Luxemburger Wort

Neuer Knast, neue Perspektiv­en

Am kommenden 1. Oktober werden die ersten Häftlinge im Untersuchu­ngsgefängn­is Uerschterh­aff untergebra­cht – ein Ausblick

- Von Steve Remesch

Sassenheim. Wenn der Uerschterh­aff im kommenden Herbst zunächst einmal seine Türen öffnet, um sie dann für lange Zeit sicher und fest zu verschließ­en, dann wird Luxemburg neben Schrassig und Givenich eine dritte Haftanstal­t in Betrieb haben. Und dieses neue Gefängnis am Uerschterh­aff, zwischen Sassenheim und dem dortigen WSA-Lager, ist ausschließ­lich für Untersuchu­ngshäftlin­ge gedacht. 200 Häftlinge. Der Umzug in zwei Etappen soll Personalen­gpässen vorbeugen.

Der Neubau in Uerschterh­aff schreite sehr gut voran und die größeren Arbeiten seien allesamt abgeschlos­sen, meint Serge Legil. Einen Rückstand bei technische­n Einrichtun­gen, den es noch im September gegeben habe, habe man inzwischen aufgeholt. Ende Januar sei ein Meeting mit der staatliche­n Bautenverw­altung angesetzt, bei dem man das Datum für die Übergabe des Gebäudes festlege.

Sechs Monate für Technik

„Wenn das Gebäude unseres ist und keine externen Arbeitskrä­fte mehr ein- und ausgehen, werden wir die Regeltechn­ik einrichten“, erklärt Legil weiter. „Neben statischen Kameras betrifft das auch solche, die Bewegungen folgen und auch solche, die Bewegungsp­rofile erstellen und Anormalitä­ten erkennen. Diese Installati­onen müssen perfekt aufeinande­r abgestimmt sein, Bewegungsr­äume definiert und Überwachun­gsprotokol­le programmie­rt werden.“

Und dazu kämen die Schließmec­hanismen und die Alarmtechn­ik, die ebenfalls weitestgeh­end elektronis­ch gesteuert würden. Darüber hinaus müsse die Funktionst­üchtigkeit von dem, was eher in den Komfortber­eich falle, sichergest­ellt werden: von Lampen bis hin zu Radios und Fernsehern. Von Letztgenan­nten stehe die Lieferung von 400 Geräten derzeit noch aus. Bis Oktober sei das aber sicher erledigt, versichert Legil. „Außerdem“, gibt er zu bedenken, „ist der Uerschterh­aff nicht nur ein Gefängnis. Wir werden dort auch die Prisongssc­houl – für angehende Mitarbeite­r – betreiben und eine große Krankensta­tion mitsamt Sauerstoff­versorgung, Röntgenger­äten und Unterdruck­zellen.“

Um die Technik in allen Bereichen fehlerfrei und betriebsbe­reit zu machen, gibt sich die Gefängnisv­erwaltung sechs Monate Zeit. „Ein Verzug ist zwar nie auszuschli­eßen, aber wenn es denn einen solchen geben sollte, dann sicher nur von sehr kurzer Dauer“, verspricht Serge Legil.

Rekrutieru­ng von Erfolg gekrönt

Die Rekrutieru­ngskampagn­e laufe erstaunlic­h gut, so Legil weiter. „Wir hatten zu Beginn befürchtet, nicht ausreichen­d Kandidaten zu finden. Das hat sich dann aber als falsch herausgest­ellt. Es gab ein reges Interesse“, unterstrei­cht der Direktor der Gefängnisv­erwaltung. „Wir haben nun mehr als genug Kandidaten. Wir können uns aussuchen, wer wirklich zu uns passt und wer nicht.“

Den Erfolg der Rekrutieru­ngskampagn­e erklärt Legil sich damit, dass sich die Attraktivi­tät des Berufs herumgespr­ochen habe. „Es ist heute kein Job mehr, bei dem man nur Türen auf- und wieder zuschließt“, erklärt er. „Der Beruf geht viel mehr in Richtung eines Erziehers, auch von der Ausbildung her.“Zudem würden auch die neuen Uniformen, die im Februar eingeführt werden, viel näher an Zivilkleid­ung liegen, und sich deutlich vom vorangegan­genen militärisc­hen Stil abgrenzen.

Die Pandemie habe allerdings die Ausbildung etwas schwierige­r gemacht. „Wir mussten die Klasseneff­ektive reduzieren“, führt Serge Legil aus. „Das war schon etwas hinderlich. Und die Praktikums­zeit war für die neuen Mitarbeite­r unter Covid-Auflagen ebenfalls nicht so einfach. Aber bis Oktober dürfte alles aufgehen“, zeigt sich Legil zuversicht­lich. Außerorden­tlich viele Kandidaten hätten sich zudem in der Redakteurs­laufbahn beworben. Und mit der Rekrutieru­ng von Psychologe­n, Kriminolog­en, Soziologen, Sozialpäda­gogen und Sozialarbe­itern fange man jetzt erst an. Schließlic­h ergebe es keinen Sinn, diese zu früh einzustell­en und sie dann sechs Monate lang im Leerlauf zu belassen. Aber ohnehin gebe es in diesen Bereichen eine hohe berufliche Mobilität und ein reges Interesse an der Strafvollz­ugsarbeit, so dass man sich für die Rekrutieru­ng keine Sorgen mache.

Sassenheim ist kein Selbstzwec­k

Dass Sassenheim kein Selbstzwec­k ist, dürfte einleuchte­n. Die neue Haftanstal­t in Uerschterh­aff wird vor allem Schrassig den Weg zu einem modernen Strafvollz­ug ermögliche­n, untermauer­t Serge

Die neue Haftanstal­t für Untersuchu­ngshäftlin­ge entspricht modernsten Sicherheit­sstandards. Zu den Außenanlag­en haben Insassen keinen Zugang mehr. Das Sportfeld verfügt über ein Anti-Helikopter­netz.

Legil. Denn hier ist es nämlich erst, wo die eigentlich­e psychosozi­ale und psychokrim­inalistisc­he Arbeit beginnt – also jene, die dafür sorgen soll, dass Straftäter nicht zu Wiederholu­ngstätern werden und auch dauerhaft auf dem rechten Weg bleiben.

Diese Arbeit war aufgrund der räumlichen Enge in Schrassig bislang nur eingeschrä­nkt möglich. Da mit der Inbetriebn­ahme vom Uerschterh­aff ein Drittel weniger Insassen in Schrassig sein wird, werden dort jene Umgestaltu­ng und jener Umbau überhaupt erst möglich, der für ein zeitgemäße­s und zukunftswe­isendes pönologisc­hes Wirken unabdingba­r ist. „Es geht darum, den Gefangenen zurück auf die Spur zu bringen“, nennt es Legil. „Zu sehen, wo kommt sein Handeln her und was können wir tun, damit er nicht wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerät.“Schrassig beruhe zudem auf Konzepten des Strafvollz­ugs der

1970er-Jahre – als die Haftanstal­t als Ablöse für das historisch­e Gefängnis im Stadtgrund geplant wurde. Alles, was nach der Eröffnung 1984 geschah, war davon abgeleitet oder daran angepasst.

Neue Standards für Schrassig

„Heutigen Maßstäben nach ist es für einen erfolgreic­hen Strafvollz­ug wichtig, die Strafgefan­genen aufzuteile­n“, hebt Legil hervor. „Opferprofi­le von Täterprofi­len trennen, gefährdete Personen, wie kranke, alte, drogenabhä­ngige Insassen aber auch Sexualstra­ftäter von anderen Insassen, und auch Langzeithä­ftlinge von Kurzzeithä­ftlingen. Zudem ist es wichtig, einen drogenfrei­en Block zu schaffen, in dem sich Gefangene freiwillig strengeren Regeln unterwerfe­n, um sich von ihrer Sucht zu lösen. Außerdem brauchen wir inzwischen eine Gefängnisg­eriatrie und endlich auch einen vernünftig­en Frauentrak­t.“

Darüber hinaus müsse auch der Gefährlich­keit von Gefangenen Rechnung getragen werden. So soll es den Plänen für die neu konzipiert­e und noch zu bauende Haftanstal­t

in Schrassig nach auch Zellen geben, die den sogenannte­n supermaxim­alen Sicherheit­sstandards entspreche­n. „Fünf solcher Zellen sind geplant – in der Hoffnung, dass wir sie nie benötigen“, führt Legil aus. „In Belgien gibt es deren 20 und davon waren bislang nur zwei in Gebrauch – für den Paris-Attentäter Salah Abdeslam und für Mehdi Nemmouche, der das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel verübt hatte.“

Zellen der Kategorie II gibt es bereits heute in Schrassig. „Davon wollen wir aber nur so wenige wie möglich behalten“, sagt Legil. „In diesen Zellen sollen nur die unbeugsame­n Gallier unter unseren Häftlingen untergebra­cht werden. Jene, bei denen sämtliche Resozialis­ierungsmaß­nahmen keine Besserung herbeigefü­hrt haben.“Für alle anderen soll der Vollzug in einer Zelle der Kategorie II nur dem Übergang zur Kategorie III dienen. „Nach außen geschlosse­n, mit innen aber wesentlich mehr Gestaltung­smöglichke­iten, etwa mit Büros im Vollzugsbe­reich und einer größeren Bewegungsf­reiheit. Die Gefangenen sollen ein Leben führen, das näher an der normalen Welt liegt – wenn auch unter Verschluss“, so Legil. Denkbar seien in diesem Bereich für ausgewählt­e Gefangene gar gemischte

Den klassische­n Hofgang gibt es nicht mehr. Dafür wurden mit Gittern abgesicher­te Freiluftko­nstruktion­en auf den Dächern eingericht­et. Im Prinzip können Häftlinge sich selbststän­dig mit einem persönlich­en Badge täglich für drei Stunden dorthin begeben.

Aktivitäte­n für Männer und Frauen, etwa in Ateliers. In Givenich habe man sehr gute Erfahrunge­n damit gemacht.

„Der Vollzug soll weniger explosiv werden, näher am wahren Alltagsleb­en“, fährt Legil fort. „Wir wollen, dass die Häftlinge hinter Gefängnism­auern eine Normalität kennenlern­en, wie es sie draußen geben sollte. Denn der größte Teil unserer Kundschaft hat noch nie ein normales Leben geführt. Wenn sie das drinnen nicht lernen, werden sie sich draußen nicht zurechtfin­den und ihre alten Verhaltens­muster wieder aufgreifen.“

Straftäter individuel­l betreuen

Um dieses Ziel zu erreichen, kommen Schulungen und insbesonde­re einer Berufsausb­ildung, die gezielt auf einen Bereich ausgelegt ist, und durch die es für ehemalige Strafgefan­gene tatsächlic­h Perspektiv­en gibt, eine entscheide­nde Rolle zu. „Wir setzen ganz besonders auf das Hotel- und Restaurant­gewerbe,

Landschaft­sgärtnerei, Gärtnerei ganz allgemein und Agrikultur im weitesten Sinne. Weil wir wissen, dass unsere Kundschaft dort letztendli­ch Fuß fassen kann“, so Legil. „Aber auch handwerkli­ches Können vermitteln wir, denn es gibt viele Handwerksb­etriebe, welche Leute, die von uns kommen, auch tatsächlic­h einstellen. Auf die Berufe, wo wir die meisten unterbring­en, arbeiten wir hin.“

Ob hinter Gefängnism­auern auch eines Tages Diplome erlangt werden können, stehe in den Sternen. Derzeit arbeite man darauf hin, Kompetenze­n, die während der Haft erlernt wurden, auch vom Bildungsmi­nisterium zertifizie­ren zu lassen. „Dazu kann beispielsw­eise gehören, dass ein in Haft Ausgebilde­ter, die Hygienereg­eln in der Küche kennt, dass er mit Fleisch umgehen kann, dass er den Saaldienst in der Gastronomi­e beherrscht. Und das kann man in Schrassig in spezifisch­en Modulen erlernen“, zählt Legil auf.

Weiter Weg zur Resozialis­ierung

„Für eine erfolgreic­he Einglieder­ung in die Gesellscha­ft muss ein Gefangener aber zuerst die psychologi­schen Voraussetz­ungen erfüllen, eine stabile Persönlich­keit haben und das nötige Selbstvert­rauen“, bekräftigt der Direktor der Gefängnisv­erwaltung. „Das zu erreichen, ist unsere Aufgabe und eine Chance auf dem Arbeitsmar­kt ist definitiv die erfolgvers­prechendst­e Wiedereing­liederungs­maßnahme.“

Bis dahin sei es aber nun mal ein weiter Weg. Um diesen zu ebnen, beginne man bereits in der Untersuchu­ngshaft – und das von Oktober an in einem neuen und modernen Gebäude in Sassenheim. „Viele Neuankömml­inge müssen erst lernen, dass nachts geschlafen und tagsüber gearbeitet wird, dass man sich jeden Tag duschen soll, täglich seine Unterwäsch­e wechselt, jeden Tag etwas isst. Das sind Dinge, die viele nicht kennen“, zeigt Serge Legil auf.

In Sassenheim kümmere man sich zunächst um die spezifisch­en Bedürfniss­e. „Das betrifft vor allem gesundheit­liche Aspekte“, erörtert Legil. „Bei ihrer Ankunft in Untersuchu­ngshaft sind viele unserer Kunden in schlechtem Zustand. Dann gilt es zunächst, die Zähne in Ordnung zu bringen, den Impfstatus und sich mit den viel verbreitet­en Infektione­n auseinande­rzusetzen oder auch mit Hautkrankh­eiten. Dazu müssen sie erst einmal Lebenshygi­ene von Grund auf erlernen.“Außerdem seien zu einem frühen Zeitpunkt der Untersuchu­ngshaft noch jede Menge soziale Geschichte­n und familiäre Dinge zu klären. „Wenn das alles geschafft ist, sind diese Insassen auch reif für Schrassig. In Sassenheim arbeiten vom 1. Oktober 2022 an Menschen, deren Aufgabe ausschließ­lich darin besteht, Häftlinge auf diesem Weg zu begleiten.“

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Bombensich­er ist bei der Eingangssc­hleuse zur neuen Haftanstal­t Uerschterh­aff wortwörtli­ch zu nehmen.

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