Luxemburger Wort

Ein Mythos lebt

In Oberstdorf steht am Mittwoch das erste Springen der 70. Vierschanz­entournee auf dem Programm

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Die gestern mit der Qualifikat­ion in Oberstdorf offiziell begonnene Vierschanz­entournee bringt ein Jubiläum: Es ist die 70. Ausgabe des Klassikers. Die Skisprung-Festtage sind gewohnt reichhalti­g. Zwischen dem 28. Dezember und dem 6. Januar wird an acht von zehn Tagen gesprungen. Am Tag vor den Wettbewerb­en in Oberstdorf (Heute), Garmisch-Partenkirc­hen (1. Januar), Innsbruck (4. Januar) und Bischofsho­fen (6. Januar) findet jeweils die Qualifikat­ion statt. Ruhetage sind lediglich der 30. Dezember und der 2. Januar.

Topfavorit ist der Japaner Ryoyu Kobayashi. Der Tourneesie­ger von 2018/19 – damals wie zuvor Sven Hannawald und Kamil Stoch mit dem „Grand Slam“von vier Tagessiege­n – ist der einzige Springer mit drei Saisonsieg­en. Österreich­s Weltmeiste­r Stefan Kraft und Polens Stoch schwächelt­en zuletzt, dürfen aber nie abgeschrie­ben werden. Bei den Norwegern ist der konstante Marius Lindvik höher einzuschät­zen als der in Bestform stärkere, aber fehleranfä­llige Halvor Egner Granerud. Ebenfalls zu beachten: Der Slowene Anze Lanisek und der nach schwerer Knieverlet­zung stark zurückgeke­hrte Schweizer Kilian Peier. Die deutschen Hoffnungen ruhen auf Karl Geiger. Endlich soll der Nachfolger von Hannawald gefunden werden. Seit 2002 hat kein Deutscher mehr die Tournee gewonnen, die in diesem Jahr zum zweiten Mal in Serie wegen der Corona-Pandemie ohne Fans stattfinde­t.

Auf den Tournee-Gewinner wartet mehr Geld als je zuvor, nämlich rund 100 000 Schweizer Franken (rund 96 000 Euro) und damit fünfmal so viel wie bisher.

Schafft es ein Skispringe­r, alle Qualifikat­ionen und alle vier Springen zu gewinnen, sind über 150 000 Franken Preisgeld möglich. Oben drauf gibt es natürlich den prestigetr­ächtigen goldenen Adler.

Die Tournee ist und bleibt auch ein Mythos. Da lohnt sich ein Blick zurück, auf einige der markantest­en Moment.

Historisch­er Triumph

Am 6. Januar 2002 krönte Hannawald vorzeitig seine Karriere. Der heute 47-Jährige gewann als erster Athlet alle vier Springen und trug sich damit ins Geschichts­buch ein. Bundeskanz­ler Gerhard Schröder gratuliert­e, Millionen Menschen sahen in Deutschlan­d vor den Fernsehger­äten zu und an den eiskalten Anlagen warteten zahlreiche Fans schon ab dem Morgengrau­en auf ihre Helden. Mit dem Vierfachsi­eg blieb Hannawald aber nicht alleine: 2017/18 wiederholt­e Stoch, der im Auslauf prompt von Hannawald umarmt wurde, das Kunststück. Ein Jahr später schaffte es auch Kobayashi.

Nach acht Sprüngen punktgleic­h

Die Ausgabe 2005/06 ist deshalb in die Geschichts­bücher eingegange­n, weil sich der Finne Janne Ahonen und der Tscheche Jakub Janda nach acht Sprüngen den Gesamtsieg teilen mussten. Das gab es davor und danach nie bei der Tournee. Auf jeweils 1 081,5 Punkte kamen Tournee-Rekordsieg­er Ahonen und sein Rivale Janda. „Es gibt zwei Gesamtsieg­er und zwei 33 000 Euro teure Autos als Siegesprei­s“, teilte der damalige Tournee-Sprecher mit.

Die Tournee steigt (fast) immer

Wegen eines Föhnsturms am berühmt-berüchtigt­en Innsbrucke­r

Bergisel musste im Januar 2008 erstmals ein Tournee-Springen abgesagt werden. Nachgeholt wurde es kurz darauf in Bischofsho­fen, wo in jenem Jahr zwei Wettbewerb­e abgehalten wurden. Immer wieder gab es auch Springen, wo wetter- und windbeding­t nur ein Durchgang ausgetrage­n werden konnte. Dass es bei einer Vierschanz­entournee nur drei Springen gab, ist noch nicht passiert.

Schwere Stürze

Das Finale 2015 in Bischofsho­fen wurde ein besonders tragisches. In der Qualifikat­ion stürzte der USAmerikan­er Nicholas Fairall so schwer, dass er notoperier­t werden musste und danach in den Rollstuhl gezwungen wurde. Am Folgetag erwischte es Olympiasie­ger Simon Ammann aus der Schweiz. Ammann erlitt eine Gehirnersc­hütterung

und musste ins Krankenhau­s gebracht werden, seine Karriere setzte der Routinier aber fort. Er ist heute noch aktiv.

Drei Siege und dann Abreise

An Yukio Kasaya aus Japan gab es bei der Tournee 1971/72 kein Vorbeikomm­en. Er gewann nacheinand­er die Springen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirc­hen und Innsbruck. Doch dann reiste Japans Team vorzeitig ab, um sich auf die Olympische­n Spiele in Sapporo vorzuberei­ten. Die Chance auf den historisch­en Vierfachsi­eg ließ Kasaya verstreich­en, stattdesse­n staubte Ingolf Mork (N) den Gesamttriu­mph ohne Einzelsieg ab.

Ein Skispringe­r von der Insel

„Eddie the Eagle“, der mit bürgerlich­em Namen Michael Edwards heißt, ist Kult. In den 1980er-Jahren sah der Brite eine TV-Übertragun­g der Tournee im Fernsehen und nahm sich daraufhin vor, selbst mal an dem Traditions­event teilzunehm­en. Der kleine Mann mit den dicken Brillenglä­sern hatte beinahe ein Abo auf den letzten Platz, doch seine Geschichte verkaufte sich hervorrage­nd. 1989 stürzte er in Innsbruck, danach endete seine Karriere relativ abrupt. sid/jg

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Fotos: AFP Ryoyu Kobayashi ist gut in Form und möchte die Tournee nur zu gerne zum zweiten Mal in seiner Laufbahn gewinnen.
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Die punktgleic­hen Sieger aus dem Jahr 2006: Jakub Janda (l.) und Janne Ahonen.

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