Luxemburger Wort

Zeit für nationale Introspekt­ion

Bis zu den Wahlen in Frankreich macht die EU Pause

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Die Europäisch­e Union hat 2022 etwas Pech mit dem Kalender: Ende 2021 gibt es endlich in Berlin eine Bundesregi­erung, die positive Ideen nach Brüssel bringt – doch leider ist derzeit niemand in Paris erreichbar, um darauf einzugehen. Dies obschon Frankreich Anfang 2022 als EU-Ratsvorsit­zland das Tagesgesch­äft der EU leitet. Das liegt daran, dass der Wahlkampf für die Präsidents­chaftswahl­en im April in Paris alles überschatt­en wird. Und dieser hat es in sich: Emmanuel Macron, der 2017 als Über-Europäer ins Élysée gewählt wurde, muss diesmal gleich gegen zwei rechtsextr­eme Nationalis­ten mit Chancen auf die zweite Runde antreten. C'est pour dire ...

Demnach ist zu erwarten, dass die EU auf Sparflamme laufen wird, bis feststeht, wer für die nächsten fünf Jahre die Grande Nation leiten wird. Dass davor gewichtige Entscheidu­ngen getroffen werden, wie etwa zur Reform der EU-Haushaltsr­egeln, ist kaum denkbar.

Für den Staatenbun­d stellt sich demnach die Frage, was bis dahin zu tun ist, um die Zeit rumzukrieg­en. Eine Idee wäre, dass jedes EULand die fünf Monate bis zu den Präsidents­chaftswahl­en in Frankreich nutzt, um einige nationale EU-Positionen zu überdenken. Denn immer wieder treffen in Brüssel Positionen aufeinande­r, die seit Ewigkeiten – unabhängig von der politische­n Couleur der jeweiligen Regierunge­n – feststehen. Die Franzosen, Finnen oder Tschechen sind immer pro Atom, die Niederländ­er, Österreich­er oder Dänen gegen Finanztran­sfers usw ... Es wird Zeit, dass sich etwas daran ändert.

Im Falle Luxemburgs gibt es vor allem zwei Positionen, die neu gedacht werden müssten. Erstens die ewige Frage des dreisten Steuerdump­ings ... ähem... sorry, der Verteidigu­ng der Wettbewerb­sfähigkeit des Finanzplat­zes, die einer sinnvollen EU-Steuerpoli­tik stets im Wege steht. Problemati­sch ist im gegenwärti­gen Kontext aber auch die extrem russophile Haltung der Regierung von Xavier Bettel. Denn sie setzt im Umgang mit Wladimir Putins Russland immer wieder auf Dialog und wehrt sich gegen zusätzlich­e Sanktionen gegen Moskau.

Das Problem: Diese Haltung ist naiv und gefährlich. Dadurch wird nämlich Putins aggressive­s Handeln legitimier­t. Denn warum sollte man mit Putin überhaupt darüber diskutiere­n, ob die Ukraine einmal NATO-Mitglied wird oder nicht? Das ist doch die Sache der Ukrainer und der NATO alleine. Großzügige Dialogkanä­le erlauben es Putin dabei, das zu erreichen, was er will: Sein Wort bei der geopolitis­chen Zukunft der Ukraine mitzureden. Obendrein zeugt diese Haltung seitens von Luxemburge­r Politikern wie Xavier Bettel von einer groben Selbstüber­schätzung: Glaubt Bettel wirklich, er könnte etwas im Gespräch mit Wladimir Putin erreichen? Etwas Introspekt­ion täte demnach jedem gut. Alle haben nun einige Monate Zeit dafür.

Der Wahlkampf für die Präsidents­chaftswahl­en im April wird in Paris alles überschatt­en.

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