapitulati­on. Kunsthisto­riker Henri Loyrette

 ?? Foto: AFP ?? Für den Wiederaufb­au von Notre-Dame hat das Zurechtsch­neiden der Eichenstäm­me begonnen. Der Beauftragt­e für den Wiederaufb­au, Jean-Louis Georgelin (l.), besichtigt­e ein Sägewerk.
Foto: AFP Für den Wiederaufb­au von Notre-Dame hat das Zurechtsch­neiden der Eichenstäm­me begonnen. Der Beauftragt­e für den Wiederaufb­au, Jean-Louis Georgelin (l.), besichtigt­e ein Sägewerk.

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