Weit mehr als nur der „Här Lehrer“
Zum Tod des Multitalents Henri Losch, der sich bis zuletzt für die Sprache und den wachen Geist einsetzte
Im Juli 2021 schrillte das Telefon. Die Telefonzentrale des „Luxemburger Wort“bat darum, „einen Herrn Losch“durchzustellen. Er habe den gerade erschienenen Artikel im „Luxemburger Wort“zu den Dreharbeiten rund um die „Déi Zwéi vum Bierg“und die Wirkmacht des Films für das Geschichtsbild des Großherzogtums um die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit gelesen und wolle den zuständigen Redakteur sprechen. Es sollte das letzte Telefongespräch mit Henri Losch vor seinem Tod sein. Im Alter von 90 Jahren ist der Lehrer, Schauspieler, Buchautor und Präsentator in der Nacht auf den 26. Dezember gestorben.
Die Gedanken rasten im vergangenen Sommer schon beim Namen durch Kopf: Will er sich etwa beschweren? War er völlig falsch zitiert oder die Darstellung im Bericht nicht klar genug? Die Schweißperlen kamen auf, wie der ehemalige Lehrer auf das, was da über den Nachgang eines seiner zentralen Projekte geschrieben stand, reagiert hätte. Sonst würde er doch wohl nicht anrufen?
Das Gegenteil der schlimmsten Erwartungen war der Fall: „Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken“, sagte er mit diesem erstaunlich jungen Ton in der Stimme. Etwa fünfzehn Minuten dauerte das Gespräch und Losch freute sich, dass die Kulturredaktion über den Tellerrand geschaut habe – und nicht nur auf die Stärken, sondern auch die Schwächen des Filmprojekts aus heutiger Sicht geblickt habe; weil es wichtig sei, neugierig zu bleiben, und immer neu dazuzulernen.
Nicht nur in den letzten Jahren fanden Henri Losch und seine Arbeiten immer wieder Einzug in die Berichterstattung: ob ganz direkt als Verweis auf seine Buchprojekte und die dazugehörenden Lesungen oder der Rückblick auf sein Leben anlässlich seines 85. Geburtstags. „Sowohl im Kino als auch beim Bücherschreiben – die Sprache hat mich immer begleitet. Oft wird mir gesagt, dass meine Texte etwas Theatralisches haben. Meine Schauspielerfahrung spielt dabei eine Rolle. Bin ich zu einer Lesung eingeladen, ist es mir wichtig, meinen Text auch darstellerisch zu vermitteln“, sagte er in einem Interview zu seiner Passion für die Sprache und deren
Darstellung. Und diese Passion ging weit über ein persönliches Hobby hinaus: „Mam Henri Losch verléiere mer ee Schrëftsteller, dee fir d’Lëtzebuerger Sprooch gelieft a se um Liewe gehal huet. Mir verléieren een Zéien vun de Krichsjoren a vun der kultureller Entwécklung vum Land. A mir verléieren e feinen an engagéierte Mënsch“, würdigte Kulturministerin Sam Tanson via Twitter gestern den Verstorbenen und dessen Engagement.
„Immens feinen, léiwen an
engagéierte Mann“
„Mit Jüngeren zu arbeiten, hält mich im hohen Alter fit“, erklärte Losch im Rahmen des Interviews zu seinem 85. Geburtstag – spürbar dankbar, noch aktiv sein zu können und mitgestalten zu können. Und umgekehrt denken viele – das zeigen die Kommentare auf seinen Tod in den sozialen Medien – an ganz persönliche Begegnungen mit Losch zurück. So lässt sich auch die Stellungnahme von Familienministerin Corinne Cahen lesen: „En immens feinen, léiwen an engagéierte Mann huet eis verlooss. Den Henri Losch huet e.a. di lescht Joeren d’Primärschoulkanner begeeschtert fir d’Literatur. Et war eng Freed ze gesinn, wéi begeeschtert d’Kanner waren wann hie virgeliess huet a mat hinne gepotert huet.“
Ein Treffen mit Henri Losch war immer spannend: Mit viel Humor und einer unbegrenzten Energie konnte der „Här Lehrer“– der Losch sein Leben lang geblieben war – eben seine Zuhörer begeistern. Ohne große Sprüche oder das Dreschen von Weisheiten. Henri Losch führte nicht das breite Wort; kleine Geschichten mit einfachen und doch gefühlvollen Wörtern reichten aus. Und doch hat er damit tiefe Spuren hinterlassen: Losch, am 16. Juli 1931 in Diekirch geboren, hat sein ganzes Leben gerne mit Wörtern gearbeitet und gespielt; ob eben als Grundschullehrer, Schauspieler, Autor, Diktionsprofessor oder als Moderator und Präsentator.
Neben seiner rein beruflichen Laufbahn in der Grundschule war Henri Losch an zahlreichen Projekten und Initiativen beteiligt. Er war nicht nur in den 1960er-Jahren Mitglied des Lëtzebuerger Theaters, sondern auch Gründungsmitglied des Théâtre Ouvert Luxembourg. Im Filmbereich hat Losch, parallel zu seinen Schauspielerfahrungen, das Drehbuch von zwei prägnanten luxemburgischen Filmproduktionen geschrieben: „Déi Zwéi vum Bierg“und „De falschen Hond“. „Noch heute rufen mich Menschen an, die von den Emotionen des Films ,Déi Zwéi vum Bierg’ gepackt werden“, sagte Losch 2016. Es sei zentral gewesen, die Breite der Erinnerungen zusammenzutragen und die Geschichte Luxemburgs von vor der Besatzung bis zur Nachkriegszeit zu zeigen. „Wir denken, dass es wichtig ist, dass wir uns an unsere Vergangenheit erinnern. Für die Älteren und für die Jüngeren. Im Geschichtsunterricht kommen die Lehrer selten bis zu dem Kapitel und wenn, zeigen sie eher die Vorgänge in der großen Welt. Und unsere ,kleine’ – in Gänsefüßchen – Geschichte geht verloren“, so Losch 1985 zur damaligen Motivation hinter dem Projekt. Seine späteren Bücher wie „Sympathesch Kauzen“oder „E Bouf erzielt“werden nun zum Schatz einer Epoche, deren Zeuge er war.
Mam Henri Losch verléiere mer ee Schrëftsteller, dee fir d’Lëtzebuerger Sprooch gelieft a se um Liewe gehal huet. Kulturministerin Sam Tanson
Neben einem Drei-Gänge-Menü wurde den Gästen als Dessert ein Stück Bûche de Noël angeboten.
den ehemaligen Pfarrer und Lehrer, seit er 23 Jahre alt ist.
Jetzt, um kurz nach 17 Uhr, wird Léon Kraus von seinen Gefühlen überwältigt, als er im Centre Culturel Hollerich vor den 50 Ehrenamtlichen steht, um sich für ihren Einsatz zu bedanken.
„Diese ständige Ungewissheit, ob das nun klappt oder nicht, hat uns alle im Organisationskomitee der Noël de la Rue belastet“, sagt Organisator Kraus, der seit September mit seinem Team in den Vorbereitungen steckte. „Für alles brauchen wir Belege, damit im Notfall alles zurückverfolgt werden kann. Das gehört seit Covid zur Normalität und das haben wir auch strikt berücksichtigt, aber“, und Kraus seufzt, „bei all der Planung ist die Menschlichkeit verloren gegangen, ich hatte fast vergessen, um was es hier eigentlich geht.“Kraus meint, für andere da zu sein, trostspendende Worte zu verteilen und auch warmes Essen, Geschenke, Musik.
Die 150 Menschen, die sich am 25. Dezember um Viertel vor zwölf frierend, hungrig und müde nach Hollerich begeben haben, haben den Festsaal am späten Nachmittag mit Geschenken in den Händen, Funkeln in den Augen und etwas mehr Hoffnung verlassen. Da wusste Kraus, was er seit 40 Jahren tut, ist richtig. Und deshalb muss er jetzt mit den Fingern über seine Augen fahren.
Yussuf (Name von der Redaktion geändert), ist einer der Ersten, die sich in die Warteschlange in der Rue Emile Lavandier stellen. Der 36-jährige Tunesier hat keinen Ausweis dabei, aber abgewiesen wird hier heute niemand. Das ist Kraus wichtig. Für ihn steht die Menschenwürde an erster Stelle – jeder soll heute für ein paar Stunden seinen Alltag vergessen können.
Yussufs Alltag ist von Rastlosigkeit geprägt. Sein Heimatland verließ er, nachdem die arabische Revolution vor zehn Jahren in dem nordafrikanischen Land Einzug hielt, erst floh er nach Frankreich, dann versuchte er sein Glück in Finnland, „da war es zu kalt“, und auch in Luxemburg, wo er seit sechs Jahren ist, hat er bisher keine Arbeit gefunden, trotz Diplomen, die er auf seinem Handy zeigt. „Ich bin gesund, ich habe Kraft, warum habe ich kein Recht, zu arbeiten?“, fragt er. Ab und zu nimmt er Malerjobs an und verdient sich schwarz etwas dazu. Weil er sich mit einem Sicherheitsmann vor dem temporären Obdachlosenheim der Wanteraktioun (WAK) in Findel angelegt hat, darf er hier vorerst nicht mehr schlafen.
Nicht alle Gäste sind obdachlos. „Wir haben hier auch viele einsame
Ich bin gesund, ich habe Kraft, warum darf ich nicht arbeiten? Yussuf, obdachlos
Menschen, die keine Familie oder sozialen Kontakte mehr haben“, erklärt Léon Kraus. Aber da ist auch die Großfamilie, die nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung hat. Bei einem Drei-GängeMenü (Kürbissuppe, Geflügelfilet mit Reis, Bûche), das die Firma Sodexo beigesteuert hat, kommt man mit seinem Sitznachbarn ins Gespräch.
Ob jemand geimpft ist oder nicht, spielt keine Rolle – jeder, auch die Ehrenamtlichen, muss im Eingangsbereich einen Schnelltest machen und bekommt ein farbiges Bändchen. „Für mich ist das hier das richtige Weihnachten“, sagt eine Ehrenamtliche, die aus Steinfort gekommen ist. In der dortigen Maison Relais hat sie mit Kindern 300 Jutebeutel bemalt, die jeder Gast in Hollerich und Esch/Alzette, wo eine ähnliche Feier läuft, bekommt. „Heiligabend verbringe ich mit der Familie, aber bei der Noël de la Rue bekommen wir von den Menschen so viel Dankbarkeit zurück, da kommt in mir so ein Gefühl von Frieden auf Erden in mir hoch“, sagt sie.
Im Laufe des Nachmittags versuchen die Besucher ihr Glück beim Bingospielen, auch für musikalische
Für mich ist das hier das richtige Weihnachten. Ehrenamtliche aus Steinfort
Unterhaltung ist gesorgt. Der Weihnachtsmann bringt Geschenke und hat Handtücher, Regenponchos, Hygieneprodukte und Süßigkeiten dabei. An allen Geschenken hängen noch die Etiketten dran, alles ist neu gekauft worden. Kraus hat nichts gegen Gebrauchtes einzuwenden, „aber bitte nicht an Weihnachten“. Auch ein kleiner Petzi guckt aus den Jutebeuteln hervor. „Uns ist aufgefallen, dass an Weihnachten das Kindsein in jedem wieder hochkommt“, erklärt Kraus.
Die Augen des Tunesiers Yussuf funkeln an diesem Abend auch: Familienministerin Corinne Cahen (DP) war mit ihren beiden Töchtern zur Mittagszeit nach Hollerich gekommen, um drei Stunden lang Essen an die Bedürftigen zu verteilen. Sie ließ sich mit dem einen oder anderen Gast fotografieren. Am Ende darf Yussuf in den Bus Richtung Findel steigen.