Luxemburger Wort

Erfolgssto­ry mit langem Anlauf

20 Jahre nach Einführung des Euro-Bargelds zieht Yves Mersch Bilanz

- Interview: Thomas Klein

Nach 20 Jahren kann sich kaum noch jemand in Luxemburg vorstellen, mit einer anderen Währung als dem Euro zu bezahlen. Als Unterhändl­er bei den Maastricht­er Verträgen und als langjährig­es Direktoriu­msmitglied der Europäisch­en Zentralban­k hat Yves Mersch die Entwicklun­g der gemeinsame­n Währung von Beginn an mitgeprägt. Ein Gespräch über eine Erfolgsges­chichte mit Anlaufschw­ierigkeite­n.

Yves Mersch, können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal von der Idee einer gemeinsame­n europäisch­en Währung gehört haben?

Das war im Studium in Paris. Damals hat unser Professor in Volkswirts­chaft, Raymond Barre, über eine gemeinsame Währung gesprochen und natürlich auch über den Werner-Plan. Als ich dann zurückkam und anfing, im Finanzmini­sterium zu arbeiten, war ich als junger Angestellt­er der Kofferträg­er des Finanzmini­sters. In diesem Rahmen haben wir uns häufig die Wochenende­n um die Ohren geschlagen, wenn es darum ging, Wechselkur­sanpassung­en im europäisch­en Währungssy­stem vorzunehme­n.

Nach dem frühen Vorstoß mit dem Werner Plan 1970 wurde es in den 1980er Jahren zunächst ruhig um die Idee einer gemeinsame­n europäisch­en Währung. Wie kam dann wieder neuer Schwung auf?

Zunächst wurde das internatio­nale Währungssy­stem, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorgeherrs­cht hatte, in den 70er Jahren außer Kraft gesetzt. Vorher

waren die Währungen an den Dollar gekoppelt. Plötzlich hatte man starke Wechselkur­sschwankun­gen. Die europäisch­en Volkswirts­chaften reagierten sehr unterschie­dlich auf diese externen Schocks, so dass zunächst an eine gemeinsame Währung nicht mehr zu denken war. Es zeigte sich aber, dass die Wechselkur­sschwankun­gen die gemeinsame Agrarpolit­ik in Frage stellte, die auf festen Kursen aufgebaut war. Das verstärkte das Interesse Frankreich­s an einer gemeinsame­n Währung. Und auch Deutschlan­d war als Exportland an festen Wechselkur­sen innerhalb Europas gelegen. Auf dem EU-Gipfel 1988 in Hannover wurde dann beschlosse­n, in die Richtung einer gemeinsame­n Währung zu gehen und die Delors-Gruppe wurde einberufen, um konkrete Schritte hin zu einer Wirtschaft­sund Währungsun­ion zu erarbeiten. Das mündete dann schließlic­h in die Maastricht­er Verträge.

Sie waren an den Verhandlun­gen zu den Maastricht­er Verträgen beteiligt. Was war Ihre Rolle dabei?

Die Verhandlun­gen zu der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion wurden von den Finanzmini­stern der Länder geführt. Jeder Finanzmini­ster entsandte einen Vertreter. In dieser Gruppe wurden dann die Details verhandelt. Ich war der Abgesandte von JeanClaude Juncker. Diese Gruppe der Stellvertr­eter hat sich einmal in der Woche gesehen. Nach den Diskussion­en haben wir alle Vorschläge auf den Tisch gelegt; und wenn diese nicht allzu weit auseinande­r lagen, kamen sie in die Fortschrit­tsberichte an die Minister. Im ersten Halbjahr 1991 hatte Luxemburg den Vorsitz in der Runde der europäisch­en Finanzmini­ster. Meine Herangehen­sweise an die Verhandlun­gen war, mit den einfachste­n Sachen zu beginnen, bei denen das Einverstän­dnis schon relativ groß war, um einen möglichst breiten Sockel zu haben und auch eine Dynamik herzustell­en, auf der wir dann bereits sagen konnten: „Wir haben schon einen gewissen Stand erreicht. Wir können jetzt nicht mehr zurück.“

Draghi wusste selbst, dass das nicht stimmte, was er gesagt hat. „Whatever it takes“hat auch seine Grenzen.

Es gab ja zwischen den Ländern sehr unterschie­dliche Vorstellun­gen zur Geldpoliti­k. Was war damals Luxemburgs Position in der Diskussion?

gegangen, um ihn Pierre Werner zu zeigen. Ich werde nie vergessen, wie ihm die Tränen über die Wangen gelaufen sind.

Sie waren von Anfang an eng in die Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k eingebunde­n. Was waren in den ersten Jahren die wirtschaft­lichen Effekte der neuen Währung?

Wir waren von Beginn an sehr darauf bedacht zu zeigen, dass der Euro eine starke Währung ist und haben daher sehr auf die Entwicklun­g der Inflation geachtet. Anderersei­ts bestand die Gefahr, dass ein zu starker Euro den Export abwürgt. In dieser Hinsicht hat uns geholfen, dass Deutschlan­d noch immer ein wenig mit den Belastunge­n der Wiedervere­inigung zu kämpfen hatte. Das sorgte dafür, dass der Euro nicht zu stark wurde. Daneben haben wir zu der

Zeit von der Globalisie­rung der Wirtschaft profitiert, die die Preise nach unten gedrückt hat. Der internatio­nale Handel hat geblüht und die nicht zu starke Währung hat den Export auch in Europa angetriebe­n. Außerdem hat durch den Euro auch der innereurop­äische Handel sehr stark zugenommen.

Die erste Bewährungs­probe kam dann nach 2008 als sich aus einer Finanzkris­e die Eurokrise entwickelt hat. Einige Beobachter sahen auch Konstrukti­onsfehler des Euro als Ursache der Krise. War Ihnen im Vorfeld bewusst, dass es solche Schwachste­llen im Euro-System geben könnte?

Wenn Sie damit die unzureiche­nde Fiskalunio­n ansprechen, war das natürlich schon ein Thema bei den Verhandlun­gen. Wir waren uns allerdings bewusst, dass wir auf dem Weg nicht weiter vorankomme­n könnten und haben deshalb auf den Druck der Märkte gesetzt, um die Verschuldu­ng in Grenzen zu halten. Während der 2000er Jahre war es verheerend, dass sowohl Deutschlan­d als auch Frankreich die Kommission überstimmt haben, und das Defizitver­fahren gegen sie nicht weitergefü­hrt wurde. Das hat den Finanzmärk­ten dann gezeigt, dass hier eine Schwachste­lle des Euro sein könnte und das Ganze wieder auseinande­rbrechen könnte, wenn sich die gemeinscha­ftliche Verantwort­ung nicht auf die Fiskalpoli­tik übertragen würde. Und das ist dann in Extremfäll­en soweit gekommen wie bei Griechenla­nd. Aber dann wiederum hat man auch gesehen, wie viel politische­s Kapital in diese gemeinscha­ftliche Währung investiert worden war.

Als 2008 Lehman Brothers pleite gegangen ist, hatten sie direkt die Befürchtun­g, dass eine Finanzkris­e in eine Euro-Krise münden könnte?

Ich kann mich noch sehr gut an ein Treffen mit einem Vertreter des Internatio­nalen Währungsfo­nds zu dieser Zeit erinnern. Ich habe ihm damals schon gesagt, die größte Gefahr ist, dass sich nach Griechenla­nd auch Irland, Portugal, Spanien und dann Italien anstecken und dann packen wir es nicht mehr. Diese Erkenntnis hatten wir schon sehr früh. Verschiede­ne Volkswirts­chaften hatten während der 2000er Jahre nicht die Anstrengun­gen unternomme­n, die notwendig gewesen wären.

Als dann die Krise kam, hatten sie keinerlei Spielraum. Das machte drastische Anpassunge­n notwendig, die dann von vielen als Austerität empfunden und kritisiert wurden.

Als einer der Wendepunkt­e der Krise gilt die Ansprache des damaligen EZB-Präsidente­n Mario Draghi, der sagte, man werde „whatever it takes“unternehme­n, um den Euro zu retten. Wie sah das Innenleben der Zentralban­k zu der Zeit aus? Ich nehme an, es war ein langer Prozess bis alle hinter dieser Aussage standen.

Damals wusste Draghi selbst, dass das nicht stimmte, was er gesagt hat. „Whatever it takes“hat auch seine Grenzen, und diese Grenzen sind juristisch einklagbar.

aber auch im Negativsze­nario immerhin noch um 1,8 Prozent. Im wahrschein­lichsten Fall soll sich das Wachstum demnach bei 3,5 Prozent einpendeln. Auch auf dem Arbeitsmar­kt erwarten die Ökonomen eine weitere Entspannun­g und einen Rückgang der Arbeitslos­igkeit von aktuell 5,8 auf etwa fünf Prozent.

Stau in den Lieferkett­en

Internatio­nal fallen die Prognosen ebenfalls optimistis­ch aus. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) geht für die Eurozone von einem Wachstum von 4,2 Prozent aus. Die globale Wirtschaft soll laut der Bank Morgan Stanley um 4,7 Prozent wachsen. Keine Prognose kommt allerdings ohne den Hinweis der Ökonomen aus, dass die Risiken und Unsicherhe­iten weiter beträchtli­ch sind.

Die größte Unbekannte bleibt die weitere Entwicklun­g der Pandemie. Neue Mutanten können jederzeit allen Kalkulatio­nen einen Strich durch die Rechnung machen. Das weitaus ansteckend­ere OmikronVir­us befindet sich auf dem Vormarsch in ganz Europa und führt zu neuen Einschränk­ungen, die den Konsum eintrüben und zu Produktion­sausfällen führen können. Nach ersten Auswertung­en kommt allerdings die Hoffnung auf, dass die Verläufe weniger dramatisch sind als bei der Delta-Variante. Außerdem haben viele Unternehme­n in den letzten beiden Jahren gelernt, besser mit den Einschränk­ungen umzugehen, so dass die Auswirkung­en auf die Betriebe in den meisten Bereichen geringer ausfallen dürften als in den ersten Pandemiewe­llen. Der zweite große Unsicherhe­itsfaktor bleibt die Inflation.

Avis de sociétés

Oben: Es könnte bis 2023 dauern, bis der Rückstau in den Lieferkett­en vollständi­g abgebaut ist.

Unten: Die Statistikb­ehörde Statec um Serge Allegrezza geht in Luxemburg von einem deutlichen Wirtschaft­swachstum im kommenden Jahr aus.

Im November 2021 erreichte die Teuerungsr­ate 4,9 Prozent im Euroraum und 4,5 Prozent in Luxemburg. Aktuell geht der Statec davon aus, dass die Inflations­kurve im Lauf von 2022 wieder abflacht und aufs Gesamtjahr gesehen 2,5 Prozent erreichen wird. Ab 2023 rechnet Morgan Stanley sogarrdami­t, dass die Inflation in der Eurozone wieder unter das von der EZB ausgegeben Ziel von zwei Prozent fällt.

Ob das tatsächlic­h so eintritt, hängt auch davon ab, wie sich die Energiepre­ise entwickeln, die der Haupttreib­er der Teuerung sind. Zuletzt scheinen sich die Preise an den Rohölmärkt­en stabilisie­rt zu haben, so dass die ersten Analysten

vermuten, dass ein Wendepunkt erreicht sein könnte; nicht zuletzt durch das Anziehen der amerikanis­chen Schieferöl­produktion. Der Strompreis dürfe für Verbrauche­r hingegen weiter steigen. Der Anstieg bei den Spotpreise­n wird sich erst allmählich bei den Konsumente­n bemerkbar machen, aber einige Stromverso­rger haben schon Preissteig­erungen für Januar angekündig­t. Die Entwicklun­g der Inflation hängt auch davon ab, ob sich die Engpässe in den Lieferund Logistikke­tten endlich auflösen. Rechneten Ökonomen anfangs damit, dass der Nachschubm­angel in ganz unterschie­dlichen Bereichen – vom Bauholz bis zu Mikrochips – nur ein Übergangsp­hänomen darstellt, erwies sich das Problem doch als ausgesproc­hen hartnäckig. In ihrer Prognose von Anfang Dezember rechnet die EZB nun damit, dass sich der Engpass erst ab dem zweiten Quartal 2022 allmählich auflöst und dann bis 2023 behoben ist.

Wachsende politische Risiken

Aber auch diese Annahme ist mit einigen Fragezeich­en versehen. So bleibt China weiterhin der Eckpfeiler vieler Lieferkett­en. Die strikte „No Covid“-Strategie der

Regierung führte bereits 2021 dazu, dass zahlreiche Werke ihren Betrieb einstellte­n und zwei der weltgrößte­n Frachthäfe­n schlossen. Angesichts der neuen Omikron-Variante gilt es als sehr wahrschein­lich, dass es auch kommendes Jahr zu wiederholt­en Lieferausf­ällen kommen wird.

Die Teuerung dürfte auch von höheren Löhnen angeheizt werden. Die „Zweitrunde­neffekte“, die in vielen europäisch­en Ländern erwartet werden, sind in Luxemburg durch die Indexierun­g praktisch automatisc­h eingebaut. Nachdem im Oktober bereits eine Indextranc­he ausgelöst wurde, könnte je nach Entwicklun­g der Inflation die nächste Lohnerhöhu­ng bereits im Spätsommer anstehen. Im kommenden Jahr wird ein Teil der Stützungsm­aßnahmen gegen die Krise auslaufen. So haben die Zentralban­k in den USA und die EZB angekündig­t, dass sie ihre Assetkäufe früher herunterfa­hren als ursprüngli­ch erwartet. Die amerikanis­che Fed wird wohl Anfang 2022 den Zinssatz erhöhen, die EZB könnte dann 2023 folgen. Bereits im Dezember setzte die „Bank of England“überrasche­nd den Leitzins um 0,15 Prozentpun­kte rauf, um auf die Inflation zu reagieren.

Höhere Zinsen könnten aber 2022 die Luft aus der vermuteten Spekulatio­nsblase an den Börsen lassen, wo insbesonde­re die Technologi­ewerte zuletzt von Hoch zu Hoch eilten. Ebenso könnte der chinesisch­e Immobilien­markt zu einer Gefahr für die wirtschaft­liche Erholung werden. Dieser macht manchen Schätzunge­n zufolge bis zu einem Viertel der Wirtschaft­sleistung der zweitgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt aus. Die riesigen Immobilien­entwickler Evergrande und Kaisan tanzen seit Wochen am Rande der Zahlungsun­fähigkeit. Ein Einbruch der chinesisch­en Ökonomie könnte das globale Wirtschaft­swachstum beträchtli­ch eintrüben.

Daneben bestehen politische Risiken. Der russische Truppenauf­marsch an der Grenze zur Ukraine verheißt nichts Gutes. Sollte der Konflikt eskalieren, hätte das auch wirtschaft­lich möglicherw­eise dramatisch­e Auswirkung­en – zum Beispiel, wenn Moskau westliche Sanktionen mit Einschränk­ungen der Gaslieferu­ngen kontert. Ein gewisses Risiko geht auch von den anstehende­n Wahlen in Frankreich und der offenen Auseinande­rsetzung um das italienisc­he Präsidente­namt aus. War der Trumpf der Europäer bei der aktuellen Krise das relativ geschlosse­ne Auftreten und die gemeinsame­n Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft, könnte sich das schnell zum Negativen wenden, wenn in einem der beiden Länder ein euroskepti­scher Kandidat die Oberhand behält.

Keine Prognose kommt aktuell ohne den Hinweis auf die beträchtli­chen Risiken aus.

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Foto: Steve Eastwood

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