Erfolgsstory mit langem Anlauf
20 Jahre nach Einführung des Euro-Bargelds zieht Yves Mersch Bilanz
Nach 20 Jahren kann sich kaum noch jemand in Luxemburg vorstellen, mit einer anderen Währung als dem Euro zu bezahlen. Als Unterhändler bei den Maastrichter Verträgen und als langjähriges Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank hat Yves Mersch die Entwicklung der gemeinsamen Währung von Beginn an mitgeprägt. Ein Gespräch über eine Erfolgsgeschichte mit Anlaufschwierigkeiten.
Yves Mersch, können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal von der Idee einer gemeinsamen europäischen Währung gehört haben?
Das war im Studium in Paris. Damals hat unser Professor in Volkswirtschaft, Raymond Barre, über eine gemeinsame Währung gesprochen und natürlich auch über den Werner-Plan. Als ich dann zurückkam und anfing, im Finanzministerium zu arbeiten, war ich als junger Angestellter der Kofferträger des Finanzministers. In diesem Rahmen haben wir uns häufig die Wochenenden um die Ohren geschlagen, wenn es darum ging, Wechselkursanpassungen im europäischen Währungssystem vorzunehmen.
Nach dem frühen Vorstoß mit dem Werner Plan 1970 wurde es in den 1980er Jahren zunächst ruhig um die Idee einer gemeinsamen europäischen Währung. Wie kam dann wieder neuer Schwung auf?
Zunächst wurde das internationale Währungssystem, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorgeherrscht hatte, in den 70er Jahren außer Kraft gesetzt. Vorher
waren die Währungen an den Dollar gekoppelt. Plötzlich hatte man starke Wechselkursschwankungen. Die europäischen Volkswirtschaften reagierten sehr unterschiedlich auf diese externen Schocks, so dass zunächst an eine gemeinsame Währung nicht mehr zu denken war. Es zeigte sich aber, dass die Wechselkursschwankungen die gemeinsame Agrarpolitik in Frage stellte, die auf festen Kursen aufgebaut war. Das verstärkte das Interesse Frankreichs an einer gemeinsamen Währung. Und auch Deutschland war als Exportland an festen Wechselkursen innerhalb Europas gelegen. Auf dem EU-Gipfel 1988 in Hannover wurde dann beschlossen, in die Richtung einer gemeinsamen Währung zu gehen und die Delors-Gruppe wurde einberufen, um konkrete Schritte hin zu einer Wirtschaftsund Währungsunion zu erarbeiten. Das mündete dann schließlich in die Maastrichter Verträge.
Sie waren an den Verhandlungen zu den Maastrichter Verträgen beteiligt. Was war Ihre Rolle dabei?
Die Verhandlungen zu der Wirtschafts- und Währungsunion wurden von den Finanzministern der Länder geführt. Jeder Finanzminister entsandte einen Vertreter. In dieser Gruppe wurden dann die Details verhandelt. Ich war der Abgesandte von JeanClaude Juncker. Diese Gruppe der Stellvertreter hat sich einmal in der Woche gesehen. Nach den Diskussionen haben wir alle Vorschläge auf den Tisch gelegt; und wenn diese nicht allzu weit auseinander lagen, kamen sie in die Fortschrittsberichte an die Minister. Im ersten Halbjahr 1991 hatte Luxemburg den Vorsitz in der Runde der europäischen Finanzminister. Meine Herangehensweise an die Verhandlungen war, mit den einfachsten Sachen zu beginnen, bei denen das Einverständnis schon relativ groß war, um einen möglichst breiten Sockel zu haben und auch eine Dynamik herzustellen, auf der wir dann bereits sagen konnten: „Wir haben schon einen gewissen Stand erreicht. Wir können jetzt nicht mehr zurück.“
Draghi wusste selbst, dass das nicht stimmte, was er gesagt hat. „Whatever it takes“hat auch seine Grenzen.
Es gab ja zwischen den Ländern sehr unterschiedliche Vorstellungen zur Geldpolitik. Was war damals Luxemburgs Position in der Diskussion?
gegangen, um ihn Pierre Werner zu zeigen. Ich werde nie vergessen, wie ihm die Tränen über die Wangen gelaufen sind.
Sie waren von Anfang an eng in die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank eingebunden. Was waren in den ersten Jahren die wirtschaftlichen Effekte der neuen Währung?
Wir waren von Beginn an sehr darauf bedacht zu zeigen, dass der Euro eine starke Währung ist und haben daher sehr auf die Entwicklung der Inflation geachtet. Andererseits bestand die Gefahr, dass ein zu starker Euro den Export abwürgt. In dieser Hinsicht hat uns geholfen, dass Deutschland noch immer ein wenig mit den Belastungen der Wiedervereinigung zu kämpfen hatte. Das sorgte dafür, dass der Euro nicht zu stark wurde. Daneben haben wir zu der
Zeit von der Globalisierung der Wirtschaft profitiert, die die Preise nach unten gedrückt hat. Der internationale Handel hat geblüht und die nicht zu starke Währung hat den Export auch in Europa angetrieben. Außerdem hat durch den Euro auch der innereuropäische Handel sehr stark zugenommen.
Die erste Bewährungsprobe kam dann nach 2008 als sich aus einer Finanzkrise die Eurokrise entwickelt hat. Einige Beobachter sahen auch Konstruktionsfehler des Euro als Ursache der Krise. War Ihnen im Vorfeld bewusst, dass es solche Schwachstellen im Euro-System geben könnte?
Wenn Sie damit die unzureichende Fiskalunion ansprechen, war das natürlich schon ein Thema bei den Verhandlungen. Wir waren uns allerdings bewusst, dass wir auf dem Weg nicht weiter vorankommen könnten und haben deshalb auf den Druck der Märkte gesetzt, um die Verschuldung in Grenzen zu halten. Während der 2000er Jahre war es verheerend, dass sowohl Deutschland als auch Frankreich die Kommission überstimmt haben, und das Defizitverfahren gegen sie nicht weitergeführt wurde. Das hat den Finanzmärkten dann gezeigt, dass hier eine Schwachstelle des Euro sein könnte und das Ganze wieder auseinanderbrechen könnte, wenn sich die gemeinschaftliche Verantwortung nicht auf die Fiskalpolitik übertragen würde. Und das ist dann in Extremfällen soweit gekommen wie bei Griechenland. Aber dann wiederum hat man auch gesehen, wie viel politisches Kapital in diese gemeinschaftliche Währung investiert worden war.
Als 2008 Lehman Brothers pleite gegangen ist, hatten sie direkt die Befürchtung, dass eine Finanzkrise in eine Euro-Krise münden könnte?
Ich kann mich noch sehr gut an ein Treffen mit einem Vertreter des Internationalen Währungsfonds zu dieser Zeit erinnern. Ich habe ihm damals schon gesagt, die größte Gefahr ist, dass sich nach Griechenland auch Irland, Portugal, Spanien und dann Italien anstecken und dann packen wir es nicht mehr. Diese Erkenntnis hatten wir schon sehr früh. Verschiedene Volkswirtschaften hatten während der 2000er Jahre nicht die Anstrengungen unternommen, die notwendig gewesen wären.
Als dann die Krise kam, hatten sie keinerlei Spielraum. Das machte drastische Anpassungen notwendig, die dann von vielen als Austerität empfunden und kritisiert wurden.
Als einer der Wendepunkte der Krise gilt die Ansprache des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, der sagte, man werde „whatever it takes“unternehmen, um den Euro zu retten. Wie sah das Innenleben der Zentralbank zu der Zeit aus? Ich nehme an, es war ein langer Prozess bis alle hinter dieser Aussage standen.
Damals wusste Draghi selbst, dass das nicht stimmte, was er gesagt hat. „Whatever it takes“hat auch seine Grenzen, und diese Grenzen sind juristisch einklagbar.
aber auch im Negativszenario immerhin noch um 1,8 Prozent. Im wahrscheinlichsten Fall soll sich das Wachstum demnach bei 3,5 Prozent einpendeln. Auch auf dem Arbeitsmarkt erwarten die Ökonomen eine weitere Entspannung und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit von aktuell 5,8 auf etwa fünf Prozent.
Stau in den Lieferketten
International fallen die Prognosen ebenfalls optimistisch aus. Die Europäische Zentralbank (EZB) geht für die Eurozone von einem Wachstum von 4,2 Prozent aus. Die globale Wirtschaft soll laut der Bank Morgan Stanley um 4,7 Prozent wachsen. Keine Prognose kommt allerdings ohne den Hinweis der Ökonomen aus, dass die Risiken und Unsicherheiten weiter beträchtlich sind.
Die größte Unbekannte bleibt die weitere Entwicklung der Pandemie. Neue Mutanten können jederzeit allen Kalkulationen einen Strich durch die Rechnung machen. Das weitaus ansteckendere OmikronVirus befindet sich auf dem Vormarsch in ganz Europa und führt zu neuen Einschränkungen, die den Konsum eintrüben und zu Produktionsausfällen führen können. Nach ersten Auswertungen kommt allerdings die Hoffnung auf, dass die Verläufe weniger dramatisch sind als bei der Delta-Variante. Außerdem haben viele Unternehmen in den letzten beiden Jahren gelernt, besser mit den Einschränkungen umzugehen, so dass die Auswirkungen auf die Betriebe in den meisten Bereichen geringer ausfallen dürften als in den ersten Pandemiewellen. Der zweite große Unsicherheitsfaktor bleibt die Inflation.
Avis de sociétés
Oben: Es könnte bis 2023 dauern, bis der Rückstau in den Lieferketten vollständig abgebaut ist.
Unten: Die Statistikbehörde Statec um Serge Allegrezza geht in Luxemburg von einem deutlichen Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr aus.
Im November 2021 erreichte die Teuerungsrate 4,9 Prozent im Euroraum und 4,5 Prozent in Luxemburg. Aktuell geht der Statec davon aus, dass die Inflationskurve im Lauf von 2022 wieder abflacht und aufs Gesamtjahr gesehen 2,5 Prozent erreichen wird. Ab 2023 rechnet Morgan Stanley sogarrdamit, dass die Inflation in der Eurozone wieder unter das von der EZB ausgegeben Ziel von zwei Prozent fällt.
Ob das tatsächlich so eintritt, hängt auch davon ab, wie sich die Energiepreise entwickeln, die der Haupttreiber der Teuerung sind. Zuletzt scheinen sich die Preise an den Rohölmärkten stabilisiert zu haben, so dass die ersten Analysten
vermuten, dass ein Wendepunkt erreicht sein könnte; nicht zuletzt durch das Anziehen der amerikanischen Schieferölproduktion. Der Strompreis dürfe für Verbraucher hingegen weiter steigen. Der Anstieg bei den Spotpreisen wird sich erst allmählich bei den Konsumenten bemerkbar machen, aber einige Stromversorger haben schon Preissteigerungen für Januar angekündigt. Die Entwicklung der Inflation hängt auch davon ab, ob sich die Engpässe in den Lieferund Logistikketten endlich auflösen. Rechneten Ökonomen anfangs damit, dass der Nachschubmangel in ganz unterschiedlichen Bereichen – vom Bauholz bis zu Mikrochips – nur ein Übergangsphänomen darstellt, erwies sich das Problem doch als ausgesprochen hartnäckig. In ihrer Prognose von Anfang Dezember rechnet die EZB nun damit, dass sich der Engpass erst ab dem zweiten Quartal 2022 allmählich auflöst und dann bis 2023 behoben ist.
Wachsende politische Risiken
Aber auch diese Annahme ist mit einigen Fragezeichen versehen. So bleibt China weiterhin der Eckpfeiler vieler Lieferketten. Die strikte „No Covid“-Strategie der
Regierung führte bereits 2021 dazu, dass zahlreiche Werke ihren Betrieb einstellten und zwei der weltgrößten Frachthäfen schlossen. Angesichts der neuen Omikron-Variante gilt es als sehr wahrscheinlich, dass es auch kommendes Jahr zu wiederholten Lieferausfällen kommen wird.
Die Teuerung dürfte auch von höheren Löhnen angeheizt werden. Die „Zweitrundeneffekte“, die in vielen europäischen Ländern erwartet werden, sind in Luxemburg durch die Indexierung praktisch automatisch eingebaut. Nachdem im Oktober bereits eine Indextranche ausgelöst wurde, könnte je nach Entwicklung der Inflation die nächste Lohnerhöhung bereits im Spätsommer anstehen. Im kommenden Jahr wird ein Teil der Stützungsmaßnahmen gegen die Krise auslaufen. So haben die Zentralbank in den USA und die EZB angekündigt, dass sie ihre Assetkäufe früher herunterfahren als ursprünglich erwartet. Die amerikanische Fed wird wohl Anfang 2022 den Zinssatz erhöhen, die EZB könnte dann 2023 folgen. Bereits im Dezember setzte die „Bank of England“überraschend den Leitzins um 0,15 Prozentpunkte rauf, um auf die Inflation zu reagieren.
Höhere Zinsen könnten aber 2022 die Luft aus der vermuteten Spekulationsblase an den Börsen lassen, wo insbesondere die Technologiewerte zuletzt von Hoch zu Hoch eilten. Ebenso könnte der chinesische Immobilienmarkt zu einer Gefahr für die wirtschaftliche Erholung werden. Dieser macht manchen Schätzungen zufolge bis zu einem Viertel der Wirtschaftsleistung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aus. Die riesigen Immobilienentwickler Evergrande und Kaisan tanzen seit Wochen am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Ein Einbruch der chinesischen Ökonomie könnte das globale Wirtschaftswachstum beträchtlich eintrüben.
Daneben bestehen politische Risiken. Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine verheißt nichts Gutes. Sollte der Konflikt eskalieren, hätte das auch wirtschaftlich möglicherweise dramatische Auswirkungen – zum Beispiel, wenn Moskau westliche Sanktionen mit Einschränkungen der Gaslieferungen kontert. Ein gewisses Risiko geht auch von den anstehenden Wahlen in Frankreich und der offenen Auseinandersetzung um das italienische Präsidentenamt aus. War der Trumpf der Europäer bei der aktuellen Krise das relativ geschlossene Auftreten und die gemeinsamen Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft, könnte sich das schnell zum Negativen wenden, wenn in einem der beiden Länder ein euroskeptischer Kandidat die Oberhand behält.
Keine Prognose kommt aktuell ohne den Hinweis auf die beträchtlichen Risiken aus.
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