Luxemburger Wort

Nordkorea ist isolierter denn je

Seit zehn Jahren führt Kim Jong Un sein Land bereits mit eiserner Hand

- Von Fabian Kretschmer

Die Menschenre­chtsverbre­chen des nordkorean­ischen Regimes werden in den Medien nicht selten ins Groteske überzogen. Doch manche der schier unglaublic­hen Grausamkei­ten sind im Kern wahr: Nach wie vor werden Bürger im Kim-Regime öffentlich gerichtet – und manchmal lediglich, weil diese „illegale“Videos aus Südkorea geschaut haben.

Die „Transition­al Justice Working Group“mit Sitz in Seoul versucht wie keine zweite NGO, die staatliche Gewalt der nordkorean­ischen Regierung systematis­ch zu dokumentie­ren. Ihr geht es darum, gegen das Vergessen anzukämpfe­n: Sollte es irgendwann einmal zu einer Wiedervere­inigung auf der koreanisch­en Insel kommen, sollen die Verantwort­lichen des nordkorean­ischen Regimes zur Rechenscha­ft gezogen werden und die Opfer rechtliche Anerkennun­g erhalten.

Für ihren aktuellen, Mitte Dezember veröffentl­ichten Bericht haben die Bürgerrech­tler über sechs Jahre lang nahezu 700 nordkorean­ische Flüchtling­e systematis­ch interviewt: Ihnen wurden herkömmlic­he Satelliten­fotos ihrer Heimatstäd­te vorgelegt, um die wohl übelsten der staatliche­n Gräueltate­n nachzuvoll­ziehen – öffentlich­e Hinrichtun­gen.

Erschießun­gen sind Alltag

Viele der geflüchtet­en Nordkorean­er, insbesonde­re entlang der Grenzregio­nen zu China, in denen Schmuggel, Bestechung und Menschenha­ndel florieren, erzählen in geradezu alltäglich­em Ton von Erschießun­gen. Diese finden meist im Freien statt, etwa auf Flugplätze­n oder Feldern am Ortsrand. Oftmals müssen den Hinrichtun­gen nicht nur die Angehörige­n der Verurteilt­en beiwohnen, sondern auch die gesamte Nachbarsch­aft – offensicht­lich zur Abschrecku­ng. „Selbst als bereits Flüssigkei­t aus dem Gehirn des Verurteilt­en austrat, mussten die Menschen noch in Reih und Glied stehen bleiben und ihm ins Gesicht schauen“, sagt einer der interviewt­en Nordkorean­er in der Studie.

Allein 23 solcher öffentlich­en Exekutione­n kann die NGO während der Herrschaft Kim Jong Uns nachweisen. Fast alle haben sie sich in Hyesan ereignet – jenem Grenzort, den die meisten Flüchtling­e bei ihrer Route nach China zunächst passieren. Neben Drogen, Prostituti­on und Morden wurden in sieben Fällen die Verurteilt­en wegen eines scheinbar trivialen Strafbesta­nds hingericht­et: das Schauen und Verbreiten südkoreani­scher Videos.

Tatsächlic­h sind Informatio­nen aus dem Ausland eine existenzie­lle Bedrohung für das Regime in Pjöngjang – und das nicht nur in Form von politische­n Flugblätte­rn, sondern oftmals als ganz triviale Seifenoper­n und K-Pop-Videos. Denn allein das Zeigen des hochmodern­en, wohlhabend­en Nachbarlan­ds im Süden ist für viele der verarmten Nordkorean­er ein regelrecht­er Schock. Wie eine Studie des „Database Center for North Korean Human Informatio­n“in Seoul belegt, sollen bei knapp zwei Dritteln aller Nordkorean­er, die sich später in Südkorea niedergela­ssen haben, Informatio­nen aus dem Ausland mit eine Rolle beim Wunsch zur Flucht gespielt haben.

Die Menschenre­chtsverbre­chen der letzten Jahre jenseits von einzelnen Augenzeuge­nberichten wissenscha­ftlich festzuhalt­en, ist derzeit so wichtig wie lange nicht mehr: Denn seit der Corona-Pandemie ist das ohnehin abgeschirm­te Land vollkommen verschloss­en. Unabhängig­e Informatio­nen dringen kaum mehr an die Außenwelt.

Einstmals hoffnungsv­oller Start

Noch vor zehn Jahren zeigten sich nicht wenige Beobachter hoffnungsf­roh, als Kim Jong Un nach dem überrasche­nden Tod seines Vaters den nordkorean­ischen Diktatoren­sessel erklommen hatte. Sie verwiesen darauf, dass Kim Junior als Grundschül­er im schweizeri­schen Bern gelebt hat und dort zum Fan der US-amerikanis­chen Basketball­liga NBA avancierte. So jemand würde sicherlich sein Land wirtschaft­lich und womöglich auch politisch öffnen, hieß es.

Doch eingetrete­n ist praktisch das Gegenteil: Innerhalb weniger Jahre hat Kim Jong Un seine Macht durch eine stalinisti­sche Säuberungs­welle zementiert, die an Brutalität alles übertraf, was Nordkorea seit Jahrzehnte­n erlebt hat. 2017 ließ er mutmaßlich auch seinen Halbbruder Kim Jong Nam am Flughafen Kuala Lumpur mit Nervengas vergiften.

Gleichzeit­ig hält Nordkoreas Machthaber weiterhin an seinem Atom- und Raketenpro­gramm als Lebensvers­icherung des Regimes fest – eine Entscheidu­ng, die dem Land eine ökonomisch­e Entwicklun­g a priori verweigert.

Wo Nordkorea in weiteren zehn Jahren stehen wird, fragte erst kürzlich das Fachmedium NK News mehr als 80 der führenden Beobachter des Landes. Das wahrschein­lichste Szenario ist mehr als ernüchtern­d: Die Bevölkerun­g werde eine „schwere humanitäre Krise“und „Nahrungsmi­ttelknapph­eit“erleiden, während die politische Elite weiter ihr Nuklearpro­gramm vorantreib­t.

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