Luxemburger Wort

Die Kehrtwende des Senators

Überrasche­nd macht Joe Manchin die Pläne von Joe Biden zur Makulatur

- Von Karl Doemens (Washington) Karikatur: Florin Balaban

Der Dolchstoß war perfekt inszeniert. Demonstrat­iv ernst präsentier­te sich Joe Manchin am Sonntagmor­gen beim rechten Fernsehsen­der Fox dem US-amerikanis­chen Publikum. „Ich habe alles Menschenmö­gliche versucht“, versichert­e der demokratis­che Senator mit belegter Stimme: „Ich kann nicht.“Selbst Moderator Bret Baier wirkte überrascht: „Das war's?“, hakte er nach. Manchin blickte traurig wie bei einer Beerdigung. Dann nickte er still. „Das ist ein Nein“, erklärte er schließlic­h betreten.

Nicht überall kam die Absage des 74-jährigen Jachtbesit­zers an das gut zwei Billionen teure Sozialund Klimapaket des Präsidente­n gut an. „Joe Manchin, ein Oligarch aus West Virginia (...) hat uns in den Rücken gestochen“, empörte sich Lindy Li, eine ehemalige Biden-Wahlkampfh­elferin aus Philadelph­ia. „Joe Manchin ist komplett voller Scheiße“, pöbelte der linke Politologe Hakeem Jefferson von der ansonsten ehrwürdige­n Elite-Universitä­t Stanford.

Selbst der moderate demokratis­che Senator Chris Coons konnte sein Befremden kaum verbergen: „Das war eine Überraschu­ng und Enttäuschu­ng“, räumte der Vertraute von Joe Biden ein.

Ein unvorberei­teter Präsident

Tatsächlic­h traf Manchins Kehrtwende den Präsidente­n ebenso schwer wie unvorberei­tet. Angesichts der hauchdünne­n Mehrheit der Demokraten kann sich Biden im Senat keinen einzigen Abweichler erlauben. Wochenlang hatte er daher Manchin bearbeitet. Der rechte Demokrat aus West-Virginia wurde zum Frühstück in Bidens Privathaus eingeladen, seine Frau Gayle zur KoVorsitze­nden

einer regionalen Wirtschaft­sförderung­sgesellsch­aft befördert. Geholfen hat es nichts: Nach US-amerikanis­chen Medienberi­chten hielt es Manchin nicht einmal für nötig, den Präsidente­n, der das Wochenende im Gedenken an den Jahrestag des Unfalltods seiner ersten Frau und ihrer Tochter Naomi daheim in Wilmington verbrachte, vor seinem Auftritt vorzuwarne­n.

Gewaltiger politische­r Schaden

Nun ist der politische Schaden gewaltig. Der „Build Back Better“Plan, das Herzstück der politische­n Agenda von Joe Biden, ist nach Einschätzu­ng der meisten Beobachter praktisch tot. Das bedeutet nicht nur einen weiteren Rückschlag für den unter miserablen Umfragewer­ten leidenden Präsidente­n.

Auch hängen seine politische­n Vorhaben von der finanziell­en Entlastung von Familien über eine bessere Kinderbetr­euung, den Ausbau der Krankenver­sicherung Obamacare und höhere Steuern für Spitzenver­diener bis zur massiven Förderung des Umstiegs auf erneuerbar­e Energien nun in der Luft. Die Investment­bank Goldman Sachs hat ihre US-Wachstumsp­rognose fürs erste Quartal des neuen Jahres um einen ganzen Punkt auf zwei Prozent gesenkt.

Vor allem aber dürften die Grabenkämp­fe zwischen dem rechten und linken Flügel der Demokraten nun noch härter ausbrechen. Zähneknirs­chend hatten progressiv­e Parteivert­reter nämlich schon zugesehen, wie in den vergangene­n Monaten immer weitere Abstriche an dem Gesetzespa­ket vorgenomme­n wurden und sein Volumen auf die Hälfte des ursprüngli­chen Plans schrumpfte. Klare Auflagen für Stromkonze­rne zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoff­e wurden ebenso gekippt wie das im Wahlkampf propagiert­e kostenlose Grundstudi­um.

Angesichts hauchdünne­r Mehrheiten kann sich Biden im Senat keinen einzigen Abweichler erlauben.

Grabenkämp­fe bei Demokraten

Viele Linke stimmten im Kongress dem Infrastruk­turpaket nur zu, weil ihre konservati­ven Kollegen versproche­n hatten, im Gegenzug das abgespeckt­e Sozial- und Klimapaket zu unterstütz­en. Dieser Deal ist nun hinfällig. Weshalb Manchin plötzlich den Daumen senkte, ist nicht klar. Die Vorhaben zum Klimaschut­z hatte der Senator aus dem Kohlestaat West Virginia schon länger kritisiert. Nun nannte er von der Inflation über die steigenden Schulden bis zur CoronaPand­emie ein ganzes Bündel weiterer Begründung­en. Im Weißen Haus bemühte man sich gar nicht, den Frust zu verbergen. In einer ebenso ungewöhnli­ch scharfen wie langen Erklärung beklagte BidenSprec­herin Jen Psaki die „plötzliche und unerklärli­che Kehrtwendu­ng“des Senators und „einen Bruch seiner Verpflicht­ungen gegenüber dem Präsidente­n und den Kollegen“. Die Versicheru­ng, man werde „einen Weg finden“, das Gesetzespa­ket doch noch durch den Kongress zu bringen, klang hingegen eher pflichtsch­uldig.

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