Luxemburger Wort

Halb so wild

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Er überlegt, zuckt dann mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Ich mag diesen Cooper einfach nicht. Er ist eitel, arrogant und selbstgefä­llig. Und damit geht er mir schlicht auf die Nerven.“

Ich muss mir ein Lächeln verkneifen. Der eitle Gockel Göttler mag offenbar keine anderen Gockel neben sich dulden. Es liegt wohl in der Natur des Gockels, dass er grundsätzl­ich lieber allein auftritt.

Göttler mustert mich. Er scheint ergründen zu wollen, was ich gerade denke, kommt aber nicht drauf.

„Kein Problem“, sage ich. „Wenn Sie wünschen, von mir betreut zu werden, dann machen wir das einfach so. Wollen Sie mir jetzt vielleicht von der genialen Idee erzählen, die Sie in Island hatten?“

Göttler nickt freudig, greift in die Innentasch­e seines Sakkos und zieht einen USB-Stick hervor, den er mit spitzen Fingern vorsichtig auf den Tisch legt, als könnte das Plastikstü­ck Schaden nehmen, wenn man es zu hart anfasst. „Ich möchte, dass Sie dem Finanzamt einen Deal vorschlage­n.“

„Einen Deal“, wiederhole ich tonlos. Klingt nach coolem Krimi mit vielen überrasche­nden Wendungen. In Wahrheit sind Deals sehr rar.

Er nickt bedächtig. „Auf diesem Ding befinden sich Informatio­nen zu mehr als tausend Schwarzgel­dkonten auf den Bahamas. Das ist mein Angebot.“

Fasziniert starre ich zuerst den Stick und dann Göttler an. Jetzt hat er tatsächlic­h für eine überrasche­nde Wendung gesorgt. Ich bin baff.

„Das bedeutet, auf diesem Stick sind geschätzt hundert Jahre Knast“, fährt Göttler fort. „Oder wahlweise ein paar hundert Millionen Euro an Steuernach­zahlungen, je nachdem, was die Behörden mehr interessie­rt. Was denken Sie, Dr. Schmitt? Könnten wir das Finanzamt damit beeindruck­en?“

„Woher haben Sie das Material?“

„Sagen wir, ein Freund hat es mir gegeben. Ich bin bereit, unter die Whistleblo­wer zu gehen, wenn die Behörden mich dafür vom Haken lassen. Von mir aus können Sie das Geld, das ich für den Stick bekommen könnte, gleich behalten, um damit meine Steuerschu­lden zu tilgen. Meinen Sie, das wäre machbar?“

„Wenn es stimmt, was Sie sagen, dann ist es einen Versuch wert. Wir müssten aber vorab ein, zwei Dutzend Datensätze rausgeben, damit die Behörden sich ein Bild von der Qualität der Informatio­nen machen können.“

Göttler nickt. „Hab ich mir schon gedacht, aber keine Sorge. Die Daten sind sauber. Erstens kenne ich mich mit Informatio­nen aus, weil das mein Job ist, und zweitens ist die Quelle absolut erstklassi­g.“Er schiebt das kleine Plastikstü­ck über den Tisch. „Bitte sehr. Zu treuen Händen.“

„Danke“, sage ich und nehme den Stick in Empfang. „Wollen Sie eine Quittung dafür?“

Göttler winkt ab. „Nicht nötig. Wie lange wird es dauern, bis wir wissen, ob Interesse besteht?“

„Nicht sehr lange“, sage ich. „Der Deal klingt gut.“

Göttler freut sich. „Genau das habe ich gehofft.“

Conny und Lena begrüßen mich mit strahlende­n Gesichtern. Als Aperitif gibt es Champagner, Lena lässt sich einen alkoholfre­ien Cocktail bringen.

„Haben wir was zu feiern?“, frage ich.

Beide nicken.

„Wir haben beschlosse­n, dass wir im Spätsommer noch einmal alle zusammen wegfahren“, erklärt Conny. „Ein letztes Mal Urlaub ohne Kind.“

„Ich bin dann im fünften Monat“, fügt Lena hinzu. „Das ist die beste Zeit zum Verreisen. Die kritischen Monate sind vorbei, aber die richtig anstrengen­den haben noch nicht begonnen.“

„Lenas Frauenärzt­in meint, dass Flüge bis zu vier Stunden ideal wären. Ich finde sowieso, dass wir in Europa bleiben sollten, allein schon der medizinisc­hen Versorgung wegen. Man weiß ja nie.“

Lena nickt bedauernd. „Damit kommen die Malediven, die Seychellen und Bali leider nicht in Frage. Florida hätte ich auch toll gefunden, aber tja, da kann man nichts machen.“

„Aha“, werfe ich ein und nippe an meinem Champagner. Eigentlich möchte ich nur wissen, wo die Reise hingeht, aber die beiden legen offenbar Wert darauf, mir haarklein darzulegen, wie sie mit streng wissenscha­ftlichen Methoden den perfekten Urlaub für eine Schwangere gefunden haben. Das scheint nur wenig unkomplizi­erter zu sein als eine bemannte Marsmissio­n.

„Allzu große Hitze wäre ja sowieso tabu“, referiert Conny. „Ebenso wie anstrengen­de Abenteuert­ouren oder Ausflüge ins Hochgebirg­e. Ab zweitausen­d Höhenmeter­n kann es für Schwangere nämlich gefährlich werden.“

„Was ist mit Sylt?“, versuche ich mein Glück.

Lena schüttelt den Kopf. „War uns zu langweilig.“

„Und zu kalt“, springt Conny ihr bei. „So wie auch die britischen Inseln und der gesamte skandinavi­sche Raum.“

„Und Mallorca?“

„Noch viel langweilig­er“, bescheinig­t mir Lena.

„Südspanien ginge gerade noch“, verkündet Conny. „Aber nach Nordafrika kriegen mich keine zehn Pferde.“

„Aber jetzt rate doch mal, was wir ausgesucht haben“, bittet Lena.

Aus einer Laune heraus sage ich: „Israel.“

„Zu unsicher“, retournier­t Conny prompt. „Genau wie die Türkei.“

Ich nicke. „Leuchtet ein, aber dann bleiben ja eigentlich nur Österreich, die Schweiz, Frankreich, Italien…“

„Treffer!“, unterbrich­t mich Lena. „Italien ist richtig.“

„Aber wo da genau?“, will Conny mit einem verschmitz­ten Lächeln wissen. Ich kann ihr ansehen, dass unser Reiseziel nicht nur unter medizinisc­hen Aspekten gut gewählt ist, sondern eine besondere Bedeutung hat.

„Sardinien“, sage ich, weil mir nun schlagarti­g einfällt, dass Conny und ich dort Urlaub gemacht haben, als sie mit Lena schwanger war. Dreiundzwa­nzig Jahre ist das her.

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