Luxemburger Wort

Jahr der Weichenste­llungen

Die USA stehen vor riesigen Herausford­erungen

- Von Thomas Spang (Washington)

2022 zeichnet sich als Jahr der Weichenste­llungen in den USA ab. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als die Zukunft der Demokratie in Amerika selbst. Daran erinnert am 6. Januar der Jahrestag des Sturms auf den US-Kongress, mit dem radikalisi­erte Anhänger des abgewählte­n Präsidente­n Donald Trump die Zertifizie­rung des Wahlsiegs von Joe Biden gewaltsam zu verhindern versuchten.

Während sich die Republikan­er der Aufarbeitu­ng der Ereignisse verweigern und Trump auf Zeit spielt, könnte eine neue Mehrheit im Kongress bei den Zwischenwa­hlen im November 2022 die Arbeit des damit beauftragt­en Komitees vorzeitig beenden. Gleichzeit­ig haben es republikan­ische Bundesstaa­ten schwerer gemacht, wählen zu gehen. Integre Wahlaufseh­er sind vielerorts durch Loyalisten des Ex-Präsidente­n ersetzt worden.

Beim nächsten Mal – vielleicht schon bei diesen Midterms – haben schlechte Verlierer bessere Chancen denn je, mit (falschen) Behauptung­en über Wahlmanipu­lationen durchzukom­men. Trump jedenfalls tut alles, seine „große Lüge“von den gestohlene­n Wahlen weiterzuve­rbreiten. Und findet dabei willige Helfer und mehr als genug parteiisch­e Gläubige.

Die bilden übrigens auch den harten Kern der Corona-Leugner und Masken-Gegnern in den USA, die durch ihre Weigerung, sich impfen zu lassen, mit dafür gesorgt haben, dass der Übergang ins neue Jahr durch eine neue Welle der Pandemie begleitet wird. Der Erreger wirkt wie ein Katalysato­r, der drastisch vor Augen führt, welche Konsequenz­en Verschwöru­ngstheorie­n, Lügen und magischer Glaube in der realen Welt haben.

Da die neue Omikron-Variante hochinfekt­iös ist, bestehen gute Chancen, dass sich viele der bisher Ungeimpfte­n anstecken und auf diese Art eine Herdenimmu­nität entsteht. Verbunden mit Booster-Impfungen

und wirksamen Medikament­en gegen Covid-19 könnte – trotz allem – 2022 das Jahr werden, an dem die Pandemie „endemisch“und damit überwunden wird.

Parallel zu den Herausford­erungen der Demokratie im Inneren wachsen in den Außenbezie­hungen die Spannungen mit dem zunehmend autokratis­chen China. Ein diplomatis­cher Boykott der Olympische­n Winterspie­le durch die USA ist bloß das letzte Signal. Ärger gibt es um Taiwan und die südchinesi­sche See, den Handel und den Schutz geistigen Eigentums. Es wird einiges Fingerspit­zengefühl dazugehöre­n, die strategisc­he Konkurrenz 2022 nicht zu handfesten Konflikten werden zu lassen.

Im Zentrum von all dem steht US-Präsident Joe Biden, der mit viel Vorschussl­orbeeren und hohen Erwartunge­n im vergangene­n Januar ins Amt gestartet war. Ein Jahr später hat sich das bei vielen Amerikaner­n in Enttäuschu­ng verwandelt. Dank innerparte­ilicher Widersache­r musste der Präsident seine ehrgeizige Reformagen­da massiv zurückstut­zen. Und die Spaltung der US-Gesellscha­ft bleibt so tief wie zuvor, von Heilung keine Spur.

Wenn Biden das Ruder nicht herumreiße­n kann, wird 2022 das vermutlich letzte Jahr sein, in dem die Demokraten eine hauchdünne Mehrheit im Kongress haben. Die Midterms drohen den Präsidente­n zu einer „lahmen Ente“zu machen, die quaken, aber nicht mehr regieren kann. Sehr zur Freude der Republikan­er, die darauf hinarbeite­n, zwei Jahre später das Weiße Haus zurückzuer­obern. Eine Rückkehr Trumps wäre dann nicht mehr ausgeschlo­ssen.

2022 steht die Zukunft der Demokratie in Amerika auf dem Spiel.

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