Friedensangebot oder Farce
Die auf dem Rückzug befindlichen äthiopischen Rebellen bieten der Regierung Verhandlungen an
Auch nach dem Rückzug der Volksbefreiungsfront Tigrays (TPLF) hinter die Grenzen ihrer Provinz im Norden Äthiopiens hielten die Kampfhandlungen gestern an. Augenzeugenberichten zufolge griffen Kampfjets und Drohnen der äthiopischen Streitkräfte Ziele in der Provinzhauptstadt Mekelle sowie in mehreren anderen Städten Tigrays an.
Dabei sollen mindestens 28 Menschen ums Leben gekommen sein. Über Twitter teilte Regierungssprecherin Billene Seyoum mit, Regierungstruppen seien derzeit damit beschäftigt, noch immer von „Terroristen“unsicher gemachte Gebiete innerhalb der angrenzenden Provinzen Amhara und Afar zu „säubern“. Eine offizielle Stellungnahme der Regierung in Addis Abeba zum „Angebot“der TPLF für Waffenstillstandsgespräche lag bis zum Redaktionsschluss noch nicht vor.
In einem Brief an UN-Generalsekretär António Guterres hatte TPLF-Chef Debretsion Gebremichael am Sonntag den Rückzug seiner Kämpfer hinter die Grenzen der Tigray-Provinz angekündigt und von einer „entscheidenden Chance für den Frieden“gesprochen. „Wir schlagen die sofortige Einstellung von Feindseligkeiten und die Aufnahme von Verhandlungen vor“, hieß es in dem Schreiben. Als Voraussetzung für Friedensgespräche nannte der TPLFChef ein Flugverbot militärischer Maschinen über Tigray, die Verhängung eines Waffenembargos über Äthiopien und Eritrea sowie die Öffnung der Blockade für humanitäre Hilfslieferungen an die Provinzbevölkerung.
Millionen Hilfsbedürftige
Nach UN-Angaben sind allein in Tigray rund fünf Millionen Menschen auf ausländische Hilfe angewiesen, Hunderttausende sollen vom Hungertod bedroht sein. Auch in der Amhara-Provinz wurden von den jüngsten Kampfhandlungen Hunderttausende von Menschen vertrieben, die jetzt ebenfalls auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind.
Regierungsfreundliche äthiopische Medien und Nutzer sozialer Netzwerke bezeichneten das TPLF-Angebot unterdessen als „Farce“. Damit wollten Tigrays „Terroristen“ihre „vernichtende
Die Regierungstruppen haben wieder Oberwasser. militärische Niederlage“kaschieren, die ihnen die Regierungstruppen in den vergangenen Wochen beigebracht hätten, schreibt die Zeitung Borkena.
Wende im Kriegsgeschehen
Nachdem die Rebellen im Oktober und November bis rund 150 Kilometer vor die Hauptstadt Addis Abeba vorgedrungen waren, hatte der Bürgerkrieg Mitte November eine drastische Wende erfahren. Nun brachten die Regierungstruppen den TPLF-Kämpfern eine Niederlage nach der anderen bei. Die Kehrtwende wird von Fachleuten auf den Einsatz von Drohnen zurückgeführt, die Addis Abeba aus der Türkei, aus China und dem Iran erworben hatte.
Den unbemannten Aufklärungsund Kampfflugzeugen hatten die Rebellen nichts entgegenzusetzen. „Zuweilen waren bis zu zehn Drohnen gleichzeitig in der Luft“, zitiert die New York Times den legendären TPLF-Strategen Tsadkan Gebretensae, der bereits vor über drei Jahrzehnten den Widerstand gegen den „roten Diktator“Mengistu Heile Mariam angeführt hatte: „Wir waren eine leichte Beute für sie.“Bei ihrem Rückzug sollen die Kämpfer aus Tigray verbrannte Erde hinterlassen haben. Augenzeugenberichten zufolge wurden zahllose Zivilisten erschossen, Banken geplündert und eine Universität zerstört. Auch Nahrungsmittellager des Welternährungsprogramms WFP wurden nach UN-Angaben leer geräumt. Die UN-Menschenrechtskommission in Genf kündigte in der vergangenen Woche an, auf beiden Seiten gemeldete Kriegsverbrechen nachgehen zu wollen: Eine Ankündigung, die aufseiten der Regierung abgelehnt wurde.
Im Westen der Tigray-Provinz, der nach wie vor von Soldaten aus dem eritreischen Nachbarland und Milizionären aus der Nachbarprovinz Amhara kontrolliert wird, soll es nach Berichten von Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) zu einer neuen „Welle an Übergriffen“gekommen sein. Dafür verantwortlich seien vor allem amharische Milizionäre, heißt es in einem gemeinsamen Bericht: Tigrinisch sprechende Zivilisten würden aus ihrer Heimat vertrieben, getötet oder in Lager gesteckt, wo sie Folterungen und dem Hungertod ausgesetzt würden.