Jahr der Weichenstellungen
Die USA stehen vor riesigen Herausforderungen
2022 zeichnet sich als Jahr der Weichenstellungen in den USA ab. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als die Zukunft der Demokratie in Amerika selbst. Daran erinnert am 6. Januar der Jahrestag des Sturms auf den US-Kongress, mit dem radikalisierte Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump die Zertifizierung des Wahlsiegs von Joe Biden gewaltsam zu verhindern versuchten.
Während sich die Republikaner der Aufarbeitung der Ereignisse verweigern und Trump auf Zeit spielt, könnte eine neue Mehrheit im Kongress bei den Zwischenwahlen im November 2022 die Arbeit des damit beauftragten Komitees vorzeitig beenden. Gleichzeitig haben es republikanische Bundesstaaten schwerer gemacht, wählen zu gehen. Integre Wahlaufseher sind vielerorts durch Loyalisten des Ex-Präsidenten ersetzt worden.
Beim nächsten Mal – vielleicht schon bei diesen Midterms – haben schlechte Verlierer bessere Chancen denn je, mit (falschen) Behauptungen über Wahlmanipulationen durchzukommen. Trump jedenfalls tut alles, seine „große Lüge“von den gestohlenen Wahlen weiterzuverbreiten. Und findet dabei willige Helfer und mehr als genug parteiische Gläubige.
Die bilden übrigens auch den harten Kern der Corona-Leugner und Masken-Gegnern in den USA, die durch ihre Weigerung, sich impfen zu lassen, mit dafür gesorgt haben, dass der Übergang ins neue Jahr durch eine neue Welle der Pandemie begleitet wird. Der Erreger wirkt wie ein Katalysator, der drastisch vor Augen führt, welche Konsequenzen Verschwörungstheorien, Lügen und magischer Glaube in der realen Welt haben.
Da die neue Omikron-Variante hochinfektiös ist, bestehen gute Chancen, dass sich viele der bisher Ungeimpften anstecken und auf diese Art eine Herdenimmunität entsteht. Verbunden mit Booster-Impfungen
und wirksamen Medikamenten gegen Covid-19 könnte – trotz allem – 2022 das Jahr werden, an dem die Pandemie „endemisch“und damit überwunden wird.
Parallel zu den Herausforderungen der Demokratie im Inneren wachsen in den Außenbeziehungen die Spannungen mit dem zunehmend autokratischen China. Ein diplomatischer Boykott der Olympischen Winterspiele durch die USA ist bloß das letzte Signal. Ärger gibt es um Taiwan und die südchinesische See, den Handel und den Schutz geistigen Eigentums. Es wird einiges Fingerspitzengefühl dazugehören, die strategische Konkurrenz 2022 nicht zu handfesten Konflikten werden zu lassen.
Im Zentrum von all dem steht US-Präsident Joe Biden, der mit viel Vorschusslorbeeren und hohen Erwartungen im vergangenen Januar ins Amt gestartet war. Ein Jahr später hat sich das bei vielen Amerikanern in Enttäuschung verwandelt. Dank innerparteilicher Widersacher musste der Präsident seine ehrgeizige Reformagenda massiv zurückstutzen. Und die Spaltung der US-Gesellschaft bleibt so tief wie zuvor, von Heilung keine Spur.
Wenn Biden das Ruder nicht herumreißen kann, wird 2022 das vermutlich letzte Jahr sein, in dem die Demokraten eine hauchdünne Mehrheit im Kongress haben. Die Midterms drohen den Präsidenten zu einer „lahmen Ente“zu machen, die quaken, aber nicht mehr regieren kann. Sehr zur Freude der Republikaner, die darauf hinarbeiten, zwei Jahre später das Weiße Haus zurückzuerobern. Eine Rückkehr Trumps wäre dann nicht mehr ausgeschlossen.
2022 steht die Zukunft der Demokratie in Amerika auf dem Spiel.