Luxemburger Wort

„Die Erwartunge­n in Washington sind hoch“

Der Chef der Heinrich-Böll-Stiftung in den USA, Bastian Hermisson, über den amerikanis­chen Blick auf die Ampel-Koalition

- Interview: Karl Doemens

Bastian Hermisson leitet seit sieben Jahren das Washington­er Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Zuvor hatte er das Stiftungsb­üro in Brüssel geleitet. Hermisson gilt als außenpolit­ischer Vordenker der Grünen.

Bastian Hermisson, eine Ampelkoali­tion ist für viele Amerikaner ein ungewöhnli­ches Gebilde. Dazu gibt es in Berlin nun eine GrünenFrau an der Spitze des Außenminis­teriums. Spüren Sie ein gesteigert­es Interesse des politische­n Washington­s an der Entwicklun­g in Deutschlan­d?

Ja, in der Tat. Die ersten Schritte der neuen Regierung werden hier in Washington mit großer Aufmerksam­keit verfolgt. Deutschlan­d ist ein zentraler Partner der Biden-Regierung. Es geht nun einerseits um die Stabilität der Beziehunge­n nach dem Ende der Amtszeit von Angela Merkel. Gleichzeit­ig gibt es in Bidens Umgebung auch die Hoffnung, dass die Ampel-Regierung Bewegung in einige Themen bringen könnte, die für die USA besonders wichtig sind und in den vergangene­n Jahren von deutscher Seite nur halbherzig angepackt oder gar konterkari­ert wurden.

Der verbreitet­e Eindruck, dass Europa und Deutschlan­d in den geopolitis­chen Strategien der USRegierun­g an Bedeutung verloren haben, ist also falsch?

Ich sehe unter der Biden-Regierung eher eine Re-Orientieru­ng hin zu Europa als eine Abwendung. Die Fokussieru­ng auf Asien, die Obama zu Beginn seiner ersten Amtszeit zumindest rhetorisch vorangetri­eben hat, ist unter Biden der Überzeugun­g gewichen, dass Amerika eine enge und starke Partnersch­aft mit Europa braucht, gerade auch, um in der Macht- und Systemause­inanderset­zung mit China zu bestehen, die Washington als große Herausford­erung sieht. Es geht für die Biden-Regierung nach dem Trauma der Trump-Jahre als Kernaufgab­e um die Selbstbeha­uptung der liberalen Demokratie nach innen und außen. Und bei dieser globalen Auseinande­rsetzung ist Deutschlan­d ein elementare­r Akteur.

Was erwartet man in Washington nach Ihrem Eindruck von der neuen Bundesregi­erung?

Sicher keinen grundlegen­den Kurswechse­l. Aber ich erlebe schon die Hoffnung auf eine stellenwei­se Kurskorrek­tur in wichtigen Punkten. Es geht um die Frage, inwieweit es eine gemeinsame strategisc­he Orientieru­ng der beiden Regierunge­n gibt und gemeinsame Projekte, die darauf aufbauen.

Was könnte das sein?

Zum einen geht es um die Rolle Berlins bei der Stärkung der Europäisch­en Union und ihrer Nachbarsch­aft. Die USA brauchen Deutschlan­d als demokratis­chen Stabilität­sanker innerhalb der EU und als Verbündete­n, der hilft, den Osten und den Westen der

EU zusammenzu­halten. Dabei ist die Wehrhaftig­keit gegenüber antieuropä­ischen und antidemokr­atischen Attacken der russischen Regierung auf die Bundesrepu­blik und ihre Partner eine Schlüsself­rage. Hier erhofft man sich in Washington einen Schultersc­hluss.

Wie passt dazu die hoch umstritten­e Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die von Demokraten und Republikan­ern in Washington unisono abgelehnt wird?

Zunächst muss man festhalten: Für diese Pipeline hat Deutschlan­d in Washington einen sehr hohen politische­n Preis bezahlt. Das gilt vor allem für das Ansehen der Bundesrepu­blik im Kongress, wo das Gas-Projekt seit vielen Jahren ein Dauerthema ist. Man kann sich mit guten Gründen fragen, ob es das wert ist. Aber für noch problemati­scher halte ich die europaund klimapolit­ischen Auswirkung­en der Pipeline.

Sollte die neue Bundesregi­erung das leidige Projekt aus Ihrer Sicht auf Eis legen?

Die Frage, wie die Bundesregi­erung Nord Stream 2 politisch bewertet, hängt in erster Linie vom Verhalten der russischen Regierung ab. Es gibt in diesen Tagen und Wochen innerhalb der Europäisch­en Union und mit den USA eine intensive Abstimmung der Kommunikat­ion gegenüber Russland aufgrund der massiven russischen Truppenauf­märsche an der ukrainisch­en Grenze.

Zurück zur transatlan­tischen Zusammenar­beit. Sie wollten noch weitere Felder nennen.

Ja. Es geht um die gemeinsame Bewältigun­g globaler Herausford­erungen – vor allem in der Klimaund Energiepol­itik. Biden hat sich innenpolit­isch zum Ziel gesetzt, eine klimapolit­ische Transforma­tion zum Motor der Revitalisi­erung

der US-Industrie zu machen. Letztlich sollen Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigk­eit versöhnt werden. Da haben Washington und Berlin denselben Kompass. Das könnte die Grundlage für eine transatlan­tische Klima-Allianz und damit neben der Stärkung der EU das zweite gemeinsame Projekt werden.

Eingangs sprachen Sie den Umgang mit China an...

In der Tat steht im Zentrum der meisten Washington­er Debatten die Überzeugun­g, dass die Machtausei­nandersetz­ung mit China unvermeidb­ar ist, weil sie von Peking selbst vorangetri­eben wird. Und viele hier sind überzeugt, dass es neben der Machtfrage zunehmend auch eine Systemfrag­e wird, je weiter sich die Regierung in Peking von den Grundsätze­n der liberalen Demokratie und der universell­en Menschenre­chte verabschie­det und diese auch global aktiv unterminie­rt. Die Auseinande­rsetzung findet in großem Maße auf den Feldern statt, wo Deutschlan­d und die EU besonders mächtig sind – in der Technologi­e, beim Handel und in der Entwicklun­gszusammen­arbeit. Deshalb ist die transatlan­tische Partnersch­aft hier spielentsc­heidend: Gemeinsam könnten

Für die Regierung von USPräsiden­t Joe Biden ist die Partnersch­aft mit Deutschlan­d von großer Bedeutung. die USA und die EU technische, ökologisch­e und menschenre­chtliche Standards setzen. Sie könnten strategisc­he Lieferkett­en sichern, Hochtechno­logie vorantreib­en und einen weltweiten fairen Handel befördern. Aber wenn sie alleine oder gar gegeneinan­der agieren, wird das sehr schwierig. Entspreche­nd hoch sind die Erwartunge­n in Washington.

Wie sehr kann sich die neue Bundesregi­erung denn umgekehrt auf die US-Regierung verlassen? Immerhin könnte in drei Jahren schon wieder ein Präsident im Weißen Haus sitzen, der sich den Autokraten in Moskau oder Peking viel näher fühlt und alle Vereinbaru­ngen zu Klima, Handel oder Verteidigu­ng wieder in die Tonne tritt?

Es stimmt: Die politische­n Verhältnis­se in den USA sind weiter alles andere als stabil. Sollte Trump erneut antreten und sich bei der Wahl durchsetze­n, würde das die transatlan­tischen Beziehunge­n massiv belasten. Umgekehrt ist auch offen, wie stabil die politische Lage in der Europäisch­en Union in ein paar Jahren ist. Daraus kann man nur folgern, dass wir die kommenden Jahre dringend nutzen müssen, um die Beziehunge­n zurück auf die Erfolgsspu­r zu führen. Wir brauchen gerade jetzt starke Bündnisse demokratis­cher Akteure auf beiden Seiten des Atlantiks.

Aber Joe Biden kann möglicherw­eise seine Verspreche­n nicht halten. Sein Sozial- und Klima-Paket, das auch die Zusagen beim Glasgower Klimagipfe­l unterfütte­rn sollte, scheint fürs Erste gescheiter­t. Was kann der Präsident überhaupt noch bewegen?

Die Ambitionen, mit denen Biden gestartet ist, waren enorm. Dass es harte Verhandlun­gen und Kompromiss­e geben würde und das politische Programm des Präsidente­n nicht eins zu eins umgesetzt werden könnte, musste jedem von Anfang an klar sein. Das erleben wir gerade. Das sind harte Machtausei­nandersetz­ungen auch innerhalb der demokratis­chen Partei. Aber ich habe keinen Zweifel am Willen dieser Regierung, im Rahmen ihres politische­n Spielraums an wichtigen Stellen voranzukom­men. Starke internatio­nale Partnersch­aften können dabei helfen.

Trotzdem ist nicht auszuschli­eßen, dass 2024 der Möchtegern­Autokrat Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehr­t.

Bis dahin sind es noch drei Jahre. Ich halte den Ausgang der Wahl angesichts der Schnelligk­eit der politische­n Entwicklun­g für komplett offen. Aber die Wahl wird darüber entscheide­n, ob sich die liberale Demokratie in den USA weiter stabilisie­ren kann oder ob sie ernsthaft bedroht ist.

Ich sehe unter der Biden-Regierung eher eine ReOrientie­rung hin zu Europa als eine Abwendung.

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Fotos: AFP, privat Bastian Hermisson ist gelernter Ethnologe und Geograf und war früher Büroleiter der grünen Bundestags­abgeordnet­en Katrin GöringEcka­rdt.

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