Aufstieg und Fall eines Popstars
Der Fall Sebastian Kurz: Vom aufstrebenden österreichischen Jungstar zum gescheiterten Politiker – Ein Porträt
Als der adrette junge Mann im immerblauen Slim-Fit-Anzug mit 27 zum jüngsten Außenminister der Geschichte ernannt wird, zieht er nach seinen Antrittsinterviews den jeweiligen Gesprächspartner in eine stille Ecke und fragt scheinbar unsicher: „Glaubst Du“– das Du ist zwischen Medienmenschen und Politikern in Österreich sehr gebräuchlich – „glaubst Du, dass ich diesen Job schaffen kann?“
Als sechs Jahre später der australische Pastor Fitzgerald den immer noch jungen Mann bei einer ökumenischen Massenveranstaltung in Wien auf die Bühne bittet und zum Segensgebet für den Gast aufruft („Gott, wir danken dir so sehr für diesen Mann, für die Weisheit, die du ihm gegeben hast“), ist der zwar gerade nicht mehr Kanzler, aber bald wieder, und somit schon auf dem absoluten Höhepunkt seiner Polit-Karriere. Einer, der übers Wasser gehen kann, wie ihn Karikaturisten gerne zeichnen – da passt das unfreiwillige Gebetsspektakel gut.
Das politische Ausnahmetalent
Und als der Angebetete zweieinhalb Jahre danach, Anfang Dezember 2021, vor die Presse tritt und seinen völligen Rückzug aus der Politik bekannt gibt, ist er gerade einmal 35, jüngster zweifacher Ex-Kanzler der Geschichte, durch vertrauliche Chats desavouiert, was den „neuen Stil“betrifft, von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt – und er verabschiedet sich so überraschend und so souverän, wie er in die Politik gekommen ist. Seine Leidenschaft für Politik sei zuletzt geschrumpft, seine „Flamme ein bisschen kleiner geworden“, und im Übrigen: „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher. Ich bin ein Mensch.“
Mensch, Sebastian Kurz, so schnell kanns gehen, möchte man sagen. Eine strahlende Sternschnuppe am PolitikFirmament. Ein politisches Ausnahmetalent, wie es Österreich seit Bruno Kreisky und Jörg Haider nicht kannte. Ein Hoffnungsträger für seine Partei, für seine Fans. Jäh verglüht, gescheitert an seiner Hybris, am Unverwundbarkeitsglauben der ihn umgebenden jungen Männertruppe und am Neid seiner politischen Gegner. Vier Jahre stand Österreich im Bann des bubenhaften Kanzlers, staunend oder misstrauisch, begeistert oder empört, niemanden ließ er kalt – jetzt ist wieder Alltag.
Die eingangs geschilderten Szenen stehen alle drei exemplarisch für die politische Vita des Sebastian Kurz. Wie er im Herbst 2013, als er vom noch belächelten Jungstaatssekretär zum Außenminister avancierte, Journalisten ins Vertrauen zog, das legte die Basis
für den großen Zuspruch, den der spätere Polit-Star in den meisten heimischen Medien über Jahre erhielt. Die Unsicherheit war gespielt: Sebastian Kurz hatte schon damals mehr Selbstvertrauen und Überzeugung, als er durchblicken ließ, und möglicherweise schon zu diesem Zeitpunkt einen Plan: der Partei und der Republik zu zeigen, Kanzler zu werden.
Gerne wurde zu Beginn des Aufstiegs die Schnurre aus Sebastian Kurz‘ Biografie erzählt: Wie er nach der Matura bei der ÖVP in seinem Heimatbezirk Wien-Meidling anheuern wollte, die aber kein Interesse an dem jungen Mann hatte. Die ÖVP Innere Stadt nahm ihn auf, und von da an gings bergauf.
Geplante Machtübernahme in der ÖVP Mit 23 ist er Obmann der Jungen ÖVP – da fiel er noch mit einer schrägen Werbekampagne auf (mit dem „Geilo-mobil“, einem schwarzen HummerAuto, vor einem Nachtlokal– „die ÖVP ist geil“); mit 25 wird er Integrationsstaatssekretär im Innenministerium der SPÖ/ÖVP-Koalition, wo er die harte Linie in Sachen Migration mit Sätzen wie „Wir haben zu wenig Willkommenskultur“und „Der Islam gehört zu Österreich“konterkariert. Danach macht er als jüngster Außenminister Furore und nach der Flüchtlingskrise 2015 mit seinem Anti-Merkel-Kurs: Das „Balkanroute-Schließen“macht ihn über die Grenzen hinaus bekannt, die deutschen Springer-Medien beginnen sich zu überschlagen: „So einen brauchen wir auch“.
Schon zu diesem Zeitpunkt arbeitet er mit seinem intimsten Berater- und Freundeskreis an der Machtübernahme in der ÖVP, wie heute dank der Chat-Protokolle eines seiner Vertrauten bekannt ist. Der kleine Koalitionspartner der ewigen Kanzlerpartei SPÖ ist ihm zu träge, der Parteichef Reinhold Mitterlehner ein lahmer „Arsch“– mittels gefälschter und öffentlich finanzierter Umfragen (heute einer der juristisch relevanten Punkte gegen Kurz und sein Team) wird der ÖVPChef in einem ihm nahen Medium runter gemacht – und Kurz als Heilsbringer für die Volkspartei herbeigeschrieben.
2017 übernimmt er tatsächlich die Partei, modelt die traditionellen „Schwarzen“auf eine türkise Bewegung um, entmachtet die Landeshauptleute und Bünde und lässt die Koalition platzen. Die darauffolgende Wahl gewinnt er gegen die gerade erst gestartete Zukunftshoffnung der SPÖ, Christian Kern, fulminant. Das verzeihen ihm die Sozialdemokraten nie. Der Rest Österreichs, so möchte man fast meinen, liegt in Euphorie.
Kurz geht eine Ehe mit der rechtspopulistischen FPÖ ein und drückt sie an die Wand. Eineinhalb Jahre später erschüttert das sogenannte „Ibiza-Video“die Republik. Das ist das Ende der Koalition und der Anfang vom Ende des Sebastian Kurz – aber das weiß zu dem Zeitpunkt noch niemand. Kurz wird von der Opposition abgewählt, in der Wiener Stadthalle wird für ihn gebetet – und die Neuwahlen im Herbst 2019 gewinnt er noch fulminanter als seine erste Wahl. Die ÖVP schwelgt im Glück.
Was macht den Erfolg des smarten Kanzlers aus: „Kurz kann auf Augenhöhe kommunizieren, ist höflich bis zuvorkommend, auch nicht humorlos und strahlt trotz noch immer junger Jahre durchaus das Gefühl aus, großen Aufgaben gewachsen zu sein. Ideologie plagt den ÖVP-Chef nicht, weshalb es für ihn auch kein Problem war, geschmeidig von Schwarz auf Türkisbeziehungsweise koalitionär von Blau auf Grün umzuswitchen“, schreibt die „Tiroler Tageszeitung“einmal treffend. Und Tatsache: Plötzlich steht Kurz einer türkis-grünen Koalition vor, verkauft sie als „das beste zweier Welten“.
Aber während seine zweite Regierung sehr schnell mit den Mühen des Virus zu kämpfen hat, Kurz sich auch noch darin gefällt, in Europa der Stachel im Fleisch zu sein (als Freund der Visegrad-Staaten), mahlen die Mühlen der Justiz bereits im Hintergrund: Das Ibiza-Video hat sie auf die Spuren von Postenschacherei im Zusammenhang mit Casino-Bestellungen und anderen gebracht. Sehr schnell sind ÖVP-Minister im Visier der Ermittler – und engste Kurz-Vertraute. Hausdurchsuchungen, konfiszierte Handys, und Volltreffer: Einer von ihnen, an entscheidender Stelle im Finanzministerium, der sich die Ausschreibung für einen Top-Posten zugeschneidert hat, hat alle einschlägigen Chat-Gespräche gespeichert. Die Staatsanwaltschaft kommt mit Auswerten gar nicht nach, auch juristisch nicht relevante Teile gelangen an die Öffentlichkeit.
Die Chats zeichnen ein Sittenbild, wie sich die enge Männerpartie die Macht hergerichtet hat. Wie despektierlich sie über alle außerhalb dieses Zirkels sprachen. Und auch wenn juristisch nichts an Kurz hängen bleiben sollte: Sein Image als die Galionsfigur einer neuen Politik ist in tausend Scherben zerbrochen.
Gescheiterter Comebackversuch
Die von Kurz kaltgestellten Landeschefs, die von seiner Aura bei Regionalwahlen über die Maßen profitierten, kommen diesen Herbst wieder hervor und legen dem Jung-Kanzler den Rücktritt nahe, ehe es die ÖVP endgültig in den Abgrund reißt. Kurz tritt „zur Seite“, in der Hoffnung, bald wieder kommen zu können. Acht Wochen später geht er auch als Parteichef – der Versuch, sich bei den Länderchefs zu rehabilitieren und eine Rückkehr an die Macht vorzubereiten, war gescheitert.
Sebastian Kurz hätte es in der Hand gehabt, eine lange anhaltende bürgerliche Dominanz in der österreichischen Innenpolitik anzuführen. Nun wird er in die Privatwirtschaft wechseln, höchstwahrscheinlich als Manager in die USA, wenn man der Zeitung „Österreich“glauben mag.
Zurück bleibt eine ÖVP, die in Umfragen wieder dort ist, wo sie vor Kurz war. Eine zufriedene Opposition, die nur noch darauf wartet, dass die türkis-grüne Koalition nach Kurz zerbricht. Und eine Öffentlichkeit, die staunt: Wie sehr sie sich von einem Popstar in der Politik, der weitgehend ideologiebefreit war und eine soziale Gerechtigkeit vor allem für Leistungsträger definiert hat, der erfrischend mit althergebrachten Mechanismen aufgeräumt hat, aber keine politische Vision hatte, in den Bann hat ziehen lassen, im Positiven wie im Negativen.
Sein Image als die Galionsfigur einer neuen Politik ist in Tausend Scherben zerbrochen.