Neuer Knast, neue Perspektiven
Am kommenden 1. Oktober werden die ersten Häftlinge im Untersuchungsgefängnis Uerschterhaff untergebracht – ein Ausblick
Sassenheim. Wenn der Uerschterhaff im kommenden Herbst zunächst einmal seine Türen öffnet, um sie dann für lange Zeit sicher und fest zu verschließen, dann wird Luxemburg neben Schrassig und Givenich eine dritte Haftanstalt in Betrieb haben. Und dieses neue Gefängnis am Uerschterhaff, zwischen Sassenheim und dem dortigen WSA-Lager, ist ausschließlich für Untersuchungshäftlinge gedacht. 200 Häftlinge. Der Umzug in zwei Etappen soll Personalengpässen vorbeugen.
Der Neubau in Uerschterhaff schreite sehr gut voran und die größeren Arbeiten seien allesamt abgeschlossen, meint Serge Legil. Einen Rückstand bei technischen Einrichtungen, den es noch im September gegeben habe, habe man inzwischen aufgeholt. Ende Januar sei ein Meeting mit der staatlichen Bautenverwaltung angesetzt, bei dem man das Datum für die Übergabe des Gebäudes festlege.
Sechs Monate für Technik
„Wenn das Gebäude unseres ist und keine externen Arbeitskräfte mehr ein- und ausgehen, werden wir die Regeltechnik einrichten“, erklärt Legil weiter. „Neben statischen Kameras betrifft das auch solche, die Bewegungen folgen und auch solche, die Bewegungsprofile erstellen und Anormalitäten erkennen. Diese Installationen müssen perfekt aufeinander abgestimmt sein, Bewegungsräume definiert und Überwachungsprotokolle programmiert werden.“
Und dazu kämen die Schließmechanismen und die Alarmtechnik, die ebenfalls weitestgehend elektronisch gesteuert würden. Darüber hinaus müsse die Funktionstüchtigkeit von dem, was eher in den Komfortbereich falle, sichergestellt werden: von Lampen bis hin zu Radios und Fernsehern. Von Letztgenannten stehe die Lieferung von 400 Geräten derzeit noch aus. Bis Oktober sei das aber sicher erledigt, versichert Legil. „Außerdem“, gibt er zu bedenken, „ist der Uerschterhaff nicht nur ein Gefängnis. Wir werden dort auch die Prisongsschoul – für angehende Mitarbeiter – betreiben und eine große Krankenstation mitsamt Sauerstoffversorgung, Röntgengeräten und Unterdruckzellen.“
Um die Technik in allen Bereichen fehlerfrei und betriebsbereit zu machen, gibt sich die Gefängnisverwaltung sechs Monate Zeit. „Ein Verzug ist zwar nie auszuschließen, aber wenn es denn einen solchen geben sollte, dann sicher nur von sehr kurzer Dauer“, verspricht Serge Legil.
Rekrutierung von Erfolg gekrönt
Die Rekrutierungskampagne laufe erstaunlich gut, so Legil weiter. „Wir hatten zu Beginn befürchtet, nicht ausreichend Kandidaten zu finden. Das hat sich dann aber als falsch herausgestellt. Es gab ein reges Interesse“, unterstreicht der Direktor der Gefängnisverwaltung. „Wir haben nun mehr als genug Kandidaten. Wir können uns aussuchen, wer wirklich zu uns passt und wer nicht.“
Den Erfolg der Rekrutierungskampagne erklärt Legil sich damit, dass sich die Attraktivität des Berufs herumgesprochen habe. „Es ist heute kein Job mehr, bei dem man nur Türen auf- und wieder zuschließt“, erklärt er. „Der Beruf geht viel mehr in Richtung eines Erziehers, auch von der Ausbildung her.“Zudem würden auch die neuen Uniformen, die im Februar eingeführt werden, viel näher an Zivilkleidung liegen, und sich deutlich vom vorangegangenen militärischen Stil abgrenzen.
Die Pandemie habe allerdings die Ausbildung etwas schwieriger gemacht. „Wir mussten die Klasseneffektive reduzieren“, führt Serge Legil aus. „Das war schon etwas hinderlich. Und die Praktikumszeit war für die neuen Mitarbeiter unter Covid-Auflagen ebenfalls nicht so einfach. Aber bis Oktober dürfte alles aufgehen“, zeigt sich Legil zuversichtlich. Außerordentlich viele Kandidaten hätten sich zudem in der Redakteurslaufbahn beworben. Und mit der Rekrutierung von Psychologen, Kriminologen, Soziologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeitern fange man jetzt erst an. Schließlich ergebe es keinen Sinn, diese zu früh einzustellen und sie dann sechs Monate lang im Leerlauf zu belassen. Aber ohnehin gebe es in diesen Bereichen eine hohe berufliche Mobilität und ein reges Interesse an der Strafvollzugsarbeit, so dass man sich für die Rekrutierung keine Sorgen mache.
Sassenheim ist kein Selbstzweck
Dass Sassenheim kein Selbstzweck ist, dürfte einleuchten. Die neue Haftanstalt in Uerschterhaff wird vor allem Schrassig den Weg zu einem modernen Strafvollzug ermöglichen, untermauert Serge
Die neue Haftanstalt für Untersuchungshäftlinge entspricht modernsten Sicherheitsstandards. Zu den Außenanlagen haben Insassen keinen Zugang mehr. Das Sportfeld verfügt über ein Anti-Helikopternetz.
Legil. Denn hier ist es nämlich erst, wo die eigentliche psychosoziale und psychokriminalistische Arbeit beginnt – also jene, die dafür sorgen soll, dass Straftäter nicht zu Wiederholungstätern werden und auch dauerhaft auf dem rechten Weg bleiben.
Diese Arbeit war aufgrund der räumlichen Enge in Schrassig bislang nur eingeschränkt möglich. Da mit der Inbetriebnahme vom Uerschterhaff ein Drittel weniger Insassen in Schrassig sein wird, werden dort jene Umgestaltung und jener Umbau überhaupt erst möglich, der für ein zeitgemäßes und zukunftsweisendes pönologisches Wirken unabdingbar ist. „Es geht darum, den Gefangenen zurück auf die Spur zu bringen“, nennt es Legil. „Zu sehen, wo kommt sein Handeln her und was können wir tun, damit er nicht wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerät.“Schrassig beruhe zudem auf Konzepten des Strafvollzugs der
1970er-Jahre – als die Haftanstalt als Ablöse für das historische Gefängnis im Stadtgrund geplant wurde. Alles, was nach der Eröffnung 1984 geschah, war davon abgeleitet oder daran angepasst.
Neue Standards für Schrassig
„Heutigen Maßstäben nach ist es für einen erfolgreichen Strafvollzug wichtig, die Strafgefangenen aufzuteilen“, hebt Legil hervor. „Opferprofile von Täterprofilen trennen, gefährdete Personen, wie kranke, alte, drogenabhängige Insassen aber auch Sexualstraftäter von anderen Insassen, und auch Langzeithäftlinge von Kurzzeithäftlingen. Zudem ist es wichtig, einen drogenfreien Block zu schaffen, in dem sich Gefangene freiwillig strengeren Regeln unterwerfen, um sich von ihrer Sucht zu lösen. Außerdem brauchen wir inzwischen eine Gefängnisgeriatrie und endlich auch einen vernünftigen Frauentrakt.“
Darüber hinaus müsse auch der Gefährlichkeit von Gefangenen Rechnung getragen werden. So soll es den Plänen für die neu konzipierte und noch zu bauende Haftanstalt
in Schrassig nach auch Zellen geben, die den sogenannten supermaximalen Sicherheitsstandards entsprechen. „Fünf solcher Zellen sind geplant – in der Hoffnung, dass wir sie nie benötigen“, führt Legil aus. „In Belgien gibt es deren 20 und davon waren bislang nur zwei in Gebrauch – für den Paris-Attentäter Salah Abdeslam und für Mehdi Nemmouche, der das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel verübt hatte.“
Zellen der Kategorie II gibt es bereits heute in Schrassig. „Davon wollen wir aber nur so wenige wie möglich behalten“, sagt Legil. „In diesen Zellen sollen nur die unbeugsamen Gallier unter unseren Häftlingen untergebracht werden. Jene, bei denen sämtliche Resozialisierungsmaßnahmen keine Besserung herbeigeführt haben.“Für alle anderen soll der Vollzug in einer Zelle der Kategorie II nur dem Übergang zur Kategorie III dienen. „Nach außen geschlossen, mit innen aber wesentlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten, etwa mit Büros im Vollzugsbereich und einer größeren Bewegungsfreiheit. Die Gefangenen sollen ein Leben führen, das näher an der normalen Welt liegt – wenn auch unter Verschluss“, so Legil. Denkbar seien in diesem Bereich für ausgewählte Gefangene gar gemischte
Den klassischen Hofgang gibt es nicht mehr. Dafür wurden mit Gittern abgesicherte Freiluftkonstruktionen auf den Dächern eingerichtet. Im Prinzip können Häftlinge sich selbstständig mit einem persönlichen Badge täglich für drei Stunden dorthin begeben.
Aktivitäten für Männer und Frauen, etwa in Ateliers. In Givenich habe man sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
„Der Vollzug soll weniger explosiv werden, näher am wahren Alltagsleben“, fährt Legil fort. „Wir wollen, dass die Häftlinge hinter Gefängnismauern eine Normalität kennenlernen, wie es sie draußen geben sollte. Denn der größte Teil unserer Kundschaft hat noch nie ein normales Leben geführt. Wenn sie das drinnen nicht lernen, werden sie sich draußen nicht zurechtfinden und ihre alten Verhaltensmuster wieder aufgreifen.“
Straftäter individuell betreuen
Um dieses Ziel zu erreichen, kommen Schulungen und insbesondere einer Berufsausbildung, die gezielt auf einen Bereich ausgelegt ist, und durch die es für ehemalige Strafgefangene tatsächlich Perspektiven gibt, eine entscheidende Rolle zu. „Wir setzen ganz besonders auf das Hotel- und Restaurantgewerbe,
Landschaftsgärtnerei, Gärtnerei ganz allgemein und Agrikultur im weitesten Sinne. Weil wir wissen, dass unsere Kundschaft dort letztendlich Fuß fassen kann“, so Legil. „Aber auch handwerkliches Können vermitteln wir, denn es gibt viele Handwerksbetriebe, welche Leute, die von uns kommen, auch tatsächlich einstellen. Auf die Berufe, wo wir die meisten unterbringen, arbeiten wir hin.“
Ob hinter Gefängnismauern auch eines Tages Diplome erlangt werden können, stehe in den Sternen. Derzeit arbeite man darauf hin, Kompetenzen, die während der Haft erlernt wurden, auch vom Bildungsministerium zertifizieren zu lassen. „Dazu kann beispielsweise gehören, dass ein in Haft Ausgebildeter, die Hygieneregeln in der Küche kennt, dass er mit Fleisch umgehen kann, dass er den Saaldienst in der Gastronomie beherrscht. Und das kann man in Schrassig in spezifischen Modulen erlernen“, zählt Legil auf.
Weiter Weg zur Resozialisierung
„Für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft muss ein Gefangener aber zuerst die psychologischen Voraussetzungen erfüllen, eine stabile Persönlichkeit haben und das nötige Selbstvertrauen“, bekräftigt der Direktor der Gefängnisverwaltung. „Das zu erreichen, ist unsere Aufgabe und eine Chance auf dem Arbeitsmarkt ist definitiv die erfolgversprechendste Wiedereingliederungsmaßnahme.“
Bis dahin sei es aber nun mal ein weiter Weg. Um diesen zu ebnen, beginne man bereits in der Untersuchungshaft – und das von Oktober an in einem neuen und modernen Gebäude in Sassenheim. „Viele Neuankömmlinge müssen erst lernen, dass nachts geschlafen und tagsüber gearbeitet wird, dass man sich jeden Tag duschen soll, täglich seine Unterwäsche wechselt, jeden Tag etwas isst. Das sind Dinge, die viele nicht kennen“, zeigt Serge Legil auf.
In Sassenheim kümmere man sich zunächst um die spezifischen Bedürfnisse. „Das betrifft vor allem gesundheitliche Aspekte“, erörtert Legil. „Bei ihrer Ankunft in Untersuchungshaft sind viele unserer Kunden in schlechtem Zustand. Dann gilt es zunächst, die Zähne in Ordnung zu bringen, den Impfstatus und sich mit den viel verbreiteten Infektionen auseinanderzusetzen oder auch mit Hautkrankheiten. Dazu müssen sie erst einmal Lebenshygiene von Grund auf erlernen.“Außerdem seien zu einem frühen Zeitpunkt der Untersuchungshaft noch jede Menge soziale Geschichten und familiäre Dinge zu klären. „Wenn das alles geschafft ist, sind diese Insassen auch reif für Schrassig. In Sassenheim arbeiten vom 1. Oktober 2022 an Menschen, deren Aufgabe ausschließlich darin besteht, Häftlinge auf diesem Weg zu begleiten.“