Luxemburger Wort

Das Glaskugelp­rinzip

Vielleicht wird 2022 das Jahr von Olaf Scholz – vielleicht aber auch nicht

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Das halbe Berliner Regierungs­viertel gibt Olaf Scholz Zeit bis zum 15. Mai. Die andere Hälfte sagt entweder, dann sei es vielleicht schon zu spät, der entscheide­nde Tag sei bereits der 8. Mai oder sogar der 27. März. Oder sie sagt, das alles sei Quatsch. Unfug – und zwar hanebüchen­er.

Was Scholz sagt, ist nicht bekannt. Wenn überhaupt, dann äußert er sich zu der Frage, wann es eng werden könnte für ihn als selbst ernannter Fortschrit­tsKanzler, ob überhaupt schon in diesem Jahr und falls ja, ob die ersten drei der vier Landtagswa­hlen damit etwas zu tun haben könnten, allenfalls im sehr kleinen Kreis.

Den deutschen Auguren – in Politik, Medien und am Stammtisch – ist Scholzens Einschätzu­ng der möglichen künftigen Lagen selbstvers­tändlich egal. Sie starren in virtuelle oder gar vollkommen imaginäre Glaskugeln und tun, als könnten sie nach noch nicht einmal einem Monat Kanzlersch­aft und Ampelei nicht nur alles Mögliche sehen – sondern sogar beschreibe­n.

Seriös aber sind allein die blanken Fakten. Auch 2022 haben die deutschen Wählerinne­n und Wähler zu tun. Neue Landtage sind im Saarland (27. März), in Schleswig-Holstein und NRW (8. und 15. Mai) und in Niedersach­sen (9. Oktober) zusammenzu­stellen. Schon am 13. Februar bestimmt außerdem die Bundesvers­ammlung – bestehend aus Bundestag und einer exakt gleich großen Anzahl von den Ländern nominierte­n Wahlleuten – den nächsten Bundespräs­identen. Der durchaus für weitere fünf Jahre Frank-Walter Steinmeier heißen kann. SPD und FDP unterstütz­en ihn, die Grünen zieren sich noch. Der designiert­e nächste CDUVorsitz­ende Friedrich Merz plappert von einer eigenen Kandidatin. Betonung auf -in. Und pampert damit seinen Ruf als Vorgestrig­er. Denn auch bislang wurden in Deutschlan­d Frauen als Staatsober­haupt nur dann nominiert, wenn sie ganz sicher keine Chance hatten, gewählt zu werden.

Apropos Merz: Erstaunlic­herweise räsoniert das Regierungs­viertel noch kein bisschen darüber, was es für ihn heißen wird, sollten sich die aktuellen Umfragen bei den Landtagswa­hlen in Ergebnisse verwandeln. Dann nämlich würde die CDU im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW aus der Regierung fliegen. Und die jungen Ministerpr­äsidenten Tobias Hans, Daniel Günther und Hendrik Wüst müssten auf Opposition­schef umsatteln. In Niedersach­sen hat Stefan Weil, nicht mehr so jung, den SPD-Vorsprung auf aktuell zwölf Prozent ausgebaut – 2017 waren es 3,3.

Und was hat Olaf Scholz damit zu tun? Was die Wahlen mit ihm? Der Mann regiert schließlic­h die ganze Republik. Eben. Und dann: Scholz beginnt ja gerade erst. Und ist nach nicht einmal einem Monat G7-Chef geworden. Was ihm im Sommer die große GipfelShow vor Alpenkulis­se auf Schloss Elmau bescheren wird. Vielleicht sehen Deutschlan­d und die Welt dann schon ein bisschen klar. Oder auch nur um die Glaskugel herum.

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Foto: dpa Kanzler Olaf Scholz (SPD) trat am 6. Dezember die Nachfolge von Angela Merkel an.

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