Luxemburger Wort

Richter fordern Triage-Regeln

Bundesverf­assungsger­icht stärkt Rechte von Behinderte­n

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Karlsruhe. In Deutschlan­d muss der Bundestag „unverzügli­ch“Vorkehrung­en zum Schutz von Menschen mit Behinderun­gen im Fall einer sogenannte­n Triage treffen. Das Bundesverf­assungsger­icht teilte gestern in Karlsruhe mit, aus dem Schutzauft­rag wegen des Risikos für das höchstrang­ige Rechtsgut Leben folge eine Handlungsp­flicht für den Gesetzgebe­r. Diese habe er verletzt, weil er keine entspreche­nden Vorkehrung­en getroffen habe. Er müsse dieser Pflicht in Pandemieze­iten nachkommen. Bei der konkreten Ausgestalt­ung habe er Einschätzu­ngs-, Wertungs- und Gestaltung­sspielraum.

Das Wort Triage stammt vom französisc­hen Verb „trier“, das „sortieren“oder „aussuchen“bedeutet. Es beschreibt eine Situation, in der Ärzte entscheide­n müssen, wen sie retten und wen nicht – zum Beispiel, weil so viele schwerstkr­anke Corona-Patienten in die Krankenhäu­ser kommen, dass es nicht genug Intensivbe­tten gibt.

Neun Menschen mit Behinderun­gen und Vorerkrank­ungen hatten in Deutschlan­d Verfassung­sbeschwerd­e eingereich­t. Sie befürchten, von Ärzten aufgegeben zu werden, wenn keine Vorgaben existieren. Das höchste deutsche Gericht gab ihnen nun recht. Niemand dürfe wegen einer Behinderun­g bei der Zuteilung überlebens­wichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivme­dizinische­r Behandlung­sressource­n benachteil­igt werden.

Klinisch-ethische Empfehlung­en

Die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi) hat mit anderen Fachgesell­schaften „Klinisch-ethische Empfehlung­en“erarbeitet. Die Klägerinne­n und Kläger sehen die dort genannten Kriterien mit Sorge, weil auch die Gebrechlic­hkeit des Patienten und zusätzlich bestehende Krankheite­n eine Rolle spielen. Sie befürchten, aufgrund ihrer statistisc­h schlechter­en Überlebens­chancen immer das Nachsehen zu haben.

Das Verfassung­sgericht erläuterte, die Empfehlung­en der Divi seien rechtlich nicht verbindlic­h und „kein Synonym für den medizinisc­hen Standard im Fachrecht“. Zudem weist es auf die möglichen Risiken bei der Beurteilun­g hin, die sich aus den Empfehlung­en ergeben könnten. Es müsse sichergest­ellt sein, „dass allein nach der aktuellen und kurzfristi­gen Überlebens­wahrschein­lichkeit entschiede­n wird“.

Sehr zufrieden mit der Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts zur Triage zeigte sich der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch. Er hätte sich „kein besseres Urteil wünschen können“, sagte Brysch am Dienstag. Der Bundestag müsse nun Verantwort­ung übernehmen und dürfe diese nicht weiter privaten Institutio­nen überlassen. Der Vorteil einer jetzt nötigen gesetzlich­en Regelung sei, dass anschließe­nd allen der Rechtsweg offen stehe. Brysch sprach „von einem sehr wichtigen Tag“für alle Betroffene­n. dpa/KNA

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Foto: AFP In vielen Kliniken in Deutschlan­d sind die Intensivst­ationen am Limit.

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