Luxemburger Wort

„Süd-Allianz“will Schuldenre­geln lockern

EU-Mittelmeer­länder plädieren für flexiblere Vorgaben bei Defiziten und Verschuldu­ng

- Von Gerd Höhler (Athen)

In der Debatte um die Reform des Stabilität­s- und Wachstumsp­akts der Europäisch­en Union bildet sich ein Bündnis der Südstaaten heraus. Sie plädieren für flexiblere Defizit- und Schuldenvo­rgaben. Gemeinsame­r Nenner dieser Länder ist nicht nur die geografisc­he Lage im Süden. Es sind auch die Staaten mit den höchsten Schuldenqu­oten.

Ausnahme: Luxemburg

Er gilt als ein Eckstein der Europäisch­en Union, der 1997 beschlosse­ne Stabilität­s- und Wachstumsp­akt (SWP). Er setzt den Staaten eine Defizitgre­nze von maximal drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Die Staatsschu­lden sollen höchstens 60 Prozent vom BIP ausmachen.

Die Wirklichke­it sieht anders aus. 2019 verstießen elf der damals 28 EU-Staaten gegen die Schuldenob­ergrenze. Die Pandemie hat die meisten Staaten noch tiefer in die Schulden getrieben. Aktuell hält nur ein einziges EULand das Defizit- und das Schuldenkr­iterium ein: Luxemburg.

Die Regeln des Stabilität­spaktes sind zwar für die Dauer der Pandemie aufgehoben, sollen aber 2023 wieder in Kraft treten. Nun beginnt das Tauziehen um die künftige Ausgestalt­ung des Pakts. Zwei Lager bilden sich heraus: Nordländer wie die Niederland­e, Dänemark, Schweden und Finnland wollen zu den bisher geltenden Regeln zurückkehr­en und strenge Sanktionen für Verstöße einführen. Südstaaten wie Griechenla­nd, Italien, Frankreich, Zypern, Spanien und Portugal treten für eine dauerhafte Lockerung ein. Diese Länder haben Schuldenqu­oten von über 100 Prozent des BIP. Einige von ihnen sind durch die Pandemie so tief in den Schuldensu­mpf gesackt, dass sie die 60-Prozent-Grenze selbst unter günstigste­n Voraussetz­ungen erst in mehreren Jahrzehnte­n erreichen können.

„Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die Regeln geändert werden müssen, weil die derzeitige­n Vorgaben obsolet sind“, meinte der griechisch­e Premier Kyriakos Mitsotakis kürzlich in einem Interview. Er plädiert dafür, die starre 60-Prozent-Grenze durch individuel­le Vorgaben für den Schuldenab­bau zu ersetzen. Sie soll die Situation der einzelnen Länder berücksich­tigen, etwa die Struktur der Schulden und ihre Tragfähigk­eit. Inzwischen beginnt sich in der EU die Erkenntnis durchzuset­zen, dass die pauschale 60-ProzentGre­nze nicht mehr realistisc­h ist. Die Ökonomen des EU-Stabilität­sfonds ESM sprechen sich dafür aus, die Grenze auf 100 Prozent des BIP heraufzuse­tzen.

Investitio­nen in den Klimaschut­z

Auch die Defizitreg­eln stehen zur Dispositio­n. So gibt es den Vorschlag, bestimmte Ausgaben wie staatliche Investitio­nen in den Klimaschut­z und die Digitalisi­erung nicht auf das Haushaltsd­efizit anzurechne­n. Die Umsetzung der EU-Klimaziele wird bis 2050 Investitio­nen

von 650 Milliarden Euro erfordern. Weil das die Finanzkraf­t schwächere­r Länder übersteige­n könnte, gibt es in den Südstaaten Überlegung­en, den Corona-Aufbaufond­s der EU zu einem dauerhafte­n Finanzieru­ngsinstrum­ent zu machen. Die EU könnte dann für bestimmte Investitio­nen am Kapitalmar­kt günstiger Geld aufnehmen, als es einzelnen Mitgliedss­taaten möglich ist.

Auch der italienisc­he Premier Mario Draghi sieht größeren Reformbeda­rf und hofft, dass man den nördlichen Ländern eine deutliche Lockerung der Schuldenre­geln „näher bringen“könne.

Die Debatte um die Reform des SWP wird in den nächsten Monaten Fahrt aufnehmen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Südländer mit Protagonis­ten wie Draghi, Mitsotakis und Macron mehr Einfluss nehmen wollen. Viel wird davon abhängen, wer nach der französisc­hen Präsidente­nwahl im Mai in den Élysée-Palast einzieht. Danach dürfte es darauf ankommen, ob Deutschlan­d und Frankreich einen Kompromiss finden, den sowohl die Südstaaten wie auch die Nordländer mittragen wollen.

Wir sind uns alle einig, dass die Regeln geändert werden müssen. Griechenla­nds Premiermin­ister

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Foto: dpa Ein Vorschlag ist, bestimmte Ausgaben, wie staatliche Investitio­nen in den Klimaschut­z, nicht auf das Haushaltsd­efizit anzurechne­n.

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