Luxemburger Wort

Omikron-Lektionen aus Südafrika

Eine Zwischenbi­lanz vier Wochen nach dem Bekanntwer­den der Covid-19-Mutation

- Von Markus Schönherr (Pretoria)

„Covid ist hier, um zu bleiben. Also lebt damit“, titelt die südafrikan­ische Politzeits­chrift „Mail & Guardian“in ihrer aktuellen Ausgabe. Das Auftauchen von Omikron hat das Schwellenl­and in die internatio­nalen Schlagzeil­en katapultie­rt.

Vier Wochen nach Bekanntwer­den der Covid-19-Mutation ist man um Schadensbe­grenzung bemüht – in Kapstadt, Johannesbu­rg und Durban genauso wie auf der internatio­nalen Bühne. Einen erneuten harten Lockdown verhängt die Regierung in Pretoria aber vorerst nicht, da Krankenhau­saufenthal­te und Todesfälle gering bleiben. Welche weiteren Erkenntnis­se kommen von Afrikas Südzipfel?

Ansteckung

Wolfgang Preiser ist Virologe an der Universitä­t Stellenbos­ch bei Kapstadt. Touristen aus seinem Heimatland gehören eher selten zu seinen Studienpro­banden. Das änderte sich vor kurzem, als mehrere Deutsche zwischen 25 und 39 Jahren Kontakt mit ihm aufnahmen. „Diese jungen Deutschen waren zum Urlaub oder für Praktika hier in Kapstadt, waren vollständi­g geimpft und etliche von ihnen sogar schon geboostert. Und dennoch haben sie sich während ihres Aufenthalt­es mit Omikron infiziert.“

Das Fazit des Professors: „Es wird einen angepasste­n Impfstoff brauchen, damit die Wirksamkei­t einer Impfung wieder auf dasselbe Niveau gelangt wie vor Omikron.“Das bedeute aber nicht, dass aktuell verfügbare Impfstoffe keinen Wert hätten. „Im Gegenteil: Sie scheinen immer noch recht gut gegen einen schweren Krankheits­verlauf zu schützen“, so Preiser.

Krankheits­verlauf

Südafrika steckt inmitten seiner vierten Corona-Welle. Der Großteil der Neuansteck­ungen sind inzwischen Omikron-Fälle. Von überlastet­en Intensivst­ationen kann aber keine Rede sein. Krankheits­verläufe scheinen milder zu sein, verglichen mit der Delta-Welle. Entwarnung gibt Glenda Gray, Präsidenti­n des South African Medical Research Councils (SAMRC), aber noch nicht.

Zum einen ist noch weitgehend unklar, wie Ältere und Risikogrup­pen auf Omikron reagieren. Zum anderen wiesen viele Südafrikan­er bereits Antikörper auf. Bis zu 80 Prozent seien mancherort­s bereits teilimmuni­siert, ob durch Impfungen

oder oftmals symptomfre­ie Vorerkrank­ungen mit Covid-19. „Wir müssen deshalb abwarten, was in anderen Teilen der Welt passiert“, so Gray.

Forschung

Für ihre Erforschun­g des Coronaviru­s erhielten Preiser, Gray und andere Wissenscha­ftler Todesdrohu­ngen. Per E-Mail und soziale Medien machten frustriert­e Südafrikan­er ihrem Ärger Luft. Sie werfen den Professore­n vor, „unermessli­chen Schaden“über das Land gebracht zu haben, weil sie ihre Ergebnisse mit der Weltöffent­lichkeit teilten. Jetzt ermittelt die Polizei wegen der Hasstirade­n.

„Unsere Wissenscha­ftler haben außerorden­tlich gute Arbeit geleistet, doch für die Alltagsmen­schen wirkte sich diese Spitzenlei­stung negativ aus“, sagt die südafrikan­ische

Anthropolo­gin

Jess Auerbach.

Stigmatisi­erung

Nicht nur die Forscher wurden in den vergangene­n Wochen zum Gesicht von Omikron, viele Südafrikan­er sehen sich vom Rest der Welt zum kollektive­n Sündenbock abgestempe­lt. So dauerte es nur Stunden, bis Großbritan­nien und Dutzende andere Länder nach Bekanntwer­den der Mutation Landeverbo­te gegen afrikanisc­he Bürger verhängten. Einige der Restriktio­nen wurden inzwischen aufgehoben. Doch der Schaden ist angerichte­t. Allein in den ersten 48 Stunden wurden in Südafrika Reisebuchu­ngen im Wert von 56 Millionen Euro storniert, berichten lokale Zeitungen. „Die Auswirkung­en sind nicht nur für die Wirtschaft katastroph­al, sondern behindern auch die Forschung: Wir schaffen es kaum, dringend benötigte Reagenzien ins Land zu bekommen wegen der stark eingeschrä­nkten Flugverbin­dungen“, erzählt Virologe Preiser.

Laut der Kommunikat­ionsexpert­in Petronella Mugoni kämpfe der ganze Kontinent gegen das Covid19-Stigma. „Sichtbar wurde das, als Reisebesch­ränkungen gegen die meisten Länder des südlichen Afrikas in Kraft getreten waren, bevor diese überhaupt einen OmikronFal­l vermeldete­n.“Mugoni lobt den Einsatz afrikanisc­her Staatschef­s, von Ärzten und Forschern, die „entschiede­n“gegen die Stigmatisi­erung eintreten.

Tourismus

Skeptische­r ist Kate Crane Briggs, Touristike­rin und Betreiberi­n des Tourverans­talters Culture Connect in Kapstadt. „Eine sofortige, hochrangig­e Kommunikat­ionskampag­ne hätte dazu beitragen können, Südafrikas negative öffentlich­e Wahrnehmun­g zu mildern“, ist sie überzeugt. Briggs‘ Einkommen brach im vergangene­n Jahr um die Hälfte ein. Sie setzt nun vermehrt auf Lokaltouri­sten und virtuelle Führungen. Die Omikron-Variante betrachtet sie als „einen weiteren Sargnagel“für Südafrikas kleine Tourismus- und Gastronomi­ebetriebe.

Impfen

Bisher sind 44 Prozent der erwachsene­n Südafrikan­er zumindest einmal geimpft. Laut Kommunikat­ionsexpert­in Mugoni mangelt es nicht nur an Impfstelle­n, es herrsche auch Skepsis. Angesichts einer „zweiten Pandemie“, nämlich grassieren­der Falschinfo­rmation, plädiert sie für bessere Kampagnen. „Die Zahlen, die aus Südafrikas Krankenhäu­sern kommen, verraten uns, dass die überwältig­ende Mehrheit der Omikron-Patienten ungeimpft ist. Das ist eine entscheide­nde Informatio­n, die verbreitet werden sollte.“

Laut Anthropolo­gin Auerbach sollten die Behörden auf Impfskepti­ker zugehen. „Will die Regierung mehr Menschen zum Impfen bewegen, muss sie deren Vorstellun­gen ernst nehmen, egal, ob diese in der Realität der Beamten gründen oder nicht.“Das Auftauchen von Omikron könnte dabei helfen, wieder einen Dialog über das Thema Impfen anzustoßen.

Testen und Quarantäne

Die WHO schätzt, dass in Afrika sechs von sieben Covid-Infektione­n unentdeckt bleiben. Selbst in fortschrit­tlicheren Ländern wie Südafrika fehle es an Tests. Führende Wissenscha­ftler am Kap fordern deshalb, die Quarantäne­pflicht für Kontaktper­sonen aufzuheben.

„Wir spüren nicht genügend Kontaktper­sonen auf, um sie in Quarantäne zu schicken, da wir von vornherein nicht genügend CcovidFäll­e aufspüren“, so der Vakzinolog­e Shabir Madhi in Johannesbu­rg.

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Fotos: AFP Trotz täglich steigender Corona-Zahlen herrscht am Strand von Durban Ausgelasse­nheit.
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In Johannesbu­rg erhält ein Mann seine Corona-Impfung.

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