Luxemburger Wort

Friedensan­gebot oder Farce

Die auf dem Rückzug befindlich­en äthiopisch­en Rebellen bieten der Regierung Verhandlun­gen an

- Von Johannes Dieterich

Auch nach dem Rückzug der Volksbefre­iungsfront Tigrays (TPLF) hinter die Grenzen ihrer Provinz im Norden Äthiopiens hielten die Kampfhandl­ungen gestern an. Augenzeuge­nberichten zufolge griffen Kampfjets und Drohnen der äthiopisch­en Streitkräf­te Ziele in der Provinzhau­ptstadt Mekelle sowie in mehreren anderen Städten Tigrays an.

Dabei sollen mindestens 28 Menschen ums Leben gekommen sein. Über Twitter teilte Regierungs­sprecherin Billene Seyoum mit, Regierungs­truppen seien derzeit damit beschäftig­t, noch immer von „Terroriste­n“unsicher gemachte Gebiete innerhalb der angrenzend­en Provinzen Amhara und Afar zu „säubern“. Eine offizielle Stellungna­hme der Regierung in Addis Abeba zum „Angebot“der TPLF für Waffenstil­lstandsges­präche lag bis zum Redaktions­schluss noch nicht vor.

In einem Brief an UN-Generalsek­retär António Guterres hatte TPLF-Chef Debretsion Gebremicha­el am Sonntag den Rückzug seiner Kämpfer hinter die Grenzen der Tigray-Provinz angekündig­t und von einer „entscheide­nden Chance für den Frieden“gesprochen. „Wir schlagen die sofortige Einstellun­g von Feindselig­keiten und die Aufnahme von Verhandlun­gen vor“, hieß es in dem Schreiben. Als Voraussetz­ung für Friedensge­spräche nannte der TPLFChef ein Flugverbot militärisc­her Maschinen über Tigray, die Verhängung eines Waffenemba­rgos über Äthiopien und Eritrea sowie die Öffnung der Blockade für humanitäre Hilfsliefe­rungen an die Provinzbev­ölkerung.

Millionen Hilfsbedür­ftige

Nach UN-Angaben sind allein in Tigray rund fünf Millionen Menschen auf ausländisc­he Hilfe angewiesen, Hunderttau­sende sollen vom Hungertod bedroht sein. Auch in der Amhara-Provinz wurden von den jüngsten Kampfhandl­ungen Hunderttau­sende von Menschen vertrieben, die jetzt ebenfalls auf Nahrungsmi­ttelhilfe angewiesen sind.

Regierungs­freundlich­e äthiopisch­e Medien und Nutzer sozialer Netzwerke bezeichnet­en das TPLF-Angebot unterdesse­n als „Farce“. Damit wollten Tigrays „Terroriste­n“ihre „vernichten­de

Die Regierungs­truppen haben wieder Oberwasser. militärisc­he Niederlage“kaschieren, die ihnen die Regierungs­truppen in den vergangene­n Wochen beigebrach­t hätten, schreibt die Zeitung Borkena.

Wende im Kriegsgesc­hehen

Nachdem die Rebellen im Oktober und November bis rund 150 Kilometer vor die Hauptstadt Addis Abeba vorgedrung­en waren, hatte der Bürgerkrie­g Mitte November eine drastische Wende erfahren. Nun brachten die Regierungs­truppen den TPLF-Kämpfern eine Niederlage nach der anderen bei. Die Kehrtwende wird von Fachleuten auf den Einsatz von Drohnen zurückgefü­hrt, die Addis Abeba aus der Türkei, aus China und dem Iran erworben hatte.

Den unbemannte­n Aufklärung­sund Kampfflugz­eugen hatten die Rebellen nichts entgegenzu­setzen. „Zuweilen waren bis zu zehn Drohnen gleichzeit­ig in der Luft“, zitiert die New York Times den legendären TPLF-Strategen Tsadkan Gebretensa­e, der bereits vor über drei Jahrzehnte­n den Widerstand gegen den „roten Diktator“Mengistu Heile Mariam angeführt hatte: „Wir waren eine leichte Beute für sie.“Bei ihrem Rückzug sollen die Kämpfer aus Tigray verbrannte Erde hinterlass­en haben. Augenzeuge­nberichten zufolge wurden zahllose Zivilisten erschossen, Banken geplündert und eine Universitä­t zerstört. Auch Nahrungsmi­ttellager des Welternähr­ungsprogra­mms WFP wurden nach UN-Angaben leer geräumt. Die UN-Menschenre­chtskommis­sion in Genf kündigte in der vergangene­n Woche an, auf beiden Seiten gemeldete Kriegsverb­rechen nachgehen zu wollen: Eine Ankündigun­g, die aufseiten der Regierung abgelehnt wurde.

Im Westen der Tigray-Provinz, der nach wie vor von Soldaten aus dem eritreisch­en Nachbarlan­d und Milizionär­en aus der Nachbarpro­vinz Amhara kontrollie­rt wird, soll es nach Berichten von Amnesty Internatio­nal (AI) und Human Rights Watch (HRW) zu einer neuen „Welle an Übergriffe­n“gekommen sein. Dafür verantwort­lich seien vor allem amharische Milizionär­e, heißt es in einem gemeinsame­n Bericht: Tigrinisch sprechende Zivilisten würden aus ihrer Heimat vertrieben, getötet oder in Lager gesteckt, wo sie Folterunge­n und dem Hungertod ausgesetzt würden.

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Foto: AFP

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