Luxemburger Wort

Das Friedenspr­ojekt wird auf einmal greifbar

Vor genau 20 Jahren konnten die Luxemburge­r zum ersten Mal mit Euro-Münzen und Banknoten zahlen

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Europa nach jedem Griff in die Hosenoder Brieftasch­e fühlen können. Am 1. Januar 2002 – vor genau 20 Jahren – war es so weit: Zum ersten Mal durfte man mit EuroMünzen und Banknoten bezahlen. Die Luxemburge­r Franken sollten bald Vergangenh­eit sein, die europäisch­e Zukunft stand vor der Tür. Und die Einführung des Euro als Bargeld war das konkretest­e Symbol dafür.

„Der Euro ist mehr als eine Währung. Es ist ein Symbol für Frieden, Freiheit und Stabilität“, sagt etwa Luc Frieden (CSV), der damals als Budgetmini­ster dafür zuständig war, die Einführung des Euro als Bargeld in Luxemburg zu organisier­en. „Der Euro – ähnlich wie Schengen – ist konkretes Europa.“

„Der Euro macht die EU greifbar“, sagt auch Anna-Lena Högenauer, EU-Expertin an der Universitä­t Luxemburg. „Die EU erlässt zwar viele Gesetze, von denen Bürger profitiere­n können, aber für den Normal-Bürger ist es oft schwer zu erkennen, wer genau für Regeln verantwort­lich ist. Der Euro ist im Gegensatz dazu ein Symbol, das jeder in der Tasche tragen kann, und das nebenbei den Grenzverke­hr und das Reisen innerhalb der Eurozone erleichter­t.“

Doch war das von vorneherei­n so klar? Welche Stimmung überwog Ende 2001 in der Bevölkerun­g als es galt, die geliebten Franken für eine unbekannte, neue Währung aufzugeben?

Luc Frieden erinnert sich: „Skepsis würde ich es nicht nennen, das ist zu stark und zu negativ – aber es gab durchaus viele Fragen und auch etwas Sorgen.“So hätten einige Leute Angst davor gehabt, bei den neuen Preisangab­en über den Tisch gezogen zu werden, sagt der heutige Chef der luxemburgi­schen Handelskam­mer – andere wollten sicher sein, dass am 1. Januar etwas aus dem Geldautoma­ten käme. „Meine Aufgabe war es aber, die Leute zu informiere­n und zu beruhigen.“

Rationale Argumente

Interessan­terweise waren die meisten dieser Sorgen praktische­r Natur, erinnert sich Luc Frieden. Die großen politphilo­sophischen Ängste vor dem Souveränit­ätsverlust – immerhin gaben die Luxemburge­r am 1. Januar 2002 ihr Recht ab, Münzen zu prägen – gab es wenig: „Das hat wohl damit zu tun, dass die Luxemburge­r damals schon zusammen mit Belgien in einer Währungsun­ion lebten“, so Frieden. „Und die Luxemburge­r waren es gewohnt, ausländisc­he Währungen in den Händen zu halten.“Das Aufgeben einer Währung, mit der man ein Leben lang bezahlte und sparte, sei dennoch auch für die Luxemburge­r „eine große Änderung“gewesen, so der CSV-Politiker rückblicke­nd.

Um eine sentimenta­le Brücke zwischen Alt und Neu zu bauen, gab es auf den Euro-Münzen auch sofort nationale Motive, so Frieden. Im luxemburgi­schen Fall das Antlitz des Großherzog­s. „Die Botschaft dahinter ist: Diese Münzen gehören auch den

Die Informatio­nskampagne, die die damalige Regierung bereits 1999 – als der Euro als Buchgeld eingeführt wird – anlaufen lässt, führt Luc Frieden quer durch das ganze Land. Um die Akzeptanz des Euro zu stärken und die Sorgen mancher Bürger zu zerstreuen, versucht die Kampagne klarzustel­len, warum die Euro-Einführung rein rechnerisc­h sinnvoll ist. „Die Hauptvorte­ile, die ich damals bei Bürgervers­ammlungen regelmäßig aufzählte, waren folgende“, erinnert sich Lux Frieden: „Durch den Euro wird es leichter sein zu vergleiche­n, was eine Hose in Trier, Thionville oder Luxemburg kostet. Obendrein wird es künftig keine Wechselkur­sschwankun­gen mehr geben und auch keine spontanen Abwertunge­n des Francs, wie die Belgier es einmal gemacht hatten.“Der Slogan: „Den Euro: einfach, staark!“, sollte all diese Argumente knapp zusammenfa­ssen.

Die Herausford­erung dabei war, jeden und jede zu erreichen. Um dies sicherzust­ellen, arbeitet die Regierung mit Gewerkscha­ften, NGOs und Vereinen zusammen, die die Informatio­nen dann durchsicke­rn lassen. „Amiperas, Konsumente­nschutz, Gewerkscha­ften – alle machten mit“, erinnert sich Frieden. „Es war auch ein tolles Projekt zum Kommunizie­ren: Es war etwas Positives, was es umzusetzen galt. Viele wollten eine Hand anpacken.“

Für Luc Frieden ist die Kampagne rückblicke­nd ein Totalerfol­g gewesen: Das pädagogisc­he Material,

Luxemburge­rn.“

wie etwa der spezielle Taschenrec­hner, um die Preise von Euro auf Franken umzurechne­n, werden von jedem Haushalt dankend angenommen, am 1. Januar 2002 tauchen „keinerlei größeren Probleme auf“und die Luxemburge­r stellen sich sehr schnell auf den Wechsel ein: „Wir hatten eine Übergangsz­eit von zwei Monaten eingerechn­et, während der man in Geschäften mit den zwei Währungen zahlen konnte und dann das Wechselgel­d in Euro bekommt, doch es stellte sich heraus, dass nur wenige Wochen Übergang genug gewesen wären.“

Der Euro bleibt umstritten

Ob der Euro 20 Jahre danach genauso ein Erfolg war, wie die Einführung­skampagne, bleibt dagegen eine offene Debatte. Für Luc Frieden hat der Euro „ganz klar“seine Verspreche­n gehalten: „Emotional hat der Euro seinen Zweck erfüllt“, sagt der ehemalige Luxemburge­r Euro- und Finanzmini­ster. „Es macht Sinn, innerhalb eines Binnenmark­ts eine gemeinsame Währung zu haben“, sagt er, „und besonders die Luxemburge­r, die in einem derartig kleinen Land leben, in dem die meisten Produkte importiert werden, wissen das auch.“„In den Köpfen und Herzen ist der Euro angekommen“, so Luc Frieden.

Diese Ansicht wird auch von Meinungsum­fragen bekräftigt, erklärt Anna-Lena Högenauer von der Universitä­t Luxemburg. „Die Bevölkerun­g der Eurozone ist heute mit überwältig­ender Mehrheit für den Euro und die Wirtschaft­sund

Währungsun­ion. In einer Eurobarome­ter-Umfrage vom März 2021 waren 80 Prozent der Befragen der Meinung, der Euro sei gut für die EU. Das waren Bestwerte seit der Einführung des Euro.“

Realitätsl­ose Banknoten

„Allerdings hat der Euro auch Schattense­iten“, meint Högenauer weiter. Um wirklich auf Dauer funktionsf­ähig zu sein, müsste der Euroraum viel integriert­er sein, meint die Expertin: „Im Idealfall sollten wirtschaft­liche Schocks sich ähnlich auf alle Regionen auswirken – also symmetrisc­h sein. Außerdem sollte der Arbeitsmar­kt gut integriert sein, und finanziell­e Transfers zwischen den Regionen sollten bei asymmetris­chen Schocks für stabilisie­renden Ausgleich sorgen. In der EU sind solche Transfers eigentlich nicht vorgesehen, und der Arbeitsmar­kt ist auch nicht integriert genug, weil Kultur und Sprache höhere Barrieren darstellen als beispielsw­eise in den Vereinigte­n Staaten“, erklärt sie. „Durch die Einführung des Euro wurde der ganzen Zone aber ein einheitlic­hes Korsett an Regeln übergestül­pt und das funktionie­rt nicht überall gleich gut“, meint die Forscherin weiter. „Griechenla­nd hätte möglicherw­eise auch ohne den Euro eine Schuldenkr­ise gehabt, aber die Regierung hätte mit einer eigenen Währung ganz andere Möglichkei­ten gehabt. Den erbitterte­n Streit zwischen Griechenla­nd und der EU hätte es ohne die Währungsun­ion nicht in dieser Form gegeben.“

Wie dem auch sei: Der Euro ist da, um zu bleiben. Nicht umsonst will die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) die Euro-Banknoten mit neuem Design versehen. 20 Jahre nach der Einführung des Euro-Bargeldes stößt die EZB einen Prozess zur Neugestalt­ung an – eine Entscheidu­ng ist 2024 geplant.

Der Prozess ist insofern brisant, als das Design der Euro-Banknoten auch seit jeher kontrovers ist. Auf allen Banknoten ist nämlich eine Epoche der europäisch­en Kulturgesc­hichte abgebildet – von der Klassik bis hin zu den modernen Bauten der Gegenwart. Die Bauwerke auf den Geldschein­en sind allerdings Fantasiepr­odukte und existieren in Wirklichke­it nicht.

Diese Tatsache wird von manchen Kritikern aufgegriff­en, um die schwache, mutlose oder abstrakte europäisch­e Identität zu bemängeln. Die Entscheidu­ng von 2024 böte demnach die Möglichkei­t, dem europäisch­en kollektive­n Bewusstsei­n konkretere Bilder zu geben, indem etwa real existieren­de Gebäude, Brücken oder Persönlich­keiten auf die Scheine kommen.

Für Luc Frieden ist das allerdings nicht notwendig: „Die Brücken – auch wenn es sie in der Realität nicht gibt – sind ein schönes Symbol“, sagt er. Und auch AnnaLena Högenauer ist nicht davon überzeugt, dass neue, reale Bilder die Probleme der Eurozone lösen werden. Im Gegenteil: „Das Risiko bei Persönlich­keiten ist, dass man nicht alle Länder einbinden kann. Das könnte zu Rivalitäte­n zwischen den Ländern führen.“

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Foto: LW Archiv Am 1. Januar 2002 hieß es: Bye bye Luxemburge­r Franken.
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