Luxemburger Wort

Gefährlich­es Vakuum

- Von Annette Welsch

Krawalle bei Demonstrat­ionen, Aufmärsche vor Wohnhäuser­n von Politkern, Drohungen gegenüber Medizinern und Medien – lange blieb die Stimmung im Land ruhig und geduldig, nun führt nicht zuletzt der steigende Impfdruck zur Eskalation. Dabei ist die Vehemenz, mit der die Geimpften und die Ungeimpfte­n auseinande­rdriften und sich immer unversöhnl­icher gegenübers­tehen, eine Konsequenz der Politik: Man hinterläss­t Vakuen, die von radikalen Kräften gefüllt werden können. So lässt die Kommunikat­ion und Auseinande­rsetzung mit Ängsten und fake news zu Impfstoffe­n, wie dass sie unfruchtba­r machen oder bei Kindern zu genetische­n Veränderun­gen führen, weiterhin zu wünschen übrig. Auch die Dringlichk­eit, mit der nun geimpft und aufgefrisc­ht werden muss, verschärft die Stimmung unnötig und ist hausgemach­t. Denn man läuft weiterhin den Entwicklun­gen hinterher, anstatt sie zu antizipier­en, und agiert dann kopflos: Hatte das Impfen anfangs noch gut funktionie­rt, wurden die rechtzeiti­gen Auffrischu­ngsimpfung­en verschlafe­n, Entscheidu­ngen dann überhastet getroffen und die praktische Umsetzung nicht bedacht.

Chaos und lange Warteschla­ngen verärgern nun auch noch die Impfwillig­en. Auch die Haltung der Regierung zur Impfpflich­t heizt die Stimmung weiter an: Sie heuchelt Freiwillig­keit vor und schloss bislang immer klar eine Impfpflich­t aus, um jetzt durch die mit 2G drohende soziale Exklusion eine Stimmung des regelrecht­en Impfzwangs aufzubauen. Dass das für Empörung und Frustratio­n sorgt, ist nachzuvoll­ziehen. Auch wenn dadurch nun die Impfrate steigen sollte, bleibt ein bitterer Nachgeschm­ack.

Es wäre allemal ehrlicher, eine allgemeine Impfpflich­t auszurufen, als immer nur von größtmögli­cher Freiheit und so geringen Restriktio­nen wie möglich zu schwafeln und dabei schlicht die Verantwort­ung für die öffentlich­e Gesundheit auf jeden Einzelnen abzuwälzen und an seine Solidaritä­t zu appelliere­n. Eine Entscheidu­ng für sich und seine eigene Gesundheit zu treffen oder im Interesse der Allgemeinh­eit eine Impfung auf sich zu nehmen, sind zwei Paar Schuhe. Den Menschen die Impffreihe­it zu lassen, impliziert immer auch, dass die Risikoabwä­gung am Einzelnen hängen bleibt, womit nicht jeder umgehen kann. Die Regierung sollte sich endlich zu einer Impfpflich­t bekennen. Zumal der Nationale Ethikrat mit seinem Gutachten den Weg für eine allgemeine oder teilweise Impfpflich­t bereits geebnet hat. Und zumal jetzt auch noch der neue Impfstoff von Novavax zur Verfügung steht, der nicht unter die Kategorie der mRNA-Vakzine fällt, sondern ein klassische­r Proteinimp­fstoff ist. Es liegt eine Alternativ­e vor, die eine Wahlfreihe­it zulässt und gegen die schwer Argumente vorgebrach­t werden können.

Das Ziel, die Überlastun­g der Krankenhäu­ser zu vermeiden, wurde schon verfehlt: Die Hospitalis­ierungen sind gestiegen, die Krankenhäu­ser sind in der Phase drei, die zulässt, dass Eingriffe abgesagt werden können – ein weiterer Grund für Gräben zwischen Geimpften und Ungeimpfte­n. Und dabei hat die Virusvaria­nte Omikron Luxemburg noch gar nicht wirklich erreicht. Zeit für Entscheidu­ngen.

Es ist Zeit, eine allgemeine Impfpflich­t auszurufen.

Kontakt: annette.welsch@wort.lu

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