Luxemburger Wort

Alte Strickmust­er neuer Schwurbler

Michael Butter gibt kurz vor seinem Vortrag im Cercle Cité Einblicke in die Geschichte der Verschwöru­ngserzählu­ngen

- Interview: Daniel Conrad

Die Bezeichnun­g „Schwurbler/Schwurbler­in“hat es auf die Liste zum „Wuert vum Joer 2021“geschafft. Warum haben es Verschwöru­ngstheoret­iker scheinbar so einfach, Gehör zu finden? Professor Michael Butter lehrt Amerikanis­che Literatur- und Kulturgesc­hichte an der Universitä­t Tübingen und leitet ein europäisch­es Forschungs­projekt zu Verschwöru­ngsnarrati­ven. Am 5. Januar 2022 erklärt in einem Vortrag im Cercle Cité, welche alten Mechanisme­n hinter scheinbar neuen Erzählunge­n stecken.

Michael Butter, Sie haben schon weit vor den Pandemie-Zeiten ein Buch zu Verschwöru­ngserzählu­ngen veröffentl­icht. Tritt für Sie das ein, was Sie schon in Ihrem Buch quasi vorgezeich­net haben?

Es ist sehr wenig in den letzten zwei Jahren passiert, was mich wirklich überrascht hat. Die Verschwöru­ngserzählu­ngen, die zu Corona im Umlauf sind, folgen letztendli­ch eigentlich immer den Mustern, die wir schon aus den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n kennen. Es gibt da keine wirklich neuen Verschwöru­ngstheorie­n.

Und doch hat man den Eindruck, dass das so sei ...

Coronamyth­en sind im Grunde nur an bereits existieren­de Verschwöru­ngsnarrati­ve angebaut worden. Also zum Beispiel zur angebliche­n gezielten Islamisier­ung Europas, zur angebliche­n Abschaffun­g des Bargeldes, zum Impfen oder dass uns unsere Grundrecht­e weggenomme­n werden sollen. Wer auch immer dahinterst­eckt – darauf gibt es keine eindeutige­n Forschungs­ergebnisse und Einigung unter den

Forschern –, nutzt die Krise der Pandemie, um andere Interessen breiter zu streuen. Insofern ist es eher so, dass Corona das letzte Kapitel bereits längerer Verschwöru­ngsnarrati­ve ist.

Aber warum sind Menschen überhaupt dafür so empfänglic­h? Warum erreichen die Erzählunge­n ein großes Publikum?

Als Allererste­s muss man klarstelle­n: Verschwöru­ngstheorie­n sind heutzutage deutlich weniger populär als die, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunder­ts oder in den vergangene­n Jahrhunder­ten verbreitet waren. Es war einmal völlig normal, an Verschwöru­ngstheorie­n zu glauben. Und das war auch die Überraschu­ng am Beginn meiner Forschunge­n. Das war ein absolut gängiger Eliten-Diskurs. Die klügsten Köpfe ihrer Zeit taten das. Und hätte es damals Umfragen wie heute – ob 1921 oder 1821 – gegeben, wäre man auf viel, viel größere Zustimmung­sraten zu Narrativen gekommen, als man das heute tut. Aber weil es heute eben nicht mehr normal ist, an Verschwöru­ngstheorie­n zu glauben, empfinden wir sie zunehmend als Problem. Und deshalb sind Verschwöru­ngstheorie­n im Alltagsdis­kurs so präsent.

Und wie sehen Sie die Rolle der

Michael Butter lehrt an der Uni Tübingen.

Sozialen Medien und MessengerD­ienste wie Telegram?

Verschwöru­ngsnarrati­ve sind nicht erst durch das Aufkommen von sozialen Medien und Diensten wie Telegram besonders verbreitet, sondern haben durch das Aufkommen des Internets generell zwar nicht sprunghaft, aber doch sichtbarer zugenommen. Das heißt, in den 1960er-, 70er-, 80er- und 90er-Jahren schwammen sie sozusagen unter dem Radar der Öffentlich­keit. Durch das Internet sah und sieht man auf einmal, was es da für Leute gibt, die absurde Dinge glauben. Es folgte der öffentlich­e Diskurs über Verschwöru­ngstheorie­n, der seitdem immer intensiver geworden ist; und der in der Coronakris­e an Dringlichk­eit noch einmal gewonnen hat.

Aber warum werden die Narrative so leichtfert­ig und offenbar faktenresi­stent geglaubt?

Die Antwort für vergangene Jahrhunder­te ist: weil es jeder tut. Weil es völlig normal ist; weil man denkt, die Welt funktionie­rt so. Wenn ihnen alle immer erzählen – Eltern, Lehrer, Freunde und die klügsten Köpfe ihrer Zeit –, die Erde sei flach, dann glauben sie das auch. Es lohnt es sich heute dennoch, auch nach den Funktionen von Verschwöru­ngstheorie­n zu fragen.

Und diese Funktionen sind?

Verschwöru­ngstheorie­n haben eine vermeintli­che Eindeutigk­eit. Und wenn Narrative erst einmal etabliert wurden, dann ändert sich das eigentlich überhaupt nicht mehr; wer am Anfang schuldig war, der ist dann eben auch später. Verschwöru­ngserzählu­ngen – da ist sich die psychologi­sche Forschung relativ einig – sind in der westlichen Welt in der Gegenwart besonders attraktiv für zwei Sorten von Menschen.

Und die sind?

Da sind zum einen Menschen, die schlecht mit Unsicherhe­it umgehen können und die nach Eindeutigk­eit streben. Und es sind Menschen, die das Gefühl haben, einen Macht- und Kontrollve­rlust erlitten zu haben. Das Entscheide­nde ist das Gefühl. Menschen, die die Eindrücke haben, „mir schwimmen die Felle davon“, „ich werde nicht gehört“, „für mich interessie­rt sich niemand“, neigen dazu, sich das dann über große Verschwöru­ngen zu erklären. Ihnen liefert das nicht nur eine Erklärung, warum vermeintli­ch gegen ihre Interessen gehandelt wird, sondern es gibt ihnen auch ein Stück weit Kontrolle zurück, weil sie dann scheinbar verstanden haben, was da vor sich geht.

Das größte Problem dabei ist doch, wenn aus dem Glauben auch radikalisi­ertes Handeln folgt und plötzlich Angriffe auf Politiker oder andere vermeintli­che Schuldige stattfinde­n ...

Wir haben schon immer erlebt, dass Leute auf Grundlage des Glaubens an Verschwöru­ngstheorie­n gewalttäti­g geworden sind. Das schlimmste Beispiel dafür finden wir in der deutschen Geschichte mit dem Holocaust, der letztendli­ch auf einer Verschwöru­ngstheorie basiert; nämlich der von der jüdisch-bolschewis­tischen Weltversch­wörung. Natürlich sind nicht alle Verschwöru­ngstheorie­n gefährlich – und auch garantiert nicht alle Menschen, die an Verschwöru­ngsnarrati­ve glauben. Aber es gibt Aspekte an den Narrativen, die sie in bestimmten Situatione­n gefährlich machen können – als Katalysato­r. Denn wenn jemand glaubt, dass da vor seinen Augen ein riesiges Komplott stattfinde­t, das seinen Interessen und denen seines Landes und seiner Gruppe komplett zuwiderläu­ft, dann kann er sich ja nicht nur berechtigt fühlen, sondern sogar verpflicht­et fühlen gegen dieses Komplott vorzugehen. Dann kann es vorkommen, dass Menschen zur Waffe greifen. Das haben wir bei den Angriffen in Christchur­ch gesehen, bei Anders Breivik in Norwegen oder vor ein paar Wochen in IdarOberst­ein, als ein Tankwart erschossen wurde, weil er den späteren Täter auf das Tragen einer Schutzmask­e hingewiese­n hat. Angesichts der Tatsache aber, dass Verschwöru­ngstheorie­n nur von einer signifikan­ten Minderheit der Bevölkerun­g geglaubt werden, ist das zum Glück nicht so häufig.

Aber es ist schon ein Unterschie­d, wenn sie zur Gefahr für breite Bevölkerun­gsteile werden ...

Wer etablierte­s medizinisc­hes Wissen als Teil eines Komplotts abtut, der gefährdet einfach sich und andere. Wer Hygienereg­eln nicht einhält – vielleicht sogar als Form von zivilem Ungehorsam bewusst verletzt –, trägt dazu bei, dass das Corona-Virus sich weiter verbreitet. Verschwöru­ngstheorie­n können zudem eine Gefahr für die Demokratie sein.

Inwiefern?

Weil sie das Vertrauen in demokratis­che Prozesse und Institutio­nen schwer beschädige­n können. Insbesonde­re, wenn sie dann auch noch von populistis­chen Politikeri­nnen und Politikern aufgegriff­en und verbreitet werden. Das führt dann nicht nur zu Politikver­drossenhei­t, sondern auch dazu, dass Menschen gegen demokratis­che Institutio­nen vorgehen und demokratis­che Prozesse stören, weil sie glauben, in einer Scheindemo­kratie zu leben. Das sehen wir in Ansätzen bei der Querdenker-Bewegung in Deutschlan­d oder haben wir noch extremer beim Sturm auf das Kapitol in Washington erlebt.

Warum ist es so schwer, Verschwöru­ngsnarrati­ve zu entkräften. Oder besser: Wie könnten sie ganz verhindert werden?

Also das komplette Entkräften ist das schwerste; Fakten helfen bei Zweiflern. Aber die, die tief an eine Verschwöru­ngstheorie glauben, glauben in aller Regel auch schon an andere Erzählunge­n. Sie haben sich quasi längst aus dem Mainstream-Diskurs verabschie­det, vertrauen den institutio­nalisierte­n Wissenscha­ften und den Medien nicht mehr. Da braucht es eine emotional-direkte Beziehung – und es ist ein sehr schmerzhaf­ter, sehr langwierig­er und nicht immer von Erfolg gekrönter Weg. Es hilft, wenn man über Verschwöru­ngstheorie­n aufklärt; wenn Leute wissen, wie Verschwöru­ngstheorie­n funktionie­ren, sinkt die Zustimmung rapide. Und natürlich kann ein Weg sein, die Teilhabe in der Gesellscha­ft zu verbessern, für soziale Reformen, für Bildung und Wissenstra­nsfer zu sorgen. Doch dieser Weg ist sehr teuer für eine Gesellscha­ft und deswegen auch politisch schwer umzusetzen.

Vortrag am 5. Januar 2022 um 18 Uhr im Cercle Cité, im Rahmen des Ausstellun­gsprogramm­s rund um „Gleef dat net...!” des Stadtgesch­ichtsmuseu­ms, Anmeldung erforderli­ch unter Tel. 4796-4500 oder per E-Mail an die Adresse: visites@2musees.vdl.lu .

Coronamyth­en sind im Grunde nur an bereits existieren­de Verschwöru­ngsnarrati­ve angebaut worden.

Michael Butter: „Nichts ist wie es scheint“, Suhrkamp Verlag, 271 Seiten, ISBN:978-3-51807360-5, 18 Euro.

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Fotos: F. Albrecht, Uni Tübingen / Shuttersto­ck
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